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[FYI] [taz] Der Weg in die Netzzensur



Hallo Liste,

http://www.taz.de/pt/2003/02/13/a0166.nf/text

(nur ueberflogen - das Zitat ist bekannterweise von Riesebeck)

---[beisskannte]---

Der Weg in die Netzzensur

Ein neuer Staatsvertrag zum Jugendschutz wird die staatliche Kontrolle
über das Internet erweitern. Die Sozialdemokraten leisten dabei
tatkräftige Vorarbeit für die Interessen der Medienindustrie

von MONIKA GROSCHE

Jürgen Büssow bleibt hart. Der Regierungsdirektor von Düsseldorf, nach
dem Geschäftsverteilungsplan der Landesregierung Nordrhein-Westfalens
zuständig für neue Medien und Verwandtes, hat sich ziemlich genau vor
einem Jahr als politisch besonders korrekter Kämpfer gegen die Neonazis
in die Schlagzeilen gebracht. Anfang Februar 2002 flatterte 78 Firmen,
die im Amtsbereich des Beamten den Zugang zum Internet vermitteln, eine
Verfügung ins Haus, die sie verpflichtete, ihren Kunden den Zugriff auf
zwei rechtsradikale Websites zu sperren. Beide waren (und sind) auf
US-amerikanischen Servern gespeichert, und Verwunderung machte sich
breit, hatten die Provider doch in monatelangen Gesprächen mit der
Bezirksregierung zu klären versucht, dass die geforderte Filterung
technisch kaum machbar sei. Obendrein stelle sie ähnlichen Unsinn dar
wie eine Anordnung an die Post, jeden Brief auf strafbaren Inhalt zu
überprüfen, ehe sie ihn ausliefert.

Ein zur Jahreszeit passender Karnevalsscherz war die Anordnung dennoch
nicht. Die damit verbundene Strafandrohung machte schnell klar, dass es
dem Regierungspräsidenten ernst war mit seiner Rolle, und seither sind
Gerichte, mittelständische Unternehmer und Netzaktivisten gleichermaßen
mit dem Fall beschäftigt. Letzte Woche etwa entschied das
Verwaltungsgericht Aachen, dass der Anordnung aus Düsseldorf in jedem
Fall Folge zu leisten sei, obwohl in der Sache selbst der Rechtsstreit
noch längst nicht entschieden ist. Zwei der betroffenen Firmen hatten
das Gericht ersucht, den Vollzug so lange auszusetzen. Vergebens. Jürgen
Büssows Weisung betreffe ja lediglich "zwei Seiten" und sei mit einem
"gegen null gehenden Aufwand" zu befolgen, befand das Gericht, weswegen
die Beschwerde abzuweisen sei. Auch das Argument der Provider, dass die
Bezirksregierung vor dem Sofortvollzug zu einer weiteren Anhörung
verpflichtet gewesen wäre, ließen die Richter nicht gelten. Diese
Pflicht bestände nämlich nur, wenn die Sperrung weiterer Websites
geplant wäre. Die Frage aber, ob dem so sei, habe sich im Rahmen dieses
Verfahrens gar nicht gestellt. - Juristen unter sich.

Büssows Zensurliste

Tatsächlich ging es noch nie allein um zwei ohnehin sattsam bekannte
Naziseiten. Netzaktivisten und Providerfirmen beklagen vielmehr, dass
wieder einmal ein allgemeineres gesellschaftliches Problem mit einer
technischen Lösung aus der Welt geschafft werden soll. Das Vorgehen der
Bezirksregierung weckt die Befürchtung, unter dem Deckmantel des Kampfes
gegen rechte Hetze werde ein Präzedenzfall für staatliche Eingriffe ins
Internet inszeniert. Und Jürgen Büssow selbst mag da gar nicht
widersprechen: "Wenn ich das Milchtrinken verbieten will, muss ich erst
mal ein oder zwei Flaschen beschlagnahmen."

Kein Wunder, dass so manchem angst und bange wird bei der Vorstellung,
was noch alles an Zukunftsplänen in Beamtenhirnen herumspuken mag, war
doch auf Büssows ursprünglicher Zensurliste bereits eine Homepage mit
aufgeführt, nur weil deren absichtlich geschmacklose Satiren das
Zartgefühl des Regierungspräsidenten verletzten. In wiederholten
Stellungnahmen ließ er keinen Zweifel daran, dass mit ein paar
rechtsradikalen Seiten noch lange nicht Schluss sein soll. Rund 6.000
Adressen kommen Büssows Schätzung nach für eine Sperrung in Frage -
alles natürlich zum Schutz der Bürger, insbesondere der Minderjährigen.

Wenn er Recht hat, muss die Gefahr, die von den beiden amerikanischen
Nazischwätzern für die hiesige öffentliche Ordnung ausging, enorm
gewesen sein. Vergangenen September jedenfalls ordnete Büssow den
"sofortigen Vollzug" seiner Weisung an, die bis dahin immer noch nicht
von allen so ganz ernst genommen worden war. Aber weder das Urteil
technischer Experten noch die lebhaften Proteste aufgebrachter
Netzaktivsten (der Chaos Computer Club [CCC] organisierte sogar als
Weltpremiere seine erste nichtvirtuelle Hackerdemo auf der Straße) oder
etwa die Schelte von den eigenen Parteigenossen auf Bundesebene und im
Europaparlament konnten den Sozialdemokraten umstimmen. Er sah nunmehr
lediglich "Gefahr im Verzug" für die eigene Aktion und suchte
schleunigst zu deren Rettung die Abgeschiedenheit deutscher
Gerichtsbarkeit auf.

Fakten geschaffen

Das Konzept scheint aufzugehen. Nach zwei konträren Konferenzen, die
eine von Büssow selbst, die andere vom CCC organisiert, ließ die
öffentliche Aufmerksamkeit nach, obwohl 18 Provider sogleich Widerspruch
gegen den Vollzug einlegten und der Providerverband Eco ankündigte, man
werde den Streit "bis zum Ende ausfechten". Tatsächlich entschied das
Verwaltungsgerichts Minden Ende Oktober - nahezu unbemerkt von der
Öffentlichkeit - zugunsten der Provider und erklärte die Sperrung bis
zur Entscheidung in der Hauptsache für nichtig. Doch die von Eco
erhoffte Signalwirkung blieb aus. Schon vor der Kammer in Aachen hatten
im Dezember drei weitere nordrhein-westfälische Verwaltungsgerichte
entschieden, die Sperrverfügung dürfe so lange aufrechterhalten bleiben,
bis grundsätzlich über deren Rechtmäßigkeit entschieden sei.

Inzwischen jedoch arbeitet die Zeit für den strammen Sittenwächter am
Rhein. Am 1. April tritt der - unter anderem vom rheinland-pfälzischen
Ministerpräsidenten Kurt Beck (ebenfalls Sozialdemokrat) erfundene -
neue Jugendmedienschutz-Staatsvertrag in Kraft. Jürgen Büssow hat Fakten
geschaffen, die nun nachträglich zum Gesetz erhoben werden. Und
inzwischen mag auch niemand mehr über den technischen Unfug lachen, den
Büssows erste Weisung noch enthielt. Die Bürgerrechtsinitiative Odem
(www.odem.org) berichtet über Ergebnisse einer Arbeitsgruppe der
Universität Dortmund und mehrerer Unternehmen. Sie kommt zu dem Schluss,
dass Filter dieser Art durchaus erfolgreich entwickelt werden können.

Und unverhohlen freudiger Zuspruch kommt inzwischen auch von Seiten der
Wirtschaft - nicht der Provider, sondern der Medienproduzenten. Dort
möchte man im Zuge der Neuordnung des Urheberrechts am liebsten gleich
das ganze Internet unter Kontrolle bringen, weniger um den Import
hierzulande strafbarer Propaganda auf ausländischen Servern zu
verbieten, sondern um den freien Zugriff auf urheberrechtlich geschützte
Dokumente jeder Art zu unterbinden.

Nach Informationen des Nachrichtenmagazins "Heise Online" (www.heise.de)
will das Verwaltungsgericht in Köln noch in dieser Woche die Klage
zweier weiterer Unternehmen gegen die Verfügung wie auch gegen die
Anordnung ihres sofortigen Vollzugs entscheiden. Danach steht der Spruch
des Oberverwaltungsgerichts Münster bevor. Es wird in einem
Sammelverfahren insgesamt acht Beschwerden behandeln. "Spätestens im
März", sagt ein Sprecher des Gerichts, werde im Eilverfahren
entschieden, ob der sofortige Vollzug der Sperrungen zulässig sei. Man
warte nur die Kölner Entscheidung ab, die Arbeit an dem Fall sei in
vollem Gang.

Auch die Gegenseite arbeitet schwer. Verschiedene Hackerprogramme zur
Umgehung solcher und ähnlicher Blockaden werden entwickelt. Noch aber
besteht die einfachste Art, Jürgen Büssows politische Moral zu
unterlaufen, darin, den Provider zu wechseln. Weder der Marktführer
T-Online noch AOL, die Nummer zwei, haben bisher die Düsseldorfer
Anordnungen offiziell auch nur zur Kenntnis genommen. Die gesperrten
Seiten sind dort frei zugänglich.

Monika.Grosche@web.de

taz Nr. 6979 vom 13.2.2003, Seite 14, 250 TAZ-Bericht MONIKA GROSCHE

---[beisskannte]---

Tschuess, Tim.

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"Ziel des Spieles ist es, Laender zu ueberfallen, Kontinente und die
Welt zu erobern, sowie Gegner zu schlagen." -- Risiko 1976
"Ziel des Spieles ist es, Laender und Kontinente von Besatzungsarmeen
zu befreien und in die Unabhaengigkeit zu fuehren." -- Risiko 1990


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