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Offener Brief zur Verleihung des "Goldenen Hammers" an Buessow



Hallo,

Jürgen Büssow hat den "Goldenen Hammer" gekriegt ...

http://www.brd.nrw.de/BezRegDdorf/hierarchie/news/newsticker/271_2003.php


Wir (diverse Menschen und Organisationen, die sich gegen die
Sperrverfügungen wehren, http://www.david-gegen-goliath.org/, ich erspare
mit jetzt mal die Liste aller bisher beteiligten) haben einen offenen Brief
verfasst. Er ist unten anbei.


Wer diesen auch unterzeichnen möchte, möge sich bis etwa 0 Uhr heute Nacht
an olaf@odem.org wenden, mit Angabe:

  Vorname Name, Titel/Minibeschreibung/Tätigkeit/Organisation


Ciao
  Alvar


=== DER BRIEF ==================================

Offener Brief zur Verleihung des "Goldenen Hammers" an Regierungspräsident
Jürgen Büssow

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir begrüßen es sehr, dass der Landesjugendring NRW und SOS Rassismus NRW
auch in diesem Jahr mit der Verleihung des "Goldenen Hammers" ein
öffentlichkeitswirksames Zeichen gesetzt haben, kontinuierlich an einem
konstruktiven, gewaltfreien Miteinander zu arbeiten. Die Auszeichnung
engagierter Streiter gegen Gewalt und Rassismus ist ein wichtiges Signal,
das unsere ungeteilte Unterstützung findet.

Mit großer Verwunderung haben wir jedoch zur Kenntnis genommen, dass Sie
auch den Präsidenten der Bezirksregierung Düsseldorf, Herrn Jürgen Büssow,
"für sein Engagement gegen rechtsextreme Internetseiten" ausgezeichnet
haben. Dies scheint uns ein Fehlgriff zu sein. Allein schon die
Pressemitteilung der Bezirksregierung zur Verleihung weckt starke Zweifel,
dass hier eine Behörde sachlich und kompetent gegen den Rechtsextremismus
arbeitet.


Breite Kritik aus der Mitte der Gesellschaft

So spricht die Pressemitteilung von einer "gezielten Negativpresse einiger
Medien z. B. von Spiegel und Focus". Dieser Tonfall, der nicht
Sachgeleitetheit, sondern Propagandismus unterstellt, ist symptomatisch für
den Umgang der Bezirksregierung mit kritischen Stimmen und abweichenden
Meinungen. Der Hauptteil der Kritik an der Bezirksregierung und an den von
ihr initiierten Internetsperren kam nicht etwa aus einer braunen Ecke, wie
uns Herr Büssow weismachen will, sie kam aus der Mitte der Gesellschaft.
Die Fachpolitiker und Internetexperten aller im Bundestag vertretenen
Parteien sprechen sich eindeutig gegen die Maßnahme aus. Die Rechtsextremen
selbst lässt das Filtertheater relativ kalt, sie können sich über viel
staatlich bezahlte Werbung für ihre Internetseiten freuen.

Mehrfach wurde zumindest der Eindruck erweckt, Kritiker aus der
Internetgemeinde stünden in der Ecke von Rechtsradikalen, obwohl das
Gegenteil der Wahrheit entspricht. Gerade Bürgerrechtler und linke
Gruppierungen verwahren sich gegen das Filtern von Informationen aus dem
Ausland. Wer auf mündige Bürger vertraut, will ihnen nicht die Augen
verbinden. Um so unglücklicher erscheint uns die Formulierung der Urkunde,
wo - sicherlich unabsichtlich - alle Internetnutzer mit "Betreibern von
Nazi-Homepages" gleichgesetzt werden.

Die Bezirksregierung behauptet immer wieder, dass sie über keinen
Ermessensspielraum verfüge. Dennoch betrifft die Sperrungsverfügung nur
zwei Seiten, obwohl es international Tausende vergleichbarer Seiten gibt.
Dennoch hält bisher keine andere Aufsichtsbehörde in Deutschland
Internetsperren für ein geeignetes Mittel.


Zugangssperrungen sind untaugliches Mittel

Der Grund ist leicht erklärt: Das Mittel taugt nicht. Das Vorgehen der
Bezirksregierung ist eine Publicity-Show, die zwar dem
Regierungspräsidenten Anti-Rassismus-Preise einbringt, ansonsten aber
wirkungslos bleibt, ja sich sogar kontraproduktiv auswirkt: schlecht für
die Zukunft des Kommunikationsmediums Internet und schlecht im Kampf gegen
Rechtsextremismus. Dank Internetsperren dürfen Nazis und Antisemiten
weiterhin ungestraft ihr Unwesen im Netz treiben. Die Opfer und
unbeteiligte Bürger werden durch Sichtblenden davon abgehalten, die
Gefahren im Netz zu sehen und entsprechend zu reagieren. Darüber hinaus ist
der vermeintliche Schutz löchrig wie ein Schweizer Käse. Kein Jugendlicher
wird abgehalten, hetzerische Parolen zu lesen - selbst die vermeintlich
gesperrten Seiten bleiben zugänglich. Die Auswirkungen einer solchen
Filterinfrastruktur auf das Internet, wie sie die Bezirksregierung wünscht,
wären aber immens.


Preisverleihung an Büssow konterkariert die Ziele des "Goldenen Hammers"

Sie haben in diesem Jahr neben Herrn Büssow drei Jugendprojekte geehrt, die
gezielt an Heranwachsende herantreten und ihnen beibringen, in kritischen
Situationen nicht davonzulaufen, sondern couragiert Position zu beziehen.
Wenn Sie die Situation analysieren, werden Sie erkennen, dass
Internetsperren das genaue Gegenteil dieser verdienstvollen Jugendprojekte
bewirken: Kein Jugendlicher lernt durch verordnetes Wegsehen, Position zu
beziehen. Ein Teil der traurigen Realität wird ausgeblendet. Das ist alles.
Das Aushalten von Ambivalenzen, um eigene Standpunkte zu überprüfen und zu
korrigieren, soll gerade verhindert werden - auch wenn die
Sperrungsbefürworter dabei natürlich übersehen, dass für viele Verbotenes
erst interessant wird. 

Mit Sorge sehen wir die Entwicklung, die durch solche Maßnahmen wie in
Düsseldorf forciert wird. Der mündige Bürger wird zum blinden Bürger. Was
er nicht sehen soll, darf er nicht sehen. Was nicht sein darf, kann nicht
sein. Gerade in Deutschland sollten wir uns an die Zivilcourage erinnern,
anstatt blind auf im Ergebnis unwirksame Verordnungen und Regulierungen zu
vertrauen. Selbst wenn die Bezirksregierung Tausende Webseiten sperrt - der
Hass wird trotzdem seine Wege finden. Die rechten Rattenfänger wissen
genau, welche Grenzen sie einhalten müssen.


Sperrungsanordnungen haben massive Kollateralschäden zur Folge

Stattdessen werden wir mit Kollateralschäden leben müssen, die von
symbolischer Politik im Stile der Sperrungsanordnungen verursacht werden:
Viele legale und nützliche Webseiten werden nicht mehr erreichbar sein. Bei
der Sperrung des Zugangs zu rechtsradikalen Seiten kann man auf breite
Zustimmung bauen; die Folge ist jedoch, dass eine gefährliche
Sperrungsinfrastruktur installiert wird. Was mit dem allgemein als positiv
bewerteten Schutz vor rechtsradikalem Gedankengut beginnt, wird dann bald
auch zum Schutz von weitaus zweifelhafteren Partikularinteressen genutzt
werden. Der Markt der Meinungen würde durch ein sauberes Hochglanzkaufhaus
ersetzt.

Und auch die Arbeit gegen Rechtsextremismus im Netz wird mit immer neuen
Hindernissen belegt. Wer einen falschen Link auf der Seite hat oder gar die
Abbildung eines Hakenkreuzes in antifaschistischem oder satirischem Kontext
ins Internet stellt, bekommt Ärger mit den Behörden. Das Internet ist kein
rechtsfreier Raum, das war es nie. Doch derzeit will man das Netz
überregulieren. Bilder, die problemlos im öffentlich-rechtlichen Fernsehen
laufen, rufen die Staatsanwaltschaften auf den Plan, sobald sie nur online
gestellt werden.


Bezirksregierung Düsseldorf setzt sich in Widerspruch zur Rechtsprechung

Ihr Preisträger Jürgen Büssow stellt die Behauptung auf, es gebe kein
Informationsrecht, wenn durch rechtsradikale Angebote im Internet
gesellschaftliche Minderheiten diskriminiert würden. Dies ist falsch, wie
auch das Bundesverfassungsgericht im  Falle der "Leipziger Volkszeitung"
entschied: Das Grundrecht der Informationsfreiheit hängt einzig von der
allgemeinen Zugänglichkeit der Information ab. Eingriffe sind
rechtfertigungsbedürftig, nicht die vorhergehende Inanspruchnahme des eben
unabhängig vom Inhalt der Information bestehenden Grundrechts.

Sie können allerhand Erfolgsmeldungen auf den Seiten der Bezirksregierung
lesen. So verweist die Pressemitteilung zur Verleihung des "Goldenen
Hammers" darauf, dass fünf Verwaltungsgerichte Herrn Büssow Recht gegeben
hätten. Dabei wird jedoch unterschlagen, dass vor einem Verwaltungsgericht
die Bezirksregierung unterlegen ist.  Und auch vor dem
Oberverwaltungsgericht wurde in einem Fall eine Niederlage der
Bezirksregierung nur dadurch vermieden, dass diese nach
Hinweisen des Gerichts ihr Rechtsmittel zurückgezogen hat. In den anderen
Fällen ist der Rechtsweg aber noch lange nicht abgeschlossen. Vielmehr
ergingen alle bisherigen Gerichtsentscheidungen nur im Wege des
einstweiligen Rechtsschutzes.
Sämtliche Hauptsacheverfahren stehen noch aus.

Entgegen anders lautenden Behauptungen in der genannten Pressemitteilung
der Bezirksregierung hat das Oberverwaltungsgericht die
Sperrungsanordnungen auch mitnichten "bestätigt", sondern sie lediglich für
weder offensichtlich rechtswidrig, noch offensichtlich rechtmäßig befunden.
Falsch ist auch die Behauptung, dem Gericht zufolge gäbe es "kein
Entschließungsermessen bei Verletzungen der Menschenwürde". Diese Frage hat
das Gericht vielmehr ausdrücklich offen gelassen. Zu diesen
offensichtlichen Fehlern kommen weitere Behauptungen, die zumindest
missverständlich sind bzw. einen falschen Eindruck über die Bedeutung
grundgesetzlicher Freiheitsrechte erwecken. Derartige Fehlleistungen in
einer offiziellen Mitteilung einer mit der Wahrung des Rechts betrauten
Behörde sollten auch bei Beobachtern, die mit den Maßnahmen der
Bezirksregierung grundsätzlich sympathisieren, Bedenken wecken.

Abschließend möchten wir noch auf das Martinsgansessen der Deutschen Bank
in Düsseldorf im Jahre 2001 hinweisen: Die antisemitischen Ausfälle eines
Teilnehmers blieben auch von Regierungspräsident Büssow unwidersprochen.
Ist das eine auszeichnungswürdige Zivilcourage?


Vor diesen Hintergründen ist Ihre Entscheidung, Herrn Büssow als
vermeintlichen Aktivisten gegen rechtsextreme Internetinhalte
auszuzeichnen, aus unserer Sicht eine klare Fehlentscheidung. Wir wünschen
Ihnen den Mut, diese Entscheidung auch zum jetzigen Zeitpunkt noch einmal
kritisch zu überdenken und zu revidieren. In jedem Falle würden wir uns
über eine Stellungnahme Ihrerseits freuen. Bis dahin verbleiben wir

Mit freundlichen Grüßen



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** Alvar C.H. Freude -- http://alvar.a-blast.org/
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**   ODEM.org-Tour:  http://tour.odem.org/
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