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Re: [FYI] BKA geht gegen Anonymitätsdienst vor



"Hanno 'Rince' Wagner" <wagner@fitug.de> writes:

>> Ob die Ermittlung rechtmäßig war, wird sich in der
>> Hauptsacheentscheidung des Landgerichts zeigen. Die Polizei sichert
>> erst einmal die vorhandenen Beweismittel. Es geht, wie man liest, um
>> Kinderpornographie. Das ist tatsächlich ein schweres Verbrechen. Ob
>> die Daten später verwertet werden dürfen, wird erst noch entschieden.
>
> Sorry, aber diese Begründung "Es ist KiPo, daher darf das" geht mir
> ziemlich gegen den Strich. Wenn es erstmal dafür offen ist, wird es
> für andere Delikte auch offen sein.

Vorausgesetzt, §§ 100 g, 100 h StPO geben eine wirksame
Eingriffsermächtigung zur Strafverfolgung, wäre die Erhebung der
Beweismittel rechtmäßig erfolgt. Das LG wird nach der ganzen
Öffentlichkeit, die das Verfahren bisher erfahren hat, sehr genau
prüfen, ob die Vorschriften auf JAP anwendbar sind.

> Wieso kann die Ermittlungsbehörde sich dann über das vorige Urteil
> hinwegsetzen?

Das Verfahren lief nach allem, was ich bis jetzt darüber gelesen habe,
wohl so ab: 

 - Antrag der Staatsanwaltschaft beim Ermittlungsrichter beim
   Amtsgericht -> Beschluß ergeht -> Ermittlungsmaßnahme wird
   durchgeführt, aber Daten bleiben erstmal beim Rechenzentrum.

 - Gegen den Beschluß des AG wird Beschwerde beim Landgericht
   eingelegt (wer hat das gemacht: die Uni Dresden?) -> LG beschließt,
   den Vollzug des Beschlusses des AG vorläufig auszusetzen, bis es in
   der Hauptsache entscheidet -> Hauptsacheentscheidung steht bisher
   noch aus.

In der Zwischenzeit "schwebt" das Verfahren. Wir wissen heute nicht,
ob sie rechtmäßig oder rechtswidrig erhoben worden sind. Darüber
entscheidet das LG erst noch. 

Da die Polizei die Daten, die aufgrund des Beschlusses erhoben worden
waren, beim Leiter des Rechenzentrums zuhause sichergestellt hat,
nehme ich an, er wird sie, nachdem die Vollziehung ausgesetzt worden
war, von dort in seine Wohnung mitgenommen haben. Dann stellt sich
zunächst mal die Frage, ob seine Wohnung überhaupt hätte durchsucht
werden dürfen, um die Datensätze sicherzustellen und zu
beschlagnahmen. Soweit hat er es aber nicht kommen lassen, denn er
hat sie jedenfalls herausgegeben. Sie befinden sich jetzt bei der
Ermittlungsbehörde.

Über die weitere Verwendung der Daten entscheidet dann das Landgericht
in dem noch bevorstehenden Beschluß. Die Polizei hat sich rechtmäßig
verhalten, denn sie hat Beweismittel, die wahrscheinlich weiter
verwertet werden dürfen, erst einmal gesichert. _Ob_ sie weiter
verwendet werden, hängt vom weiteren Verlauf des Verfahrens ab, also
der Entscheidung des Gerichts ab.

Ich schreibe das hier, weil zur Zeit in de.org.ccc und auch auf
fitug-debate eine Menge an Wut und voreiligen Statements aus der
Hacker-Szene in Umlauf sind. Es ist gut, daß diese Fragen so lebhaft
und vor allem, daß sie öffentlich diskutiert werden, denn sie sind
sehr wichtig für die Funktion der Demokratie und der Öffentlichkeit in
Datennetzen. Die meisten Fragen dazu sind ja noch juristisches
Neuland. 

Hier findet aber ein ganz normales Strafverfahren statt, das unter
gerichtlicher Kontrolle steht. Und daß die Anonymität über JAP nicht
grenzenlos sein würde, war ohnehin von vornherein klar. Die
Leitentscheidung zum Grundrechtsschutz und zur Interessenabwägung
zwischen Privatsphäre und Strafanspruch des Staates bei schweren
Straftaten war die "Tagebuch-Entscheidung" des
Bundesverfassungsgerichts von 1989 in BVerfGE 80, 367 zur
Verwertbarkeit von Tagebuchaufzeichnungen bei Mordverdacht. Die
Verfassungsbeschwerde gegen die Verwertung des Tagebuchs hatte wegen
Stimmengleichheit im Senat keinen Erfolg. Es gibt Grenzen der
Privatheit. 

Ich könnte mir vorstellen, daß die Folge des Falles "JAP" letztlich
sein könnte, daß festgestellt würde, daß die Herstellung
vorbehaltloser Anonymität durch einen solchen Proxy nach deutschem
Recht nicht rechtmäßig sei. Es muß zumindest bei schweren Straftaten
eine Möglichkeit der Strafverfolgungsbehörden geben, sich in den
Traffic einzuklinken.  Fraglich ist hier nur noch und vor allem, ob es
dafür zur Zeit eine Rechtsgrundlage gibt. Das wird zumindest von den
Datenschützern, die sich gegen die Ermittlungsmaßnahmen gewendet
haben, bestritten. AG und LG Frankfurt sind -- vorbehaltlich der noch
ausstehenden Entscheidung über die Beschwerde durch das LG --
wahrscheinlich unterschiedlicher Meinung; das muß aber letztlich nicht
so sein, auch das LG kann die Maßnahme jetzt noch für rechtmäßig
befinden. 

Da liegt das juristische Problem des Falls. Nur falls entschieden
würde, daß die §§ 100 g, 100 h StPO auf JAP nicht anwendbar sind, wäre
die Ermittlungsmaßnahme rechtswidrig gewesen.  Dabei würde es aber
wahrscheinlich nicht bleiben. Dann könnte es bald eine Diskussion über
eine "lex JAP" geben, um diese Lücke im Gesetz zu schließen.

Jürgen.


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