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Re: Aufbereitung von Websites (was: [ffii] Aktionswoche gegen Bruesseler Patentplaene)



On 17 Sep 2003 , Alvar Freude wrote about Re: Aufbereitung von
Websites (was: [ffii] Aktion:
> beim erneuten Drüberschauen ist mir eben aufgefallen, dass die
> Patent-Liste kein Politiker verstehen wird:
>
>   http://swpat.ffii.org/patente/wirkungen/index.de.html
>
>
> Zu technisch, zu speziell, unverständlich.

Insbesondere sind die weiterreichenden Wirkungen ausgelassen,
speziell aus der Perspektive der Endnutzer, d.h. der Gesellschaft.


> Man muss sowas den Leuten einfachst erklären:


Man muss es ja nicht gleich "Maus"-mäßig aufbereiten (obwohl die
extra3-Redaktion das sicher könnte ;), aber folgendes schwebt mir vor
(Entwurf):
----------------
Über Softwarepatente

1) triviale Patente
Der Chef von Amazon sagt zu seinen Entwicklern: "Leute, der Nielsen
schreibt, dass gute Websites den Benutzer mit möglichst wenig
Mausklicks zum Ziel führen. Also sollt ihr unsere Bestellungen so
programmieren, dass die Kunden mit einem Klick bestellen können." Die
Entwickler sagen: "Ja, Chef", und machen das - ist ja nicht schwer.
Der Anwalt von Amazon, der sein Geld verdienen will, meldet erstmal
alles, was irgendwie wie eine Erfindung aussieht, beim Patentamt an.
Anderswo sagt der Chef von einem anderen Onlineladen: "Leute, der
Nielsen schreibt..." usw. Auch seine Entwickler sagen "Ja, Chef" und
machen das - ist ja nicht schwer. Aber jetzt kommt der Anwalt von
Amazon und sagt: "Wir haben das patentiert. Wer nicht bei _uns_
einkauft, muss seine Sachen eben umständlich bestellen".
Wenn du dich also mal wieder drüber ärgerst, dass bei deinem Computer
alles so kompliziert ist,liegt das auch daran, dass jemand alle
einfachen Sachen patentiert hat.

2) Interoperabilität und Kontrolle
Da gibt's ein tolles Programm für Windows. Ein Nutzer erzeugt damit
etliche Daten. Nun will er diese Daten aber auch auf Rechnern nutzen,
die mit einem anderen Betriebssystem laufen (z.B. Linux). Also sagt
er zu seinen Entwicklern: "Schreibt mir mal ein Programm, das diese
Daten auf Linux liest". Die Entwickler sagen: "Klar Chef, machen
wir." Da sagt der Anwalt des Programmherstellers: "Das dürft ihr
nicht, wir haben das Datenformat und das Verfahren zum Entschlüsseln
der Daten patentiert. Selbst wenn wir das Leseprogramm nicht mehr
pflegen und es auf neuen Betriebssytemen nicht mehr läuft, müsst ihr
warten, bis unsere Patente ausgelaufen sind, ehe ihr an die Daten
dürft". Damit gibt das Patent dem "Erfinder" nicht nur die Kontrolle
über seine eigene Leistung, sondern auch über die fremden Leistungen
anderer.

2a) Interoperabilität, die Zweite
Es ist auch nicht möglich, die Ausgabe eines Programms von einem
eigenen Program weiterverarbeiten zu lassen, wenn das Datenformat
bzw. die Verfahren zur Entschlüsselung dieses Datenformats patentiert
sind. Im technischen Bereich ist das undenkbar - die Produkte eines
patentierten (z.B. mechanischen oder chemischen) Prozesses sind
natürlich frei verwendbar.

3) Archivierung und Offenlegung
Manche Daten müssen lange archiviert werden. Wenn man sie dann
braucht, gibt es Ärger. Denn die Programme, die diese Daten erzeugt
haben, gibt es oft nicht mehr; und wenn sie mitarchiviert worden
sind, dann laufen sie auf den heutigen Rechnern nicht mehr.
Patente sind ja "Offenlegungen". Es sollte also helfen, wenn ein
Datenarchivierungsverfahren patentiert wurde. Leider stimmt das
nicht. Oft werden nur wichtige Teile des Verfahrens patentiert
werden, nicht das ganze Verfahren selber.
Hat man eine "offene" Version eines Archivierungsprogrammes, d.h.
kann man das Archivierungsprogramm im Quelltext lesen und verstehen,
hat man die nötigen Informationen, um die archivierten Daten
jederzeit lesen zu können. Die Einreichung von Quelltexten wird aber
derzeit bei Softwarepatenten nicht gefordert.
Es gibt zwar viele Software, die im Quelltext veröffentlicht wird
(OpenSource). Da die Weitergabe dieser Software oft umsonst erfolgt,
können sich die Entwickler Patent- und Gerichtsgebühren nicht leisten
und schrecken daher oft schon vor der Androhung von Patentklagen
zurück. Deshalb ist gerade für nicht patentierte Datenformate die
Archivierungssicherheit höher. Hier verkehrt sich der Sinn der
"Offenlegung" in sein Gegenteil.

4) Privatisierung von öffentlichen Forschungsergebnissen
Wenn ein Wissenschaftler etwas erforscht hat, z.B. Gehörpsychologie,
so kann das z.B. in der Konstruktion von Audioformaten angewendet
werden. Kann nun die (triviale) Umsetzung dieser Forschung in
Programme patentiert werden, so ist den Mitbewerbern (und Open Source-
Entwicklern) die Nutzung dieser Forschungsergebnisse verwehrt. Dies
gilt nicht nur für firmeninterne Forschung (was ja legitim wäre),
sondern auch für öffentliche Forschung, und für Forschungsergebnisse,
die vor ihrer zu patentierenden Umsetzung veröffentlicht wurden.
Damit wird öffentliche Forschung privatisiert, sie kommt in erster
Linie Einzelinteressen zugute.

5) Prüfungskosten
Im bestehenden Patentverfahren werden Patente nach vorwiegend
formaler Prüfung eingetragen. Eine endgültige Klärung der
Berechtigung des Anspruchs muss oft gerichtlich stattfinden. Für
Verfahren, deren Entwicklung bereits hohe Kosten verursacht -
schließlich muß eine technisches Verfahren nicht nur beschrieben,
sondern auch demonstriert werden können -, ist die Überprüfung der
Patente der Mitbewerber auf gerichtlichem Wege sicherlich meist
verhältnismäßig. Im Softwarebereich werden viele Erfindungen mit nur
geringen Investitionen (Zeit des Entwicklers und sein Computer)
getätigt; im Falle eines Open Source-Entwicklers werden die Produkte
auch oft kostenlos abgegeben. Ein Gerichtsverfahren ist selbst dann,
wenn es gute Aussichten hat, oft nicht finanzierbar. Im
Softwarebereich müssen Prüfungsverfahren entwickelt werden, die eine
Überprüfung von Patenten auf ihre Erfindungshöhe mit geringeren
Kosten möglich machen oder solche Patente von vornherein verhindern.
Sonst wird die gesellschaftlich nützlichste Form der
Softwareentwicklung, die Programmierung von kostenlosen OpenSource-
Programmen, drastisch behindert.


Fazit
Patente sind ursprünglich dem Wesen nach eine Balance zwischen Nutzen
für den Patentinhaber (Patentschutz) und Nutzen für die Gesellschaft
(vermehrte Innovation, Offenlegung). Die geplante Umsetzung von
Softwarepatenten verschiebt diese Balance zum Nutzen der
Patentinhaber und zum Schaden der Gesellschaft. Sie ist daher
abzulehnen.

Bevor Softwarepatente sinnvoll umgesetzt werden können, muss das
Problem der Beurteilung der Erfindungshöhe gelöst werden, d.h. die
Patentierung von Lösungen, die sich aus der Aufgabenstellung
angesichts der veröffentlichten Techniken und Forschungen trivial
ergeben, muss verhindert werden.
Zudem muss die Offenlegung den Erfordernissen der Gesellschaft an
Software angepasst werden, d.h. patentierte Software sollte (auch)
als Quelltext offengelegt werden,  und die damit verbundenen
Datenformate müssen offengelegt und zur Verwendung durch andere
Entwickler (unter Umgehung oder mit Lizensierung der patentierten
Verfahren) frei sein.

------------
Dieser (mein obiger) Text ist frei, d.h. er darf von jedermann
verbreitet und verändert werden, auch ohne Nennung meines Namens.

Man kann die einzelnen Punkte gut mit Fällen von swpat.ffii.org
verlinken; auch ist das Niveau der einzelnen Unterpunkte noch etwas
unterschiedlich. Zu den "ganz einfachen" Erklärungen könnte man sogar
ein paar einfache Flash-Animationen anbieten.

Michael Mendelsohn
--
The beginning starts in the middle, and the end suddenly stops.
"Der Anfang fängt in der Mitte an, und das Ende hört plötzlich auf."
  -- zitiert auf http://www.meocom-online.de/home/sabseb/zl.html


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