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Re: [FYI] Matthew Broersma : Software patent limits 'go too far'



On 27 Sep 2003, at 18:36, Hartmut Pilch wrote:

> > "patent law specialists" gibt es nicht nur in der Industrie oder als
> > (Patent-)Anwaelte, falls das hier in Vergessenheit geraten sein
> > sollte.
> 
> Es ist alles der gleiche Kreis, mit den gleichen Karrierewegen.
> 
> > Und: Die Patentrechtsexperten in den Ministerien und in der EU-
> > Kommission, die hier wohl gemeint sein duerften, sind durchwegs
> > verbeamtet (und damit dem "Markt" entzogen) und haben kein
> > "Geschaeftsmodell", dass sie zu eigenem Nutzen verfolgen.
> 
> Patentrechtsexperten, die in der Regierung sitzen, gehen zu den
> gleichen Konferenzen und bewerben sich in ein paar Jahren bei den
> gleichen Arbeitgebern wie die Patentrechtsexperten in der "Industrie".
>  Zwischen all diesen Leuten besteht viel mehr Gemeinsamkeit als etwa
> ziwschen der Patentabeilung und der F&E-Abteilung einer einzigen Firma
> wie Siemens oder SAP.

Aha, soso: Die Patentanwaelte sollen nicht die Politik beraten, weil 
sie wegen ihrer wirtschaftlichen Involviertheit in das Patentwesen 
nicht unabhaengig sind ... und alle uebrigen Fachleute und 
Fachbeamten gehoeren qua (FFII-)Definition zur selben Sorte von ... 
<hier bitte bevorzugtes Schimpfwort eintragen!> und denen kann man 
also auch nicht trauen.  

Die Schlussfolgerung des FFII ist also die, dass man alle Leute, die 
Ahnung vom Patentrecht haben, aus dem Politikprozess heraushalten 
muss, denn jemand, der vertiefte Kenntnisse im Immaterialgueterrecht 
besitzt, steht ja sogleich unter Generalverdacht, Kraft genau dieser 
Kenntnisse "am anderen Ufer" zu stehen.

Der FFII e.V. - oder zumindest sein Praesident phm - machen hier also 
den Dilettantismus zum politikleitenden Prinzip.

Aber eins muss man dem FFII lassen, das mit dem Dilettantismus machen 
sie wenigstens konsequent. Auch was die Einflussnahme im 
Europaeischen Parlament anbetrifft.  

Es gibt bei _jeder_ gesetzgeberischen Arbeit (mindestens) zwei 
unterschiedliche Betrachtungsebenen: Eine Werteebene und eine 
"handwerkliche Ebene".

Bei der Werteebene geht es schlicht um politische Praeferenzen, der 
eine will "A", der andere "nicht A", der dritte "B". Das ist die 
eigentliche politische Diskursebene.

Daneben gibt es aber noch die Ebene des "handwerklichen" Geschickes 
oder Ungeschickes beim Gesetzemachen. Wenn Gesetze redundant, in sich 
unschluessig oder mehrdeutig sind, redet man von "schlecht gemachten" 
Gesetzen, und zwar unabhaengig davon, ob einem die politische 
Ueberzeugung, die einmal hinter dem Gesetzesvorschlag stand, gefaellt 
oder nicht. Beispiele hierfuer gibt es insbesondere in vom DE-
Bundestag beschlossenen Texten in den letzten Jahrzehnten immer mehr. 
Irgendwelche Steuer- oder Verwaltungsgesetze, die - unabhaengig von 
der politischen Ausrichtung - bei Beamten, Richtern und last not 
least Buergern nur noch Verzweiflung hervorruft - was ist denn nun 
mit diesem oder jenen Paragraphen gemeint?

Der Fehler, der phm unterlaufen ist, ist nun eben der, dass der 
Einfluss des FFII auf das Parlament derart massiv gewesen sein muss, 
dass die normalerweise vorhandenen "Filter" im politischen Prozess 
des Parlamentes schlicht uebergangen worden sind. Im Ergebnis ist ein 
Text herausgekommen, der - ich betone: unabhaengig davon, ob man fuer 
oder gegen Patente auf computerimplementierte Erfindungen ist - 
einfach sauschlecht abgefasst ist. Mehrere Definitionsansaetze von 
"Technizitaet" und "industrieller Anwendbarkeit" etc. ueberlappen 
sich teilweise, teilweise widersprechen sie sich. Ein den Zielen des 
FFII auch noch so wohlwollend gegenueberstehender Fachbeamter mit 
abgeschlossenem Jurastudium, der in einem der Justizministerien der 
EU-Staaten fuer seinen Minister eine Analyse des 
Parlamentsbeschlusses machen soll, koennte nicht anders als zu dem 
Ergebnis zu kommen, dass der Text nicht in der vorliegenden Form 
verabschiedet werden kann.

Was soll so ein Fachbeamter seinem Chef empfehlen?

Es waere wohl etwas naiv anzunehmen, dass die Regierungen der EU-
Staaten dann ihre Fachbeamten herummaikaefern lassen, um das vom FFII 
Gewollte in eine anstaendige juristische Form zu bringen, falls das 
denn ueberhaupt theoretisch moeglich sein sollte. Auf der Ebene der 
EU-Ministerkonferenz sehe ich jedenfalls derzeit ueberhaupt nicht 
einmal einen Ansatz fuer eine "Common Position", die auch nur 
annaehernd derjenigen des FFII entspricht. Das britische F.O. hat ja 
schon eine deutliche Ansage gegeben. Und: Den Profi-Politikern ist 
natuerlich auch klar, dass der vom Parlament verabschiedete Text in 
verschiedenerlei Hinsicht gegen Art. 27 TRIPS verstoesst (Ich glaube 
nicht, dass die USA die FFII-eigene Auslegung von TRIPS uebernehmen 
werden!). Es ist sicher, dass in den U.S.A. die Entwicklung der 
Patentpolitik in Europa mit Argusaugen betrachtet wird; das zeigt ja 
auch schon das vom FFII veroeffentlichte Schreiben des U.S.-
Aussenministeriums an einzelne MEPs. In der derzeitigen Lage der 
vorsichtigen Wiederannaeherung von Kontinentaleuropa (FR, DE) an die 
USA werden die Regierungen es nicht zulassen, dass wegen 
irgendwelcher und globalpolitisch gesehen eher nebensaechlicher 
Patentfragen ein neuer Handelskonflikt hochkocht.   

Im Ergebnis ist die Frage wohl nur noch die, wer den "Schwarzen 
Peter" zugeschoben bekommt, die Richtlinie zu beerdigen: Der EU-
Ministerrat oder die EU-Kommission.

Das Europaeische Parlament hat sich mit der Abstimmung schwer selbst 
geschaedigt. Es hat zugelassen, dass ein im handwerklichen Sinne 
dilettantisches Gesetzeswerk in erster Lesung verabschiedet worden 
ist, ganz abgesehen von dem dahinterligenden politischen Disput.

Der Ort, an dem im parlamentarischen Prozess der juristische 
Sachverstand einfliesst, ist normalerweise die Ausschussarbeit. Die 
Fraktionen sind analog zu ihrer Staerke im Plenum auch in den 
Ausschuessen vertreten, und in diesen verkleinerten Abbildern des 
Parlamentes passt man normalerweise auf, dass der Output "Hand und 
Fuss" hat. Im vorliegenden Fall war das der JURI-Ausschuss, in dieser 
Sache koordiniert von Frau McCarthy. Es darf eigentlich im 
politischen Geschaeft nicht passieren, ja es ist einfach 
unprofessionell, dass im Plenum nach abgeschlossener Ausschussarbeit 
noch einmal eine wilde Abstimmungs-Orgie ueber 
groessenordnungsmaessig 10^2 Aenderungsantraege abgehalten wird, 
wobei vorher klar gewesen sein muesste, dass sich diese Antraege 
teilweise ueberlappen, teilweise aber auch widersprechen. Hier hat 
die Koordinierung der Plenumsarbeit schlicht und einfach versagt. Ich 
weiss nicht, warum das passiert ist; wenn die Vernunft die Oberhand 
behalten haette, waere es wohl klueger gewesen, den ganzen Kram 
nochmal an JURI zurueckzuueberweisen (falls das ueberhaupt moeglich 
ist; ich kenne die Geschaeftsordnungen nicht im Detail). So aber ist 
das Kind nun in den Brunnen gefallen, und das Parlament hat sich in 
der gesamten juristischen Fachwelt ziemlich blamiert.

Der FFII hat es somit geschafft, mit einer einzigen Aktion sowohl das 
Europaeische Parlament zu blamieren als auch den Zielen der Free 
Software nachhaltig zu schaden: Haette sich der FFII an die sonst im 
Lobby-Geschaeft ueblichen Spielregeln gehalten und statt radikaler, 
unausgegorener Maximalforderungen kleinere, kompromisshaftere 
Verbesserungen fuer die Free-Software-Szene in das Parlament 
eingetraeufelt, waere das vermutlich durchgegangen - mit etwas Glueck 
auch durch den Rat. So wird kommen, was kommen muss- der grosse 
Rollback, allerspaetestens dann, wenn die USA deutlich machen, dass 
sie hinsichtlich TRIPS nicht mit sich spassen lassen.

Aber vielleicht hat der FFII dann ja wenigstens den Mut, konsequent 
zu seinen eigentlichen Zielen zu stehen und die Abschaffung der WTO 
und des damit im Zusammenhang stehenden verhassten TRIPS-Abkommens zu 
betreiben. Womit wir wieder beim Thema FFII <---> ATTAC bzw. 
Globalisierungskritik waeren.

Im uebrigen darf ich hier daran erinnern, dass ein Europaeischer 
Nationalstaat oder irgend ein Aequivalent eines solchen 
Nationalstaates, der von einer durch das Europaeischen Parlament 
gewaehlten und kontrollierten Regierung regiert wird, derzeit 
schlicht und einfach nicht existiert. Das EP ist derzeit ein Aliud. 
Das Demokratische an Europa sind derzeit die nationalen Parlamente, 
die die jeweiligen nationalen Regierungen kontrollieren. Alles andere 
leitet sich bislang bloss sekundaer davon ab, bis hin zur Besetzung 
der EU-Kommissarsposten und, selbstverstaendlich, der Auswahl der 
Leute, die im EU-Rat agieren. Das Europaeische Parlament ist eine 
Versammlung von Leuten, die zwar unmittelbar vom Volk gewaehlt sind; 
es ermangelt ihm aber eine verfassungsmaessige Rollenzuschreibung, 
die ihm Befugnisse gibt, die denjenigen eines Parlamentes im 
herkoemmlichen Sinne entsprechen. Eine Aufhebung der Entscheidung des 
Parlamentes durch die EU-Kommission oder durch den Rat gemaess den 
Bestimmungen der EU-Vertraege waere daher nicht "nur" legal; sie 
waere auch voll im Sinne des derzeit noch gueltigen 
Konstruktionsprinzips der EU.  

Dessenungeachtet wird der FFII-Dilettantenverein natuerlich in 
Riesengeheul veranstalten, falls Bolkestein von seinen Rechten 
Gebrauch macht; soviel scheint schon heute sicher zu sein.

--AHH

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