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TP: Berufsverbot für Mediendesigner?



http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/15886/1.html

Berufsverbot für Mediendesigner?

Wolf-Dieter Roth   17.10.2003 

Alvar Freude hat sich als Netzaktionist einen Namen gemacht und ist 
mittlerweile auch diversen Staatsanwaltschaften ein Begriff. Diese 
übertreffen in ihren Reaktionen jedoch inzwischen sogar seine eigenen 
satirischen Fähigkeiten. 

 Alvar Freude [1] hat sich schon in seiner Diplomarbeit praktisch mit 
einem gefährlichen Thema beschäftigt: Zensur. Über einen leicht 
 modifizierten Proxy [2] wurden im Projekt  Insert Coin [3] alle 
Webzugriffe der ca. 250 anderen Studenten und Mitarbeiter der 
Merz-Akademie in Stuttgart gefiltert und manipuliert. So wurden gängige 
Suchmaschinen mit einer zusätzlichen "Denunzierfunktion" versehen, um 
illegale Inhalte auf den gefundenen Seiten einem "Zensor" zu melden. 
Das fiel jedoch den Nutzer gar nicht weiter auf und führte auch nach 
Bekanntgabe der Aktion nicht zu größerer Beunruhigung oder Abschalten 
des Proxies durch die User. 2001 bekam Alvar damit sein Diplom als 
Kommunikations-Designer. 

Ein späteres Projekt, der  Assoziations-Blaster [4], bekam dagegen 
Ärger, weil er Webseiten zwar ergänzt, aber nicht zensiert: Wer hier an 
 geeigneter Stelle [5] Webadressen eingibt, bekommt die betreffende 
Seite mit zusätzlichen Kommentaren, eben Assoziationen präsentiert und 
auch sonst können die Benutzer Begriffe mit Assoziationen versehen. 
Dies benutzte zunächst eine Softwarefirma, um das System unter allen 
möglichen Begriffen mit Werbung für sich zu spammen, so wie es heute 
mit Suchmaschinen gemacht wird. Als die User dies entsprechend 
kommentierten, wollte die Firma die Abschaltung des Projekts 
 durchsetzen [6]. 

Bahn fährt Assoziationsblaster an den Wagen 

Danach hatte die deutsche Bundesbahn  entdeckt [7], dass auch über den 
Webblaster der von ihr verfolgte Text aus der Zeitschrift "Radikal" 
über das Lahmlegen von Zügen erreichbar ist. Klar, der Webblaster ist 
ja kein Zensurtool - was man aufruft, wird auch angezeigt und lediglich 
mit zusätzlichen Assoziationen versehen. Doch das wollte die Bahn 
 nicht akzeptieren [8]. 

Als Verfechter der Informationsfreiheit hatte Alvar Freude jedoch auch 
öfters gegen die Zensurpläne von Jürgen Büssow, Präsident der 
Bezirksregierung Düsseldorf, Stellung  bezogen [9], der ja nun 
ebenfalls Zensurfilter aufstellen lassen will - diesmal jedoch 
 echte [10]. Von vier beabsichtigten zu sperrenden Seiten blieben am 
Ende nur zwei Nazisites, doch es geht ums Prinzip: Ist so ein Verfahren 
einmal bei Regierung und Providern Routine, kann schnell auch jede 
andere missliebige Seite aus dem deutschen ebenso wie aus dem 
chinesischen oder arabischen Internet ausgeblendet werden. Alvar Freude 
stellte eine  Strafanzeige [11] gegen die Bezirksregierung sowie die 
beteiligten Provider, da diese Aufrufe der gesperrten Seiten zumindest 
teilweise an die Bezirksregierung Düsseldorf weiterleiteten - und damit 
auch an die gesperrten Adressen gesandte Emails. Die  Antwort [12] der 
Staatsanwaltschaft Köln ist teils absurd: 

 Auch eine Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses gemäß § 206 
StGB ist nicht gegeben. Es wird keine Sendung im Sinne des Absatz 2 
dieser Vorschrift unterdrückt. "Sendung" ist in diesem Zusammenhang 
nach einhelliger Ansicht ausschließlich ein körperlicher Gegenstand, 
also nicht die elektronische Post.   

Das Unterschlagen von Emails - unabhängig davon, ob dies in diesem Fall 
konkret stattgefunden hat - ist also nach Ansicht der 
Staatsanwaltschaft Köln im Gegensatz zum Unterschlagen von Briefpost in 
Deutschland legal. 

Strafanzeige gegen Büssow 

Ärger rief jedoch eine zweite Aktion von Alvar hervor: Der 
Vorlesedienst "Tele Trust", der sich nicht etwa wegen George W. Bush 
sondern infolge einer jener beliebten Markenstreitigkeiten politisch 
korrekt in "Freedom Fone" umbenennen musste, bietet an, in 
Nordrhein-Westfalen gesperrte Internetseiten am Telefon 
 vorzulesen [13]. Natürlich eine völlig lächerliche Idee, eine Satire, 
die spätestens bei Sexseiten, aber auch bei der von Büssow ebenfalls 
inkriminierten Website  Rotten.com [14] mit ihren Sammlungen bizarrer 
Bilder zu absurden Dialogen am Telefon führen dürfte ("Also, das 
[schluck] ist ja ein ziemlich ekeliges Bild. Also ... da ist ein Hase 
zu sehen, anscheinend ein Osterhase ... die bunten Eier sind neben dem 
Korb verstreut und plattgefahren und der Hase ... ach rufen Sie doch 
bitte in 10 Minuten wieder an und wählen Sie eine andere Seite, ich 
muss mal eine Runde kotzen...."). 

Doch trotz offensichtlich lächerlicher Aufmachung - in den "Top 7" der 
angeblich in Nordrhein-Westfalen gefilterten und deshalb am Telefon 
vorgelesenen, doch in Wirklichkeit aus einem Pool von URLs zufällig 
gewählten Seiten wird regelmäßig "csu.de" eingeblendet und man behält 
sich Provisionen bei Gewinnen auf Glücksspielseiten vor, zudem werden 
New-Economy-reife Jobausschreibungen  veröffentlicht [15] - wurde der 
"Dienst" von der Staatsanwaltschaft Stuttgart nun  aufs Korn 
genommen [16] - und das ziemlich heftig. Dabei wird nicht nur die 
Weiterleitung von Odem.org auf andere Websites mittels Redirect 
technisch völlig falsch als Umgehung bestehender Websitesperren 
interpretiert und ihm gar Unterstütung von Nazis und Volksverhetzung 
vorgeworfen. Man droht Alvar über seinen Anwalt auch offen damit, neben 
Haft die "Tatmittel einzuziehen und ein Berufsverbot auszusprechen". 

Tatmittel einziehen? Welche denn? Computer, Telefon oder gar die 
Brille? - Alvar ist schließlich Brillenträger und könnte ohne Brille 
keine Webseiten mehr vorlesen. Berufsverbot als freiberuflicher Medien- 
und Webdesigner. Wie soll das gehen? Werden dann etwa Firmen verklagt, 
die Alvar Freude Aufträge geben? 

Dabei werden Alvar mittlerweile auch Verlinkungen zu Webseiten zur Last 
gelegt, die weder mit den bisherigen Sperrverfügungen noch seinen 
Projekten irgendwie zu tun haben, sich aber im Laufe der Arbeiten an 
den Sperrverfügungen in den Akten angesammelt haben. 

Tatsächlich haben in den rund 2 Jahren seit Bestehen des Dienstes 
gerade eine Handvoll Leute überhaupt die 0190-Nummer von "Freedom Fone" 
angerufen - und niemand wollte sich dabei rechtsradikale Seiten 
vorlesen lassen, so Freude. 

Alvar Freude ist ein exzellenter Satiriker - doch in Staatsanwalt 
Milionis scheint er seinen Meister gefunden zu haben: So etwas Absurdes 
hätte er sich auf Odem.org nie selbst ausdenken können. Leider besteht 
jedoch die Gefahr, dass der Staatsanwalt gar keine Satire im Sinn hat, 
sondern sein Vorhaben völlig ernst meint. Zu einem Gespräch mit 
Telepolis war er nicht bereit. 

Links 

[1] http://alvar.a-blast.org/vita.de.html
[2] http://odem.org/insert_coin/experiment/proxy.html
[3] http://odem.org/insert_coin/
[4] http://www.assoziations-blaster.de
[5] http://www.assoziations-blaster.de/web-blast.html
[6] http://www.assoziations-blaster.de/offline.html
[7] http://www.heise.de/newsticker/data/anw-25.02.03-008
[8] http://www.assoziations-blaster.de/bahn/
[9] http://odem.org/informationsfreiheit/o-ton--wieviel-und-was.html
[10] http://www.heise.de/newsticker/data/jk-08.02.02-011/
[11] http://www.odem.org/zensur/anzeige/
[12] http://www.odem.org/zensur/anzeige/koeln-antwort.html
[13] http://w2p.odem.org/
[14] http://www.rotten.com/
[15] http://w2p.odem.org/jobs.html
[16] http://odem.org/aktuelles/staatsanwalt.de.html

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