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Re: Hohmann und Internet



On Tue, 11 Nov 2003, Matthias Hannich wrote:

> Ist es denn nicht so, dass
> antisemitistisches Gedankengut hier fruchtbaren Boden findet, nein
> vermutlich sogar gut gedeiht und seit Jahrzehnten gehegt und gepflegt
> wird?

Nein, das stimmt nicht.

Fuer die Mehrzahl der Deutschen spielen Gedanken, Juden betreffend, im
Alltag kaum eine Rolle.

Eher koennte es Dir passieren, dass sich jemand ueber "den Tuerken"
beschwert.

Die zweistellige Prozentzahl tuerkischstaemmiger Buerger in den
westdeutschen Grossstaedten ist offensichtlich und Teil des Alltags eines
jeden Buergers, der hier wohnt. Die Anzahl der Juden, zusammen mit der
Tatsache, dass sie zumeist halt im Alltag gar nicht auffallen, ist dagegen
unbedeutend. Ein juedisscher Rabbi ist ein Kuriosum, welches einem, wenn
man nicht direkt neben einer Synagoge wohnt, einmal im Jahr begegnet.

Einstellungen werden in der Regel im Zusammentreffen mit Vertretern
anderer Kulturen gepraegt. Meine Nichte, aufgewachsen auf einem
mecklenburgischen Dorf, war als Jugendliche fuer antituerkische Parolen
sehr empfaenglich. Sie hatte tuerkische Jugendliche gelegentlich inm
Diskos kennengelernt und fand sie unertraeglich. Sie wuerde von ihnen
"penetrant machomaessig angemacht".

Das Thema Judentum kommt in der Regel in zwei Zusammenhaengen vor:
Holocaust und Israel.

Dass im Zusammenhang mit dem Holocaust antisemitisches Gedankengut
gepflegt wird, kann man nicht wirklich behaupten.

Die Beschaeftigung mit israelischer Politik ist da schon "heisser".
Israelis bis hin zu hohen Politikern werfen jedem, der ihre Politik
ktitisiert, pauschal Antisemitismus vor.

Ich bin von der israelischen Politik auch nicht sonderlich begeistert,
wehre mich aber gegen einen Vorwurf des Antisemitismus.

Die Moellemann-Aeusserungen sind ja aeusserst problematisch, ich denke, es
gibt nicht allzuviele, die mir widersprechen, wenn ich ihn einen
Populisten halte. Er weiss durchaus, wie die deutsche Oeffentlichkeit zu
aktivieren ist, um Aufmerksamkeit zu bekommen.

Wie er dazu gekommen ist, sich in einer Deutsch-Palaestinensischen
Organisation zu betaetigen, ist mir aber unbekannt.

Dabei wird er moeglicherweise auch Einblicke in die palaestinensische
Alltagswelt bekommen haben. Hier gibt es inzwischen ganze Generationen,
die mit israelischen Soldaten, Ausgangssperren, Besetzungen,
Passkontrollen, Reisebeschraenkungen, der taeglichen Angst vor irgendwo
aufflammenden Schusswechseln, Bulldozern, Razzien etc. aufgewachsen sind,
die fuer uns kaum vorstellbar sind.

Der palaestinensiche Selbstmordattentaeter in Haifa betritt in einer
Freitagabenddisko unschuldiger israelischer Jugendlicher eine
Lebenswelt, die ihm nur unwirklich erscheinen kann, wenn er an sein
Zuhause denkt. Und es sind die gleichen jungen Leute, die ihren Wehrdienst
ableisten und so in den Strassen seiner Heimat taeglich praesent sind.

Die Labelung solcher Gedanken mit Antisemitismus gleichzusetzen, ist ein
Reflex, den ich fuer mich nicht gelten lassen moechte. Denkverbote
erschweren die Loesungssuche in dem emotional aufgeladenen
Nahost-Konflikt, der weltweite Auswirkungen hat, erheblich.

Es ist aber gerade wegen der emotional aufgeladenen Atmosphaere durchaus
nicht unklug, als Deutscher nicht in der vordersten Front an der
Konfliktloesung beteiligt zu sein. Es mag Joschka Fischer ein ernstes
Anliegen sein, ich bin mir aber nicht sicher, ob meine Landleute die
geeignetsten Friedensstifter in einem Konflikt sind, in den ein juedischer
Stast involviert ist. Ein Blauhelm von der Bundeswehr ist hier sicher an
einem der ungeeignetsten Orte.

Es gruesst
Peter

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