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heise online: Jugendmedienschutz im Internet: Deutsche setzen zu sehr auf Verbote



Diese Meldung aus dem heise online-Newsticker wurde Ihnen
von "Joerg-Olaf Schaefers <listen@fx3.de>" gesandt.
Wir weisen darauf hin, dass die Absenderangabe nicht verifiziert
ist. Sollten Sie Zweifel an der Authentizität des Absenders haben,
ignorieren Sie diese E-Mail bitte.
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Bei "Rüttelbilder" musste ich schmunzeln. Aber das mag 
auch an meiner schmutzigem Phantasie liegen .. 
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Jugendmedienschutz im Internet: Deutsche setzen zu sehr auf Verbote



 Der im April eingeführte Jugendmedienschutzstaatsvertrag[1] (JMStV)
widerspricht in Teilen dem Zensurverbot des Artikels 5 Grundgesetz: Diese
harte Kritik an dem neuen Gesetzeswerk übte bei einer Veranstaltung der
Saarländischen Landesmedienanstalt (LMS) und des Europäischen Instituts für
Medienrecht (EMR) zu "Pornografie im Pocketformat[2]" der Leipziger
Juraprofessor Heribert Schumann. Das neue Gesetzeswerk habe sprachliche,
handwerkliche und juristische Defizite. Schumanns Beurteilung fiel damit
negativer aus als die Bewertung der eingeladenen
Selbstkontrolleinrichtungen Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK[3]),
der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia (FSM[4]) und der Freiwilligen
Selbstkontrolle Film (FSF[5]). 

 Verfassungsrechtlich verbotene Vorzensur finde dann statt, meinte
Schumann, wenn Webseiten indiziert würden und anschließend neue Inhalte
vorlegen müssten, damit die Indizierung wieder aufgehoben wird. Anders als
im Bereich klassischer Printmedien seien Webinhalte eben dynamisch. Daher
sei die Indizierung von Webadressen, die nun in der Verantwortung von
Kommission für den Jugendmedienschutz (KJM[6]) und Bundesprüfstelle[7] für
jugendgefährdende Medien liegen, hoch problematisch, sagte Schumann
gegenüber heise online. Für rund 80 Webseiten wird nach Angaben der KJM
derzeit ein Indizierungsantrag geprüft.

 Insgesamt stellt der Jurist dem Gesetzgeber ein miserables Zeugnis aus. Er
habe nicht nur mit unbestimmten Rechtsbegriffen gearbeitet -- Pornographie
oder Entwicklungsbeeinträchtigung sind zu wenig definiert --, sondern noch
nicht einmal auf Konsistenz innerhalb des Staatsvertrags geachtet. Über die
verfassungsmäßig gebotenen Ziele im Jugendschutz sei man hinausgeschossen.
"Wir leiden an Überregulierung", sagte Schumann. Ganz offensichtlich neige
man in Deutschland allzu schnell zu Verboten. "Man sieht immer erst die
Gefahren, und nicht die Chancen. Freiheit wird nicht geschätzt, allenfalls
die Freiheit der Wirtschaft." Die besondere Betonung des
Pornographieverbotes hält er vor allem im Vergleich zur liberaleren
Beurteilung von Boxkämpfen, bei denen in Slow Motion gezeigt werde, wie
sich die Boxer die Nasen brechen, für unverständlich. "Es soll mir mal
jemand erklären, was an einvernehmlicher Promiskuität rechtlich zu
beanstanden ist." Der strikte deutsche Pornographiebegriff sei auf Dauer
unhaltbar. Und Österreich beispielsweise komme mit deutliche weniger
Regulierung aus, ohne dass in der Alpenrepublik Sodom und Gomorrah Einzug
gehalten hätten.

 Schumanns Verdikt blieb nicht unwidersprochen. Jörg Ukrow, Mitglied im
EMR-Vorstand, betonte den hervorgehobenen Rang des Jugendschutzes, der die
Einschränkung anderer verfassungsrechtlicher Rechte eben genau vorsehe.
Regina Käseberg, Jugendreferentin des für den Staatsvertrag federführenden
rheinland-pfälzischen Familienministeriums, sagte, der Staat müsse sich
heute mittels Schule und Jugendhilfe sogar mehr für den Jugendschutz
engagieren als früher, weil die Erziehungsverantwortung in den Familien
abgenommen habe. Als Beispiel für den unbestimmten, neuen Begriff der
"Entwicklungsbeeinträchtigung" nannte Käseberg aggressive Werbung für
"Alkopops" gerade für Teenager. Der Leiter von jugendschutz.net[8],
Friedemann Schindler, verwies in diesem Zusammenhang auf "Rüttelbilder",
Popups von Erotikanbietern, die sich nacheinander öffnen, wenn der mehr
oder weniger jugendliche Nutzer versucht, sie zu schließen. Käseberg sagte,
der Staat müsse sich bei der Auslegung des Pornografiebegriffs daran
orientieren, was gesamtgesellschaftlich als für Jugendliche schädlich
angenommen werde. Sie hält eine Nivellierung zugunsten einer
EU-Harmonisierung gar nicht für erstrebenswert.

 Mit der Neuverteilung der Bund-Länderkompetenzen im Jugendschutzgesetz und
dem Jugendmedienschutzstaatsvertrag und der zentralen Kommission für den
Jugendmedienschutz habe man Neuland betreten, betonte Käseberg. Die Rolle
der Selbstregulierungsorganisationen in den beiden Systemen ist
unterschiedlich. Haben Videofilm oder Computerspiel einmal eine
Altersfreigabe, sind sie auf der sicheren Seite. Beim Jugendmedienschutz,
der Rundfunk, Telemedien und vor allem das Internet betrifft, sind sie vor
dem Verdikt durch die KJM noch nicht geschützt. Ganz an die Medienpolitik
abgeben will man das Thema ungern, meinte Käseberg. In fünf Jahren soll
überprüft werden, wie praxistauglich das neue System ist und ob man
Kompetenzen in die richtigen Hände gelegt habe. (Monika Ermert) /
(jk[9]/c't)

URL dieses Artikels:
 http://www.heise.de/newsticker/data/jk-05.12.03-002/

Links in diesem Artikel:
 [1] http://www.heise.de/newsticker/data/jk-31.03.03-001/
 [2] http://www.emr-sb.de/news/Innen04122003.pdf
 [3] http://www.usk.de
 [4] http://www.fsm.de
 [5] http://www.fsf.de
 [6] http://www.alm.de/gem_stellen/gem_stellen_kjm.htm
 [7] http://www.bundespruefstelle.de/
 [8] http://www.jugendschutz.net
 [9] mailto:jk@ct.heise.de

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