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Re: BGH-Entscheidung: T-Online darf Verbindungsdaten nicht mehr speichern



Hallo Hartmut,
hallo Liste!

PILCH Hartmut schrieb/wrote (06.12.2006 21:27):

>>> Bekanntlich geraten Rechte haeufig zueinander in Konflikt, und dann
>>> muessen Richter abwaegen, was Rechtsunsicherheit bedeutet.  
>>> Weniger ist also manchmal mehr.
>>
>> ???
>> Die Notwendigkeit, Rechte gerichtlich gegeneinander abwägen zu lassen,
>> entsteht nicht aus einem "zu viel" an Rechten (so verstehe ich Dein
>> "Weniger ist manchmal mehr"), sondern wenn überhaupt, dann daraus, dass
>> die Grenzen und die Gewichtung der Rechte nur unzureichend definiert sind.
> 
> Etwa die "Meinungsfreiheit" wird inzwischen so intensiv gegen andere
> Rechte abgewogen, dass davon im Endeffekt nicht mehr viel übrig bleibt,
> was etwa ein Blogger als sein Recht wahrnehmen könnte.

Die Meinungsfreiheit ist extrem begrenzt, da stimme ich Dir zu.

Aber ich kann Dir nicht folgen, wenn Du sagst, dass das an einem
"zuviel" an Rechten liegt.


>>> NB bin ich auch der Meinung, dass sich die Freizuegigkeit tatsaechlich 
>>> nicht aus Menschenrechten sondern aus Gesellschaftsvertraegen ergibt
>> 
>> Das Wort "Gesellschaftsverträge" halte ich für extrem irreführend. Ein
>> Vertrag wird zwischen den betroffenen Parteien geschlossen. 
> 
> Das sind die Bürger eines Gemeinswesens, eines Staates.

Ich kann mich nicht erinnern, als Bürger der BRD mit diesem oder einem
anderen Staat einen Vertrag über die bestehenden Gesetze geschlossen zu
haben.


>> Im Zusammenhang mit grenzüberschreitender Freizügigkeit werden aber die
>> Betroffenen überhaupt nicht gefragt.
> 
> Sie können durch zwischenstaatliche Vereinbarungen indirekt daran mitwirken.

Was heißt das für Kiddinan Thadchanamoorthy aus Sri Lanka, der seit
zwölf Jahren in Deutschland (in der Nähe von Münster) lebte? Was heißt
das für seine Frau Menaka und die drei gemeinsamen, in Deutschland
geborenen Kinder? (Der Vater wurde im Herbst inhaftiert (Abschiebehaft),
die Kinder - das jüngste wurde 2005 geboren - wurden von ihren Eltern
getrennt, die ganze Familie wurde Ende Oktober deportiert.)

Wo genau haben diese Menschen einen "Vertrag" abgeschlossen?


>> Es fördert also die Freiheit, wenn Menschen nicht selbst entscheiden
>> dürfen, wo sie leben wollen? Das musst Du genauer erklären. - Vielleicht
>> war "die Mauer" also doch nicht etwas Freiheitsbeschränkendes, sondern
>> ein die Freiheit fördernder Schutzwall???
> 
> Es fördert die Freiheit, wenn die Bürger in der Lage sind, die Regeln
> ihres Zusammenlebens über politische Willensbildung zu bestimmen.

Aha. Und wo hat Familie Thadchanamoorthy es versäumt, ihr Zusammenleben
mit anderen Menschen richtig "zu bestimmen"?


> Die Mauer wäre vielleicht legitim gewesen, wenn der Zusammenschluss namens
> "DDR" ein Gemeinswesen freier Bürger gewesen wäre, die beschlossen hätten,
> sich abkapseln zu wollen.

Was meinst Du mit "Gemeinwesen freier Bürger"? Die Mauer wäre also okay
gewesen, wenn 50,01 % der DDR-BürgerInnen für die Mauer gewesen wären?
Dann wäre es in Ordnung gewesen, die übrigen 49.99% in ihrer
Freizügigkeit zu beschränken?


> Rechte von jedem gegen jedem richten derzeit im Internet ziemlich viel
> Schaden an.

???

Mangelnde Rechte richten nicht weniger Schaden an. Hast Du nicht selbst
oben das mangelnde Recht auf Meinungsfreiheit von Bloggern beklagt?


> Die Abmahnung
> des Seitenbetreibers durch einen in seinem Recht auf i.S. verletzten
> Abmahngrafen rückt in greifbare Nähe.

Ich verstehe nicht, was Du immer mit Günter Gravenreuth hast. Ein Gesetz
ist doch nicht deshalb richtig oder falsch, weil die Möglichkeit
besteht, dass auch er sich auf dieses Gesetz bezieht.


> Und man sage nicht, das liege nur an der Ausgestaltung der Prozeduren,
> etwa ZPO.  Diese Diskussion hatten wir schon 2000 bei den Softwarepatenten,
> als einige Fitugler meinten, man müsste bei den Swpat nur die ZPO-Prozeduren
> ändern.  Diese Prozeduren sind aber nicht unbedingt falsch.  Sie erfüllen
> in vielen Bereichen ihre Funktionen recht gut, und man kann sie nicht so 
> einfach speziell für gewisse Bereiche abändern.  Wenn man das muss, dann
> ist an den postulierten Rechten etwas faul.

Ja. Softwarepatente sind grundsätzlich falsch, und gesetzliche
Einzelbestimmungen mögen die Folgen abmildern können, aber die können
das grundsätzlich Falsche nicht ändern.

Aber: Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ist
grundsätzlich richtig, und gesetzliche Einzelbestimmungen mögen im
Einzelfall schädlich sein, aber das ändert nichts daran, dass der
Grundsatz stimmt.


>> Eine scharfe Waffe kann ich darin nun wirklich nicht erkennen. Im
>> Gegenteil! Die meisten Verstöße gegen das Grundrecht auf informationelle
>> Selbstbestimmung sind nicht strafbewehrt, entsprechend rücksichtslos
>> wird die informationelle Selbstbestimmung auch mit Füßen getreten.
> 
> Demnach müssen wir auch noch ein IPRED2 für "informationelle Selbstbestimmung"
> befürchten.

Nein. Wenn Du Dich ohnehin am Grundsatz der Datensparsamkeit
orientierst, dann musst Du Gesetze, die die Datensparsamkeit
konkretisieren, nicht fürchten.

(Bei den IPRED-Gesetzen zum geistigen Eigentum ist die Sachlage anders.
Die muss wirklich jeder und jede befürchten, denn irgendwelche geistigen
Errungenschaften, die andere sich haben sichern lassen, nutzt nun
wirklich jeder und jede, sei es wissentlich oder unwissentlich.)


>> Bei Apache-Logs wird es in den meisten Fällen (d. h. wenn die Logs nicht
>> zu Ungunsten der Betroffenen missbraucht wurden) kaum möglich sein, zu
>> beweisen, dass personenbezogene Daten illegal aufgezeichnet werden.
> 
> Dann hätten wir nur durch eher zufällige Umstände eine Abmahnwelle vermieden.
> An der Substanz ändert das nichts.
> Z.B. bei Vereinen oder Firmen gibt es durchaus eine Menge Leute, die bezeugen
> können, dass da ein normaler Apache-Webserver läuft.

Auch ein normaler Apache lässt sich trivial so konfigurieren, dass er
keine personenbezogenen Daten (insbesondere IP-Adressen) speichert.


>> Wenn bekannt und beweisbar wird, dass jemand illegal personenbezogene Daten
>> protokolliert, dann wird das in der Regel deshalb bekannt/beweisbar, weil
>> die Daten missbraucht wurden.
> 
> "Illegal" ist ja schon das normale Protokollieren.

Was heißt hier "normal"? Ich finde es keineswegs normal, wenn
IP-Adressen protokolliert werden.


> Ich hätte also gerne ein paar weniger und dafür verlässliche Grundrechte, etwa
> ein System, indem man wissen kann:
>  - Was ich selbst schreibe gehört mir

Bei Tagebüchern o. ä.: ja. Ansonsten finde ich das hochproblematisch. In
dem Moment, wo Du etwas Geschriebenes veröffentlichst, gehört es m. E.
der Allgemeinheit.


>  - Ich kann schreiben was ich will, riskiere dabei nur meine
>    Glaubwürdigkeit

Du willst also, dass z. B. die BLÖD-Zeitung schreiben darf:

"Das Gericht wollte dem Kinderschänder und mutmaßlichen Terrorist
Hartmut "Mohamed" Pilch (Musterstraße 1 in 12345 Musterstadt, Tel. 0123
45678, Handy 0172 3456789 - Portätfoto über diesem Artikel) keine
Straftat nachweisen können. Deshalb, liebe BLÖD-Leser: Wehrt euch!
Schützt euch und eure Kinder! Sorgt dafür, dass "Mohamed" Pilch
niemandem mehr auch nur ein Haar krümmen kann!"

?


>  - Vertraulichkeit ist im Sinne expliziter oder z.T. impliziter Vereinbarungen,
>    nicht im Sinne von Grundrechten, zu wahren.  Wer meine Webseiten sehen
>    will, akzeptiert damit implizit, dass ich seine IP kenne und
>    vertraulich behandle (sofern er selbst keinen Grund zu öffentlichem Streit gibt).

Das finde ich absolut inakzeptabel.

Das Internet tritt nicht nur an die Stelle persönlicher Kontakte (z. B.
E-Mail als Ersatz für Briefe/Telefonate), sondern es tritt auch an die
Stelle zahlreicher Medien, bei denen früher "der Sender" nicht wusste,
wer "der Empfänger" war und welche Informationen genau er abgerufen hat:

- Früher haben Zeitungen/Zeitschriften, Radio- und TV-Sendungen
politische Nachrichten verbreitet. Nur bei Abonnements war
nachvollziehbar, wer welche Medien überhaupt bezogen hat. Wer sich für
welche Nachrichten interessierte, war nicht nachvollziehbar. Das ist bei
Nachrichten-Webseiten bzw. Online-Ausgaben von Zeitungen anders.

- Früher wurden Adressen und Telefonnummern in dicken Büchern
nachgeschlagen (bei der Post lagen auch die Telefonbücher anderer Städte
aus). Wer sich für wen interessiert hat, war nicht nachvollziehbar. Das
ist mit www.das-oertliche.de u. ä. anders.

- Früher wurden Bahnfahrten im Kursbuch nachgeschlagen, wer wohin reisen
wollte war nicht nachvollziehbar. Das ist mit www.bahn.de anders.

- Früher wurde die Route für eine Autofahrt im Straßenatlas
nachgeschlagen, wer wohin fahren wollte war nicht nachvollziehbar. Das
ist mit www.map24.de anders.

... Die Aufzählung ließe sich fast beliebig fortsetzen.

Dazu kommt, dass ich beim normalen Umgang mit dem Internet (insbesondere
mit Suchmaschinen) massenhaft mit InhalteanbieterInnen kommuniziere, die
ich überhaupt nicht kenne und in die ich schon deshalb kein Vertrauen
entwickeln kann.


Die Veränderungen von Kommunikation, die die Digitalisierung und das
Internet mit sich bringen, erfordern m. E. ganz dringend, dass die
Persönlichkeitsrechte der einzelnen (und dazu gehört die informationelle
Selbstbestimmung) besonders beachtet werden.

Gruß


Holger

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