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Re: CIX-DE: "Freiwillige Selbstkontrolle"



In article <4qliuh$pk@Dortmund.Germany.EU.net>,
sastre@Anwalt.DE (Michael Schneider) wrote:

> >Die einschlägigen US-Fälle, in denen die Frage der inhaltlichen Kontrolle
> >von Onlinediensten prozeßentscheidend wurden, sind Cubby v Compuserve und
> >Stratton Oakmont v Prodigy. In beiden Fällen ging es um
> >Schadenersatzansprüche der jeweiligen Firmen wegen geschäftsschädigender
> >Angriffe in Foren der jeweiligen Onlinedienste.
>
> Die Situation in Deutschland ist mit US-Recht nicht zu vergleichen. Außerdem
> darf man zivilrechtliche Schadensersatzansprüche und Strafrecht keinesfalls
> durcheinanderbringen. Ich bin der Auffassung, daß man die genannten Fälle
> nicht auf hiesige Verhältnisse übertragen kann.

Der Auffassung bin ich auch. Daß es zwischen Straf- und Zivilrecht, und zumal zwischen deutschem Straf- und US-Zivilrecht Unterschiede gibt, ist mir völlig klar.

Mein Argument war ein anderes. In den genannten Fällen war jeweils prozeßentscheidend, in welchem Ausmaß CIS bzw. Prodigy Forumsmeldungen überwachen.

Hier nochmal die Passagen aus den Urteilen:

1. Aus Cubby v Compuserve:

CompuServe's CIS product is in essence an electronic, for-profit
library that carries a vast number of publications and collects
usage and membership fees from its subscribers in return for access
to the publications.
(...)
While CompuServe may decline to carry
a given publication altogether, in reality, once it does decide to
carry a publication, it will have little or no editorial control
over that publication's contents.
(...)
CompuServe has no more editorial control
over such a publication than does a public library, book store, or
newsstand, and it would be no more feasible for CompuServe to
examine every publication it carries for potentially defamatory
statements than it would be for any other distributor to do so.

2. Aus Stratton Oakmont v Prodigy:

The key distinction between CompuServe and PRODIGY is two fold.
First, PRODIGY held itself out to the public and its members as
controlling the content of its computer bulletin boards.  Second, PRODIGY
implemented this control through its automatic software screening
program, and the guidelines which Board Leaders are required to enforce.
By actively utilizing technology and manpower to delete notes from its
computer bulletin boards on the basis of offensiveness and "bad taste",
for example, PRODIGY is clearly making decisions as to content (see,
Miami Herald Publishing Co. v Tornillo, supra), and such decisions
constitute editiorial control. (Id.) That such control is not complete and
is enforced by as early as the notes arrive and as late as a complaint
is made, does not minimize or eviscerate the simple fact that PRODIGY has
uniquely arrogated to itself the role of determining what is proper for
its members to post and read on its bulletin boards.  Based on the
foregoing, this Court is compelled to conclude that for the purposes of
Plaintiffs' claims in this action, PRODIGY is a publisher rather than a
distributor.
(...)
In contrast, here PRODIGY has virtually created an editorial
staff of Board Leaders who have the ability to continualy monitor
incomong transmissions and in fact do spend time cnesoring notes.  Indeed,
it could be said that PRODIGY's current system of automatic scanning,
Guidelines and Board Leaders may have a chilling effect on freedom of
communication in Cyberspace, and it appears that this chilling effect is
exactly what PRODIGY wants, but for the legal liability that attaches to
such censorship.

Bevor jetzt wieder irgendwelche Schlaumeier ankommen und re 1 sagen, dass aber ein Kiosk in gewissen Fällen eben doch verantwortlich sei, sage ich sicherheitshalber nochmal: Das stimmt, aber darum geht es mir nicht. Mir geht es um die Erkenntnis aus dem Prodigyurteil, die hier deswegen ein zweites Mal kommt:

By actively utilizing technology and manpower to delete notes from its
computer bulletin boards on the basis of offensiveness and "bad taste",
for example, PRODIGY is clearly making decisions as to content..., and
such decisions constitute editiorial control.

> >Derselbe Ansatz stand im übrigen auch hinter Compuserves Entscheidung, im
> >Dezember _alle_ 200 von der bayrischen StA "zur Überprüfung" genannten
> >newsgroups zu sperren. Compuserve wollte gar nicht erst einen Präzedenzfall
> >schaffen und anfangen, Maßstäbe zur Beurteilung von Usenet-Inhalten zu
> >errichten. Deshalb sperrte es pauschal alles und forderte zugleich, die
> >Anklage zurückzuziehen.
>
> Na, prima. Und was soll das jetzt belegen ? Es ist doch wohl besser, sehr
> selektiv einzelne Gruppen zu "sperren", als gleich 200 Stück ?

Das kommt darauf an. Kurzfristig mag das weniger einschneidend und weniger spürbar sein. Langfristig gesehen ist es vielleicht folgenreich, wenn man mit der Selektion eine Rechtsposition aufgibt, nämlich die, ein Common carrier zu sein, den die übertragenen Inhalte nicht interessieren.

> >Niemand verlangt von einem kommerziellen Unternehmen, sei es CIS oder die
> >deutschen ISPs, mit offener Hemdbrust gegen Zensoren den Helden zu spielen.
> >Was man erwarten kann, und was im wohlverstandenen eigenen Interesse auch
> >das schlauste ist, ist, sich konsequent und konsistent als Common carrier
> >zu verhalten.
>
> Was ist das angesichts offizieller und "offiziöser" Aussagen von
> Staatsanwälten und Sprechern der Bundesregierung, die eine Strafbarkeit
> bejahen, anderes, als "den Helden zu spielen" ?

So eindeutig sind deren Äußerungen nun auch wieder nicht. Schmidt-Jortzig und Rüttgers sagen anderes als Kanther und OStA Wick.

Und als Die Deutschen ISPs könnte man ja zum Beispiel auch Aufklärung betreiben. Wenn Du dauernd sagst, daß Dir Sieber so sympathisch ist, dann schick halt allen Staatsanwälten Sieber zu.

Vielleicht hätten die dem nicht alles abgekauft, aber was Ihr mit diesem Vorschlag angerichtet habt, ist viel schlimmer: Für den durchschnittlichen ahnungslosen Staatsanwalt oder Richter, der von den Feinheiten des Usenets keine Ahnung hat, sieht das doch bis jetzt so aus:

1. Es gibt in einer seltsamen Entität namens Internet, von der jetzt alle sprechen, Dateien, die eigentlich verboten sind, deren Produktion, Verbreitung, zT. Besitz strafbar ist.

2. Produzenten und Besitzer sind anscheinend schwer oder gar nicht zu ermitteln, die Verbreiter aber schon.

3. Die Verbreiter heben aber die Hände und behaupten, sie könnten für nix. Naja, glauben wir erstmal nicht. Sollen die erstmal beweisen.

Das ist der Stand vor dem 5. Juni. Da passiert aber was Komisches:

4. Jetzt sagen die Verbreiter plötzlich, sie könnten das doch kontrollieren. Na also, ham wa doch gleich gewußt.

Gerade weil es so ist, daß die Richter und Staatsanwälte, die nachher entscheiden, zur Zeit keine Ahnung haben, so wenig wie die Politiker, die über allerlei Gesetze in diesem Zusammenhang entscheiden und entscheiden werden, ist Euer Vorstoß das falsche Signal zur falschen Zeit.

Mehr noch: er ist unverantwortlich.

> Wer in einer polarisierten Situation
> vermittelnde Ansichten vertritt, muß sich meist von beiden Seiten Angriffe
> gefallen lassen. Genau das tun wir gerade. Für die einen sind wir
> "faschistoide Zensoren" und für die anderen Anarchisten, die eine
> "Law-and-order"-Gesetzgebung sabotieren wollen. Beides ist nicht richtig.

Vermittelnde Ansichten gehören ins Seminar oder in die Literatur und schmücken den, der sie äußert (und das ist nota bene anwalt.de). Das hier ist eine politische Auseinandersetzung, in der es darum geht, eine Position durchzusetzen. Und das tut man nicht, indem man sie in einer wenigstens noch offenen Situation aufgibt.

Boris.

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