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Re: SPD-Medienpolitiker fordert Fuehrerschein



> Freitag, 2. August 1996
> 
> SPD-Medienpolitiker fordert "Internet-Fd-hrerschein"

[...]

Sommerloch-Effekt?
Oder Ernst?

"Was denn, was denn, Sie erdreisten sich hier in diese Newsgroup zu posten?
Mailen sie uns erst mal eine PGP-signierte Kopie Ihres Internet-Fuehrer-
scheins!"

"...Wegen Erreichen von 18 Punkten im Netzverkehrs-Register, u.a. wegen 
Versenden von Mails mit bestimmten verbotenen Worten, Verschwendung von
Netzbandbreite und Verbreiten von Kommentaren in ihm nicht ausdruecklich
zugewiesenen Newsgroups, wird dem Angeklagten X. hiermit der Internet-
Fuehrerschein fuer 3 Monate entzogen. Ferner wird er zum Lesen von 
nicht-elektronischen Schriften, z.B. Zeitungen, fuer drei Monate ohne
Bewaehrung verurteilt. Dem Angeklagten ist es untersagt, drei Monate ein
Modem oder vergleichbare Kommunikationseinrichtungen des in seinem Besitz
befindlichen Network-Computers in Betrieb zu nehmen oder fremde oder oeffentliche
Internet-Kommunikationseinrichtungen zu verwenden. Bei Zuwiderhandlung ist
davon auszugehen, dass X. charakterlich nicht geeignet ist, am Internet
teilzunehmen...."

"Sagen Sie, Herr Verkaeufer, darf ich denn diesen P7++ Hyper-Overdrive
Prozessor ueberhaupt mit meinem Internet-Fuehrerschein Klasse 3 betreiben?"

"Tja, die praktische Pruefung mit Netscape war ja ganz okay, aber bei der
theoretischen Pruefung sind Sie leider durchgefallen. Was soll das heissen, 
Sie sind schon seit 1988 Mitglied bei Compuserve, haben einen Doktor in 
Informatik und dozieren an Unis ueber Netzsicherheit? Also bitte, tut mir 
leid, da koennen wir gar keine Ausnahme machen! Ohne Fuehrerschein keine 
Computerbenutzung mehr! Altlasten, pah..."

"Wir weisen hiermit nochmals daraufhin, dass hier in Bayern nur von oertlichen
Genehmigungsstellen ausgestellte Internet-Fuehrerscheine gelten; aehnliche
Formulare aus NRW, Brandenburg, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern werden
aufgrund schon erwaehnter Verfahrensmaengel bei der Pruefung in diesen
Bundeslaendern nicht akzeptiert."

"Internet-Haftpflichtversicherung ab 1. Juli erforderlich - breite Mehrheit
bei Abstimmung im Bundestag - BVerfG: Keine Bedenken"

...

Also ich bin ja der Ansicht, dass ein solches Papier schon laengst ueberfaellig
war. Muss ja alles hier seine Ordnung haben. Ferner sollte auch endlich mal
die "Verordnung zur Nutzung von Handys in geschlossenen Raeumen" verabschiedet
werden, damit dieses Gesocks endlich aus den Restaurants verschwindet. Und 
bei dem "Kaffe", den ich da unlaengst wieder trinken musste, sollte eigentlich
fuer jeden eine Kaffee-Koch-Lizenz bindend sein (mit entsprechender Pruefung,
natuerlich). Und wenn man sich ueberlegt, was sich da so manche Fussgaenger
im Strassenverkehr herausnehmen, dann sollte man ja doch generell mal einen
Schuhsohlen-Schein einfuehren, und ggf. rigoros Hausarreste aussprechen...

Im Ernst: Was verspricht man sich von einem Papier, welches aussagt, dass
ein Schueler einen Kursus ueber die Internetterei absolviert hat? Da soll
es ja seit geraumer Zeit das "Grosse Latinum" nicht mehr geben, fuer das ich
damals so gebueffelt habe, und die Zensur in Handschrift und Betragen gibt
es auch nicht mehr. Dass Deutsch und Mathematik Grundwissen ist, versteht sich
von selbst, und dass man in ein paar Jahren ohne Informatik-Grundkenntnisse
kein Fenster mehr oeffnen kann, ist ebenso absehbar. Soll Leute geben,
die in Deutsch und Mathe und Latein schlecht waren, und es soll auch noch
Schueler geben, die tolle Gemaelde an die Wand sprayen koennen oder die
100m in 10.5 sec laufen, aber selbst nach dreimaliger Erklaerung nicht die
Spacetaste auf dem Keyboard erkennen (vermutlich nur wenige, aber man kann
dafuer auch heute noch problemlos Informatik-Lehrer blamieren, indem man sie
nach dem Unterschied zwischen TCP und UDP befragt). 

So where is the beef? Muster ohne Wert, das ich mir wie meine Latinum-Urkunde
eingerahmt an die Wand nageln kann, oder ein qualifizierendes Papier, ohne
das ich an der Uni zum Informatik-Studium oder zu entsprechenden Berufen
erst gar nicht zugelassen werde? 

"Ausreichende Medienkompetenz", als Schlagwort hervorragend, aber dann muss
die Frage erlaubt sein, warum erst mit dem Internet; der viereckige Kasten
in der Wohnzimmerecke enthaelt bereits reichlich Betaetigungsfelder in
Form von Privatsendern. Ob da nicht eher die Angst vor der unkontrollierbaren
Anarchie der Internets der Anstoss zum neuerlichen Aktionismus der Politiker
ist? Der folgende Absatz erscheint mir recht merkwuerdig:

> "Die Medienlandschaft formuliert sich neu", betonte Mosdorf. "Noch nie gab
> es so viele Mega-Zusammenschld-sse." Der SPD-Politiker sah in der
> Riesenkonzentration von Unternehmen eine Gefahr fd-r die demokratische
> Kultur. "Meinungsfreiheit und freie Medien sind der Augapfel der Demokratie.
> Wer diesen Augapfel gefCthrdet, gefCthrdet die Demokratie", sagte Mosdorf und
> verwies darauf, da+- der e>ffentlich-rechtliche Rundfunk eine unverzichtbare
> SCtule des Systems freier Medien sei. Gleichzeitig warnte der SPD-Politiker
> aber davor, die HandlungsfCthigkeit deutscher MedienhCtuser im internationalen
> Wettbewerb zu gefCthrden.

Das Internet ist (noch) ein System freier Medien und ein Territorium der
Meinungsfreiheit (inklusive Radikalismus und Verbreitung unliebsamer
Praktiken), und als solches nur durch globale Zensur angreifbar. Mosdorfs
Statement ist ein Rundumschlag: Internet an die Schulen, aber doch nicht 
so ganz, weil die Oeffentlich-Rechtlichen eigentlich die Traeger der Medien-
freiheit seien (es lebe der Bayerische Rundfunk, jawoll!), Verhinderung
von Medienmonopolen, aber nicht, wenn die Medienhaeuser aus dem eigenen
Land kommen.

Fazit: es lebe das Bonner Sommertheater.

-- 
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