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Unbehauene Gedankenfertigteile II



Ulf machte mich darauf aufmerksam, dass dies hier in debate
besser aufgehoben waere. Nun...

Kristian

>From: kris@schulung.netuse.de (Kristian =?ISO-8859-1?Q?K=F6hntopp?=)
>Newsgroups: schulung.lists.fitug-members
>Subject: Unbehauene Gedankenfertigteile II
>Date: 13 Sep 1996 02:16:22 +0200
>Organization: mail2news (local) at white.schulung.netuse.de

Wieder ein paar unsortierte Gedankenfertigteile, diesmal nur
hier auf die Liste und nicht nach de.soc.zensur, da sie zu
unausgegoren sind. Vielleicht steckt mir die mal jemand
zusammen.

Wenn man die Aktion der GBA ein wenig konsequenter durchdenkt,
kommt man auf eine ganze Menge erschreckender Gedanken. Nicht
alle davon sind brauchbar. Trotzdem erklaeren diese Dinger
vielleicht mein allgemeineres und viel tiefer liegendes
Unbehagen bei der ganzen Aktion. An manchen Dingen dreht man
lieber nicht, wenn man nicht alles kaputt machen moechte.

Momentan etwas orientierungslos,
	Kristian

PS: Diesen Artikel widme ich Heiko "Krypto" Recktenwald. :-)




In den Tiernetzen (Fido, Maus, Zerberus, ...) existiert in der
Regel eine Koordination. Diese Koordinationen sind faktisch ein
Witz, da sie mit keinerlei Machtbefugnissen ausgestattet sind,
die sie in irgendeiner Weise die Durchsetzung von Sanktionen
erlauben wuerden. Trotzdem wird in Tiernetzen beim Missbrauch
von Netzmoeglichkeiten schnell der Ruf nach Netzausschluss
(Exkommunikation ...), nach einem harten Durchgreifen der
Koordination und dergleichen mehr laut.

Projeziert man dies auf eco/ICTF und nimmt man den Boos'schen
Ausspruch der Vernickelung bis zum Exitus, sieht es nicht gut
fuer die Reste des USENET/Internet aus...

Diese Entwicklung ist besonders gefaehrlich, weil im
Erwachsenennetz diese Koordination aka der Hohe Medienrath
faktisch mit Sanktionsmassnahmen ausgestattet sein
muss/wird/soll. Diese Sanktionen sind aller Wahrscheinlichkeit
keine technischen wie der unwirksame ICTF-Fremdcancel oder die
Sperrung von Rechnern oder 'stumpf'sinnigen URLs, sondern
juristische. So wie die FSK der Filmwirtschaft gar nicht mehr
so unbedingt F (freiwillig) ist, kann es fuer einen Provider
gut moeglich werden, sich den ICTF-Reglements zu unterwerfen
muessen (DE-CIXer mussen ja offenbar Mitglied bei eco werden).




Der Staat beschuetzt uns und sorgt fuer uns. Der Staat
beschuetzt sich und sorgt fuer sich. Darum muessen bestimmte
Dinge einfach verboten werden, bestimmte Texte unterdrueckt
werden, bestimmte Gedanken ausradiert werden.

Erschreckende Kette, nicht wahr? Fast jeder wuerde das erste
Element (Dinge ... verboten) noch mittragen (wenn auch mit
verzogenem Gesicht)...

Es muss klar gemacht werden, dass die Argumentation in dieser
Richtung (Dinge/Handlungen -> Texte -> Gedanken) nicht haltbar
ist und zwangslaeufig zu Zensur und Unterdrueckung fuehrt. Die
Argumentation muss anders herum (erlaubt statt verboten) und in
der anderen Richtung gemacht werden, wenn sie menschenwuerdige
Ergebnisse liefern soll.

Ich bin erwachsen und geistig gesund. Ich kann selber
auswaehlen und bewerten. Darum darf mir niemand meine Gedanken
verbieten oder kontrollieren. Darum darf ich mit anderen meine
Gedanken frei, oeffentlich und unbegrenzt austauschen. Und
darum darf ich diese Ideen umsetzen.

Baut man das ganze so herum auf, wird die Definition von
Einschraenkungen schon viel schwieriger zu begruenden und
die Einschraenkungen werden zurueckhaltender ausfallen.




Unsere Grundrechte und die GNU GPL haben eine ganze Menge
gemeinsam: Die GNU GPL schraenkt meine Rechte an dem GNU
Programm ein. Sie erlaubt mir, alles was ich will an dem
Programm zu tun, es zu veraendern, zu verkaufen, einzusetzen
und was mir sonst noch so einfaellt. Aber sie schraenkt meine
Rechte da ein, wo ich die Rechte anderer behindern koennte, mit
diesen GNU Programm dasselbe zu tun.




Noch ein paar Negationen:

Informationelle Selbstbestimmung ist im Datenschutz das Recht,
ueber meine Datenspur selbst zu bestimmen, d.h. zu
wissen und zu kontrollieren wer wieso welche Daten ueber mich
zu welchem Zweck einsetzt.

Kann man invertieren: Ich will nicht nur selbst bestimmen,
welche Informationen ich emittiere, sondern auch selbst
bestimmen, welche Informationsquellen ich rezipiere. So eine
Art passive Presse- und Meinungsfreiheit.

Kann man noch einmal invertieren: Es ist *mein* Recht, zu
entscheiden, welche Informationsquellen ich nicht nutzen
moechte. Niemand sonst soll eine solche Vorauswahl fuer mich
treffen.

Medienkompetenz. Das ist auch die Erkenntnis, dass es da
draussen in der globalen Grossstadt Viertel gibt, in die man
sich nicht hineinklickt. Das Wissen um die Abschalttaste.




Wie essentiell sind solche Moeglichkeiten der absolut freien und
ungehinderten Selbstauswahl von Informationen fuer unsere
Gesellschaft unter

- politisch/ideologischen Gesichtspunkten

    Wie wichtig ist es fuer Deutschland, sich von z.B. den
    chinesischen System zu differenzieren und wie differenziert
    sich eine potentielle deutsche Inhaltsauswahl von einer
    chinesischen solche? Ueber die Anzahl der gesperrten Sites?
    
- wirtschaftlich/technologischen Gesichtspunkten

    Welche Auswirkungen haette eine konsequente Inhaltsauswahl
    durch Dritte auf den vielbeschworenen Wirtschaftsstandort?
    Wie wirkt sich das auf die weitere Entwicklung der
    deutschen Netzstrukturen im Vergleich zu z.B.
    amerikanischen Strukturen aus?

[ Addendum 13-Sep-1996, KK

  Der fiktive Artikel ueber die Sperrung der ZEIT, der ueber 
  debate kam, liefert ausgezeichnete Munition fuer eine wirtschaftliche
  Begruendung. Aufarbeitung notwendig.
]

- weitere Gesichtspunkte?

    Glaubwuerdigkeit Deutschlands in Menschenrechtsfragen und
    dergleichen mehr.

Es ist wichtig fuer Fitug, hier schlagende Argumente zu
sammeln. Aehnlich wie in der Kryptodebatte ist es auch in der
Zensurdebatte notwendig, nicht nur ideologische Argumente zu
haben ("aber eine Demokratur sollte frei sein..."), sondern
auch mit sogenannten handfesten Argumentationen zu kommen ("das
erzeugt den Verlust von ... Mio. DM im naechsten
Quartalsabschluss und Zerstoert mittelfristig n-tausend
Arbeitsplaetze.").




Konsequentes Eintreten gegen fremdbestimmte Inhaltsauswahl (ich
liebe diesen Euphemismus - Zensur ist es ja angeblich im
Wortsinne nicht) kann unter Umstaenden die Beziehung wenig
populaerer Standpunkte notwendig machen. Moegliche Beispiele
und Standardtotschlageargumente sind Kinderpornographie,
Nazipropaganda und jetzt neuerdings auch Terrorismus.

Stellt sich die Frage nach einer Standardrettungsargumentation:
Existiert sie? Oder muss auch der Radikalgegener jeder Zensur
die Unterdrueckung bestimmter Inhalte aus zwingenden
ethisch-moralischen Gruenden bejahen?

Stellt sich die Frage nach der Umsetzbarkeit solcher ethisch
zwingend notwendiger Zensurmassnahmen. Ist das Internet
inhaerent unmoralisch, weil es keine wirksame Methodik fuer
solche Faelle vorsieht?




Der letzte Punkt oben fuehrt zur Fehlersemantik von
fremdbestimmter Inhaltsauswahl. Derzeit ist Ausfall von
Informationsquellen aus technischen Gruenden (Netz tot) nicht
von Netzausfall aus administrativen oder juristischen Gruenden
zu unterscheiden. In jedem Fall kommen ICMP-Errors von
irgendeinem Netzknoten zurueck oder schlimmer noch: irgendeine
Nullroute erdet die Packets auf nimmerwiedersehen.

Sollte es massiv zu Inhaltskontrolle im Netz kommen, ist so
eine vernuenftige Netzadministration nicht mehr moeglich. Es
ist fuer den (Teil-)Netzbetreiber nicht erkennbar, ob eine
Route aus technischen oder anderen Gruenden versagt.

Anders herum ist eine definitierte Fehlersemantik bei Zensur
auch nicht unbedingt gewuenscht. Wird der Ausfall einer
Datenquelle aus inhaltlichen Gruenden signalisiert, weiss der
Anfragende, dass diese Datenquelle noch existiert und die
gewuenschte Information hat. Es ist jetzt automatisierbar, die
Sperrung zu umgehen ("Access denied because of $129a. Use
Anonymizer? (Yes) (No)").

Damit ist die Netzsperrung wiederum inhaerent sinnlos.

(Notiz: Ist das Auftreten solcher (technischer) Effekte ein
 Indiz dafuer, dass fremdbestimmte Inhaltskontrolle moralisch
 nicht haltbar ist? Die Argumentation ist zu indirekt.)

Anekdote in diesem Zusammenhang: Das Problem mit der
Fehlersemantik trat genau an der Uni Kiel auf. Das RZ der Uni
Kiel hatte den Router in das WiN mit Nullrouten fuer ausgehende
Pakete gespickt. Die Liste der geerndeten Netze war vom RZ als
Verschlusssache deklariert und nicht zu bekommen. Zum Glueck
war der Router per SNMP auslesbar -> Diese Liste war
Arbeitsgrundlage fuer jede Form von Netzdebugging an der Uni
Kiel, denn nur sie machte entscheidbar, ob eine wirkliche
Netzstoerung vorlag oder ob es sich um einen vom RZ induzierten
Effekt handelte.

=> Derzeitiger Zustand der wilden Sperrung nicht haltbar. Die
   Art der Umsetzung der Kontrolle durch BGA und durch die
beteiligten Provider zeigt jede Menge operative Hektik und
geistige Windstille. (cf die Flut der Meldungen "ist gesperrt"
"nein, traceroute geht durch" "aber telnet ... 80 nicht" "aber
wenn Du ueber den Proxy" "aber nicht fuer diese URL").

Bei grossflaechigem Deployment solcher Aktionen massenhaft
sekundaere und tertiaere Stoereffekte durch Interaktionen und
Fehlkommunikation zu erwarten (cf Klagen ueber nicht
funktionierende Mailauslieferung nach Deutschland von serve.com
in de.soc.netzwesen (?)) -> Sinkende Netzqualitaet in D ->
Rueckwirkungen auf den "Wirtschaftsstandord" -> Zentralstelle
zur Koordination von Zensur (Internet Censorship Task Force?)




Wenn Information outlawed wird und es moralisch und juristisch
legitimiert wird, die Informationsquellen zu blockieren
(passive Gewalt gegen die Informationsquelle), ist dann auch
aktives Vorgehen gegen solche Informationsquellen legitim?
Unter welchen Umstaenden darf welche Institution welche aktiven
Aktionen gegen einen vogelfreien Server starten?

Hackangriffe, SYN-Flooding, Cyberwar?
Vom Netzsurfer zum Cyberpiraten mit staatlichem Kaperbrief?



Alte Gedankenfertigteile:

http://www.netuse.de/~kk/inkomploehntopp/
The incomplete Koehntopp

http://www.netuse.de/~kk/inkomploehntopp/0000.html
Merkbefreiung

http://www.netuse.de/~kk/inkomploehntopp/00429.html
Das Internet ist kontrollierbar (cf Metronet!)

http://www.netuse.de/~kk/inkomploehntopp/00637.html
Interview des Hohen Rathes mit Schuster (Vertreter der "umsatz")