[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]
Schneider: Neue PE.
- To: debate@fitug.de
- Subject: Schneider: Neue PE.
- From: Thomas Roessler <roessler@sobolev.rhein.de>
- Date: Sun, 15 Sep 1996 23:35:26 +0200 (MET DST)
- Cc: roessler@sobolev.rhein.de (Thomas Roessler)
- Comment: This Message comes from the debate mailing list.
- Organization: Ibyxfsebag mhe Orservhat qrf Hfrargf.
- Sender: owner-debate@fitug.de
[INLINE]
Mitteilung der Internet Content Task Force (ICTF)
RA Michael Schneider, eco e.V.
Seit unserer ersten Pressemitteilung sind nunmehr knapp zwei Wochen
vergangen. In der Zwischenzeit haben die von der Sperrung betroffenen
Betreiber ebenso auf die Maßnahme reagiert, wie Teilnehmer "aus der
Mitte des Internet". Auch der Dialog zwischen eco und der
Bundesanwaltschaft wurde fortgesetzt. Auf dieser Seite informieren wir
Sie über den aktuellen Stand aus unserer Sicht.
Um den Umfang des Dokumentes zu reduzieren, haben wir einige
Bestandteile auf gesonderten Seiten beigefügt.
Zum Inhalt der vorliegenden Mitteilung:
* Unser Schreiben an die Bundesanwaltschaft vom 09.09. (Auszug)
* Gesprächsnotiz vom 09.09. (Auszug)
* Unser Schreiben vom 10.09. (Auszug)
* Empfehlung zu www.serve.com vom 11.09.
* Fax der Bundesanwaltschaft vom 13.09.
* Vorläufiges Fazit
* Spiegelung von
http://ourworld.compuserve.com/homepages/angela1/radilink.htm
* [1]Links zur Presse-Berichterstattung (bitte schicken Sie uns
Referenzexemplare oder URLs !)
Aus aktuellem Anlaß weisen wir auf folgendes hin: Dieses Dokument darf
zitiert, auf anderen Servern hinterlegt und geposted werden, wenn und
so lange sichergestellt ist, daß der Text vollständig und unverändert
wiedergegeben wird.
_________________________________________________________________
Mit Schreiben/Fax vom 09.09. haben wir der Bundesanwaltschaft folgende
"Stellungnahme zum aktuellen Status" übermittelt (Auszug):
I.
Inzwischen haben wir zahlreiche Rückmeldungen zu der Sperrung erhalten
und zwar sowohl von Vertretern der Presse, wie auch von
Interessenverbänden "aus der Mitte des Internet". ...
Zu Ihrer Information führe ich einige Anfragen und Statements
auszugsweise auf:
1.) Reaktion der XS4ALL-Betreiber
XS4ALL hat inzwischen weltweite Aufmerksamkeit auf sich gezogen und
dokumentiert diese auf ihrem WWW-Server:
/* es folgt der Abdruck [2]dieser Seite */
Die erwähnte Nachricht an mich gebe ich nachfolgend wieder (die
Passagen mit vorangestellter eckiger Klammer bezeichnen - den
Gepflogenheiten im Internet entsprechend - Zitate aus einer
vorangegangenen Mail von mir):
/* den Beitrag finden Sie im Original auf [3]dieser Seite */
2.) Reaktion eines deutschen Verbandes:
Es ist wieder soweit: Deutsche Internetanbieter beginnen mit
elektronischer Bücherverbrennung ...
/* die vollständige Pressemitteilung finden Sie auf [4]dieser Seite
*/
3.) Stimmen aus dem Internet
Hier einige Aussagen, die uns per Mail oder News erreichten. Die
Beiträge wurden von mir annonymisiert und gekürzt:
/* Bitte lesen Sie die Zusammenstellung auf [5]dieser Seite */
II.
Die Situation stellt sich aus unserer Sicht wie folgt dar:
1. Die bisher ergriffenen Maßnahmen sind wirkungslos. Die
Radikal-Ausgabe, die Gegenstand Ihrer Ermittlungen ist, wurde
inzwischen so weit gestreut, daß es de facto unmöglich ist, zu
verhindern, daß Kunden eines Internet-Service-Providers Zugriff
darauf erhalten. Täglich werden neue sogenannte "Mirror-Sites"
eingerichtet (zur Zeit sind es mindestens 20); die Radikal wurde
und wird wohl auch weiterhin mehrfach in den News geposted und die
Anbieter im Internet haben inzwischen mehrere Ansätze entwickelt,
um eine eindeutige Identifizierung von Servern, welche die Radikal
beherbergen, zu verhindern (Anonymous-Server, automatisierter
Wechsel von Adressen). Die in der vergangenen Woche erfolgte und
von den angeschlossenen Providern nach wie vor aufrecht erhaltene
Sperrung führt daher nicht mehr zu dem gewünschten Erfolg.
2. Selbst wenn wir erhebliche personelle Ressourcen zur Verfügung
stellen könnten, um alle einschlägigen Aktivitäten im Internet
auszuwerten, ließe sich die Verbreitung der Schrift nicht mehr
wirksam eindämmen. Im übrigen werden Sie verstehen, daß wir es
nicht als unsere Aufgabe ansehen, die ICTF angeschlossen ISPs
selbst "bösgläubig zu machen" und sie auf diese Weise einem
Strafvorwurf auszusetzen, der sie ohne unsere Tätigkeit nicht
treffen würde.
3. Die von uns vertretenen Provider sehen sich inzwischen einem
öffentlichen Druck ausgesetzt, der in keinem Verhältnis zu dem
Erfolg steht, den die Bundesanwaltschaft durch die Sperrung der
maßgeblichen Hosts erreicht haben kann. Mit Befremdung haben wir
darüber hinaus die - möglicherweise nicht zutreffenden -
Behauptungen gelesen, wonach den ICTF nicht angeschlossenen
Providern (das Forschungsnetz DFN bzw. die sogenannten
"Online-Dienste" von DTAG, Compuserve und AOL) die Sperrung nicht
aufgegeben worden sei.
III.
Nach alledem ergibt sich für mich folgende rechtliche Bewertung, die
ich gerne mit Ihnen diskutieren möchte.
Wie Sie wissen, kommt im vorliegenden Fall nach unserer Ansicht
ohnehin nur eine Strafbarkeit der ISPs durch Unterlassen in Betracht.
Wenn man dann - was wir bezweifeln, worüber in der Literatur
allerdings gestritten wird - davon ausgehen wollte, daß eine
Garantenpflicht der ISPs besteht, ist eine Strafbarkeit zum
gegenwärtigen Zeitpunkt unter zwei Gesichtspunkten nicht mehr gegeben:
1. Selbst wenn eine Person nämlich kraft ihrer Garantenstellung zur
Vornahme einer Handlung verpflichtet ist, muß als weitere
Voraussetzung für ihre Bestrafung hinzutreten, daß sie eine zur
Herstellung des rechtmäßigen Zustandes geforderte Leistung
tatsächlich erbringen kann. Was objektiv unmöglich ist - und ein
erfolgreiches Sperren aller inkriminierten Informationsquellen ist
vorliegend nicht mehr umsetzbar - kann man nicht unterlassen. Die
einzige wirklich wirksame Maßnahme, die ISPs zum gegenwärtigen
Zeitpunkt noch vornehmen könnten, wäre eine vollständige Sperrung
des gesamten Internet-Zuganges für alle Kunden. Dies verbietet
sich jedoch von selbst.
2. Auch unter dem Gesichtspunkt der Ursächlichkeit scheidet eine
Strafbarkeit der ISPs aus. Nach der gängigen
Conditio-sine-qua-non-Formel ist es erforderlich, daß die
rechtlich erwartete Handlung nicht hinzugedacht werden kann, ohne
daß der Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
entfiele. Eine Handlung, welche diese Voraussetzungen erfüllt, ist
für mich und auch für technisch versierte Dritte jedoch nicht mehr
erkennbar.
Ich ziehe daher in Betracht, die in der vergangenen Woche namens der
ICTF ausgesprochene Empfehlung zu widerrufen oder die Empfehlung zur
Sperrung jedenfalls nicht über die darin genannten 28 Tage hinaus zu
verlängern.
Allerdings vermag ich natürlich nicht auszuschließen, daß die
Bundesanwaltschaft den ICTF angeschlossenen Providern Handlungsmaximen
aufzeigen kann, die ich in meiner vorläufigen Bewertung übersehen
habe.
IV.
Falls auch Sie keine wirksamen Handlungsalternativen sehen, die eine
Verbreitung der aktuellen Radikal-Ausgabe effektiv einschränken
können, biete ich Ihnen an, in einen Dialog darüber einzutreten, wie
man Äußerungsdelikten im Internet anderweitig wirksam begegnen kann.
Der eco e.V. hat unter anderem zu diesem Zweck den sogenannten
"Internet Medienrat" eingerichtet. Einzelheiten können Sie aus dem
Entwurf einer Resolution entnehmen, die wir im August formuliert haben
und die dem Internet Medienrat in seiner konstituierenden Sitzung zur
Diskussion vorlegen wird:
/* es folgt der Abdruck der Resolution, die in ihrer aktuellen
Fassung auf [6]dieser Seite wiedergegeben wird */
Wir sind der Ansicht, daß gerade das vorliegende Ermittlungsverfahren
deutlich aufzeigt, wie nötig die oben beschriebene "neue Strategie"
ist. Bitte seien Sie versichert, daß wir den Internet Medienrat nicht
als "Debattierclub", sondern als eine ernsthafte Plattform betrachten,
die organisations- und fachbereichsübergreifend praxistaugliche
Lösungen entwickeln soll. Selbstverständlich sollen diese Lösungen den
wesentlichen Grundsätzen unseres Rechtsstaates Rechnung tragen. Um
dies zu gewährleisten, wäre eine mindestens mittelbare Beteiligung
auch der Bundesanwaltschaft hilfreich - allerdings müßte dabei
gewährleistet sein, daß die Ihnen im Rahmen der Diskussion
gegebenenfalls zur Kenntnis gelangenden Einzelheiten
strafrechtsrelevanter Vorgänge nicht zum Gegenstand von Ermittlungen
gemacht werden.
Auch außerhalb des Internet Medienrates halten wir eine Diskussion
über neue Strategien für wünschenswert, die das staatliche Interesse
an der Wahrung der Rechtsordnung umsetzen, ohne unverhältnismäßig in
die Gepflogenheiten des Internet oder die Rechte von Teilnehmern und
Providern einzugreifen. Unter der Voraussetzung, daß Dritten aus der
Zusammenarbeit zwischen Ihnen und eco keine Nachteile erwachsen,
stehen wir Ihnen gerne mit unserem Knowhow zur Verfügung.
_________________________________________________________________
Am Nachmittag des 09.09. ergab sich dann erneut die Gelegenheit zur
Rücksprache. Dabei wurde deutlich, daß die Bundesanwaltschaft keinen
Anlaß sah, ihre Strategie zu ändern. Das weitere Vorgehen werde zwar
Gegenstand weiterer hausinterner Abwägungen sein, einstweilen bleibe
es aber bei dem bekannten Standpunkt. Die ICTF nicht angeschlossenen
Provider - auch die sogenannten Online-Dienste - seien von der
Bundesanwaltschaft "ebenfalls abgemahnt" worden. Maßnahmen gegen
diejenigen Provider, die der bereits in der ersten Pressemitteilung
wiedergegebenen Aufforderung nach angemessener Frist nicht
nachgekommen seien, würden nunmehr eingeleitet.
Dies betreffe auch die uns angeschlossenen Provider, über die XS4ALL
wieder abrufbar sei. Ich habe erläutert, daß die Ursache für die
erneute Erreichbarkeit von XS4ALL in dem Umstand liege, daß die
Betreiber einen kontinuierlichen Wechsel der Abbildung des
Rechnernamens auf die jeweils zugehörige IP-Adresse implementiert
haben. Dazu wurde ich um weitergehende Ausführungen gebeten.
_________________________________________________________________
Die erbetenen Ausführungen wurden der Bundesanwaltschaft am Abend des
10.09. übersandt. Sie sind nachfolgend wiedergegeben (Auszug):
...
II.
Sie hatten mich weiterhin gebeten, darzustellen, aus welchem Grund der
WWW-Server von XS4ALL - trotz der aufgrund unserer Empfehlung
erfolgten Sperrung der Host-ID - über einige der angeschlossenen
Provider gegebenenfalls wieder zugreifbar sei. Ich verweise in diesem
Zusammenhang auf die Ausführungen in meinem letzten Schreiben und im
übrigen auf folgendes:
Als Reaktion auf die Sperrung des Zugangs zu der IP-Nummer von XS4ALL
hat der Betreiber des Servers nach den Feststellungen der ICTF einen
kontinuierlichen Wechsel der Abbildung des Namens "www.xs4all.nl" auf
IP-Nummern implementiert. Dieser Mechanismus setzt zum einen auf einer
Rekonfiguration des Servers selbst auf, dem eine neue IP-Nummer
entweder aus einem vorkonfigurierten Satz von Nummern oder nach dem
Zufallsprinzip aus dem zugehörigen Class-C-Netz, potentiell aber auch
aus einem anderen nur temporär zugeordneten Netz zugewiesen wird.
Damit diese neue Zuordnung auch für Dritte wirksam wird, mußte der
Domain-Name-Service (DNS) dergestalt modifiziert werden, daß die
Abbildung des Namens auf die IP-Nummer in kurzen Intervallen auf den
jeweils konfigurierten Wert geändert wird.
Für Änderungen der Abbildung sieht das DNS standardmäßig vor,
herausgegebene Informationen mit einer Lebensdauer (time to live, TTL)
zu versehen, die anzeigt, wie lange die Information als gültig
betrachtet werden kann. Nach Ablauf der Lebensdauer sind Anwendungen
im Internet gehalten, die Informationen neu zu laden. XS4ALL hat zur
Zeit die Lebensdauer der Abbildung des Namens auf die IP-Nummer auf ~
30 min. gesetzt. Nach Ablauf dieser Frist laden die von potentiellen
Interessenten verwendeten Systeme automatisch eine neue Abbildung (die
sich nicht notwendigerweise von der alten unterscheiden muß, dies aber
im Falle von XS4ALL häufig tun wird).
Sodann greifen die Clients, ohne daß dieser Vorgang für den
Endanwender sichtbar wird, unter Verwendung der neuen IP-Nummer auf
den Server zu. In den beigefügten Sitzungsmitschnitten wurden Anfragen
an das DNS dokumentiert. Die TTL ist dabei direkt hinter dem Namen des
Servers (hervorgehoben durch Fettdruck und eine Unterstreichung) zu
erkennen. Die Einstellung des Mechanismus auf zur Zeit ~ 30 min. kann
seitens des Betreiber durch Änderungen in seinem Directoryservice ohne
weiteres auf wenige Minuten oder gar Sekunden reduziert werden.
Ein Provider, der einem solchen Mechanismus folgen wollte, müßte die
jeweilige Abbildung des Namens auf eine IP-Nummer kontinuierlich
überwachen, was sich nicht manuell sondern nur durch eine zu diesem
Zweck zu erstellende Software realisieren ließe. Hinzu kommt, daß eine
permanente Rekonfiguration der in Produktion befindlichen Router
erforderlich wäre. Derartige Maßnahmen beeinträchtigen die Performance
der gesamten Infrastruktur eines Providers und sie sind sogar
geeignet, die für einen unter kommerziellen Rahmenbedingungen
arbeitenden Provider überlebenswichtige Servicequalität zu
beeinträchtigen (durch Reduzierung der Gesamtverfügbarkeit des
Systems, die sich aufgrund von Inkonsistenzen ergeben kann, die bei
häufigen Rekonfigurationen typischerweise auftreten).
Eine Alternative zu dem geschilderten aufwendigen Verfahren besteht
allenfalls darin, die für die Zone XS4ALL.NL zuständigen Nameserver zu
blockieren, was aber dazu führen würde, daß die Namen aller anderen
dort verwalteten Systeme dann ebenfalls nicht mehr aufgelöst werden
könnten. Davon wären vermutlich zahlreiche von XS4ALL verschiedene
Organisationen betroffen (die Maßnahme wäre der Löschung einer
Postleitzahl aus dem Zustellsystem der Post AG vergleichbar).
Hier nun die erwähnte Dokumentation der Anfragen:
/* es folgt der Inhalt [7]dieser Seite */
III.
Der niederländische Betreiber von XS4ALL teilte uns inzwischen
folgendes mit (Auszüge):
Today we got the first cancellations of accounts and webservers at
Xs4all. One of them sent us a fax that Germany is of large economic
value to his business, and that he cannot afford to be blocked. If
this goes on, we'll have to consider recovering these damages. This
could mean that Xs4all will have to start litigation against both
Germany and the ICTF. I seriously hope we will not be forced into
that situation.
We can prevent further damage to Xs4all by sending out a
press-release in the following days, that states that Xs4all is no
longer being blocked, and that the recommendation to censor the
whole host was cancelled. If we can send this message out quickly
enough, then further damages will be avoided, and we'd not be
forced to start litigating. Even 28 days of censorship is costing
us customers. Please keep me updated on any developments.
Someone at Human Rights Watch emailed me today, requesting the
(email and snailmail) address of the Prosecutor General. Could you
please send it to me, they want to send him a letter of protest.
Today Elly Plooij, liberal delegate in the European Parliament,
asked a whole list of question about this case to the comission.
...
Ich habe mitgeteilt, daß ich der angedrohten Klage keine
Erfolgsaussichten beimesse und darauf hingewiesen, daß nicht ICTF den
Anlaß für den gegenwärtigen Vorgang gegeben hat, sondern die Tatsache,
daß die ermittlungsgegenständliche Ausgabe von "Radikal" über dern
XS4ALL-Server zugänglich gemacht worden sei.
In einer weiteren Stellungnahme gibt XS4ALL die aktuelle Situation
dann wie folgt wieder:
... if this goes on, then ICTF will have to block hunderds of
sites, censor newsgroups, email-lists et cetera. The more
censorship the more protest from the internet-community. It's a
neverending spiral of blocking and recreating information. There
are no winners in such a game, only losers."
Dieses Szenario beschreibt die jetzt bevorstehende Entwicklung aus
unserer Sicht zutreffend. Zu den erwähnten "losers" gehören auch und
gerade die von uns vertretenen Provider.
IV.
Danach ist folgendes festzustellen:
1. Die der ICTF angeschlossenen Provider haben die Sperrung nicht
wieder aufgehoben, sie ist lediglich aus Gründen, die nicht in
ihrem Einflußbereich liegen, hinsichtich XS4ALL nicht mehr
wirksam.
2. Wir halten an den im letzten Schreiben gemachten rechtlichen
Ausführungen fest, wonach eine Beihilfe der Provider unter den
gegebenen Bedingungen nicht mehr gegeben sein kann.
3. Wir teilen nach wie vor Ihre rechtliche Einschätzung hinsichtlich
der Strafrechtswidrigkeit der maßgeblichen Ausgabe von "Radikal".
Unabhängig von der rechtlichen Beurteilung scheitert allerdings
jeder äußere Eingriff in das Internet und auch jede Form der
Selbstkontrolle, wenn der Urheber einer Schrift nicht Kunde eines
im Geltungsbereich der deutschen Rechtsordnung tätigen
Service-Providers ist und wenn er sich darüber hinaus auf eine
netzweite Solidarität berufen kann (was bei Straftaten mit
politischem Hintergrund wesentlich regelmäßiger der Fall sein
wird, als beispielsweise bei der Verbreitung "harter"
Pornographie).
Wir ziehen daher weiterhin in Betracht, die von ICTF in der
vergangenen Woche ausgesprochene Empfehlung zu widerrufen. Sofern im
Falle eines solchen Widerrufes von Ihren erwogen würde, die
Ermittlungen auf einzelne Provider auszuweiten, weise ich vorsorglich
darauf hin, daß ein Strafverfahren gegen die uns angeschlossenen
Provider nicht zur Verurteilung führen kann. Wenn sich diese nämlich
nach einer Abwägung aller Argumente entschließen, unserem fachlich
fundierten Rat zu folgen, entfällt für sie der Vorsatz (auch in der
Form des dolus eventualis). Richtiger Beschuldigter wäre daher - wenn
überhaupt - eco/ICTF als Organisation bzw. ich als Person, da ich die
Provider zur Aufhebung veranlaßt und damit im Sinne der
Conditio-sine-qua-non-Formel die letzte Ursache dafür gesetzt hätte,
daß die Kunden der Provider wieder auf die "Radikal" zugreifen können.
V.
Ein konstruktives weiteres Vorgehen können wir uns nur auf der Basis
folgender Alternativen vorstellen:
1. Die Bundesanwaltschaft konzentriert ihre Ermittlungstätigkeit auf
diejenigen, die sich an der Verbreitung der Schrift aktiv
beteiligen. Zugriffssperrungen erfolgen nicht mehr vor der
Datensenke, sondern - wenn überhaupt - an der Datenquelle. Wir
sind der Ansicht, daß der Aufwand, dies im Wege der Amtshilfe zu
erreichen - jedenfalls im Falle von XS4ALL - geringer ist, als der
oben dargestellte Programmier- und Implementationsaufwand.
2. Wenn Sperrungen durch deutsche Provider - entgegen unserer Ansicht
- nach wie vor als realisierbar und erforderlich angesehen werden,
ist ein allgemeiner Hinweis wie der aus Ihrem Telefax vom 30.08.
dafür keine geeignete Grundlage. Stattdessen benötigen wir
konkrete Angaben darüber, auf welche Host-IDs sich die Maßnahme
erstrecken soll. Zur Übermittlung der Host-IDs sollten wir eine
geeignete Schnittstelle vereinbaren (z.B. die Übersendung von
E-Mails, die in geeigneter Weise formatierte Bodies enthalten),
damit eine Prüfung durch uns - ebenso wie die sich dann
anschließende Sperrung - ohne zeitlichen Verzug und weitgehend
automatisiert erfolgen kann.
3. Wesentlich sinnvoller als die beiden vorgenannten Alternativen
erscheint es uns jedoch, im gegenwärtigen Stadium der Eskalation
die Sperrungen zunächst wieder aufzuheben, die Vorgänge zu
dokumentieren und in einem Strafverfahren gegen einen der
Beteiligten (genauer: Einen Beteiligten, der dem Haupttäter näher
ist, als ein Provider, der Daten nur als IP-Pakete transportiert)
eine grundlegende rechtliche Klärung der im Internet und in der
juristischen Fachliteratur umstrittenen Frage der
Inhaltsverantwortung zu suchen.
Wir halten im übrigen unser Angebot aufrecht, im Dialog an weiteren
Strategien zu arbeiten, die eine mildere Form der Ahndung von
Äußerungsdelikten im Internet ermöglichen.
_________________________________________________________________
Am Nachmittag des 11.09. wurde uns folgende Information übermittelt:
„As you can see we removed the radikal 154 from www.serve.com.
We demand you to send a message to all ISP in Germany to stop
filtering ip-traffic to and from www.serve.com. You have to cc:
this message to webmaster@mail.serve.com and to tank@xs4all.nl. We
have put a new index-file instead describing the situation and also
list servers where the radikal 154 is now mirrored. We demand you
to either block all servers or to stop blocking access to
www.xs4all.nl."
Wir haben die Angaben überprüft und fanden sie zu diesem Zeitpunkt
bestätigt. Daraufhin haben wir der Bundesanwaltschaft mitgeteilt, daß
der Grund für eine Sperrung aus unserer Sicht entfallen sei. Zugleich
haben wir den angeschlossenen Providern empfohlen, die Sperrung von
www.serve.com aufzuheben.
_________________________________________________________________
Nach weiteren Gesprächen teilte uns die Bundesanwaltschaft am 13.09.
per Telefax folgendes mit:
"Sehr geehrter Herr Schneider,
den Erhalt der o.a. Schreiben bestätige ich.
Was den inzwischen teilweise wieder möglichen Zugang zu der URL
"http://www.xs4all.nl/~tank/radikal/154/" betrifft, reicht es
meines Erachtens nicht aus, den Zugang zu einer einzeln
festgelegten IP-Nummer zu unterbinden, sofern der Betreiber des
Servers, wie wohl inzwischen geschehen, einen kontinuierlichen
Wechsel der Abbildung des Namens "www.xs4all.nl" auf
unterschiedliche IP-Nummern implementiert.
Mein Telefax-Schreiben vom 30. August 1996 bezog sich ausdrücklich
auf die vorgenannte URL und nicht auf eine einzelne IP-Nummer.
Daher scheinen mir die Betreiber, welche bislang nur eine IP-Nummer
gesperrt haben, ihrer Verpflichtung nicht vollständig Genüge getan
zu haben, sofern hierdurch mögliche strafrechtliche Konsequenzen
vermieden werden sollen.
Vielmehr erscheint es hierzu notwendig, sämtliche technischen
Möglichkeiten auszuschöpfen, um einen Abruf der Druckschrift
"radikal Nr. 154" über die o.a. URL zu unterbinden.
Hochachtungsvoll
Im Auftrag ..."
Aufgrund weiterer Nachforschungen stand für ICTF fest, daß erste
Ermittlungsverfahren gegen ISPs zu diesem Zeitpunkt bereits
eingeleitet worden waren. Allerdings waren und sind die von ICTF
vertretenen Provider nach unseren Erkenntnissen (zum Zeitpunkt dieser
Pressemitteilung) davon nicht betroffen.
_________________________________________________________________
Die ICTF hat daraufhin empfohlen, die Maßnahmen gegen XS4ALL
auszuweiten. Einzelheiten können wir zur Zeit nicht bekanntgeben. Eine
Bewertung der jetzt ergriffenen Maßnahmen wird im Verlaufe der Woche
erfolgen. Sodann werden wir eine Entscheidung über weitere Schritte
treffen.
_________________________________________________________________
Die URL, deren Sperrung wir ursprünglich abgelehnt hatten, ist nach
wie vor nicht blockiert:
[8]http://ourworld.compuserve.com/homepages/angela1/radilink.htm
Allerdings ist der Inhalt am Mittwoch durch den Betreiber des Hosts
gelöscht worden. Wir haben uns erlaubt, die maßgeblichen Seiten
vorläufig zu [9]spiegeln.
_________________________________________________________________
[10][LINK] Zurück zur [11]ICTF-Leitseite.
_________________________________________________________________
Kommentare und Anregungen senden Sie bitte an: [12]webmaster@anwalt.de.
Copyright © 1996 Rechtsanwalt Michael Schneider
Letzte Änderung am 15. September 1996
References
1. http://www.anwalt.de/ictf/radpress.htm
2. http://www.anwalt.de/ictf/p9609161.htm
3. http://www.anwalt.de/ictf/p9609162.htm
4. http://www.anwalt.de/ictf/p9609163.htm
5. http://www.anwalt.de/ictf/p9609164.htm
6. http://www.anwalt.de/ictf/p9609165.htm
7. http://www.anwalt.de/ictf/p9609166.htm
8. http://ourworld.compuserve.com/homepages/angela1/radilink.htm
9. http://www.anwalt.de/ictf/mirror/radilink.htm
10. http://www.anwalt.de/ictf/index.html
11. http://www.anwalt.de/ictf/index.htm
12. mailto:webmaster@anwalt.de
--
Thomas Roessler http://www.rhein.de/~roessler/