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                                  [INLINE]
                                      
       Mitteilung der Internet Content Task Force (ICTF) vom 19.09.96
                                      
                       RA Michael Schneider, eco e.V.
                                      
   Im Nachgang zur [1]ICTF-Pressemitteilung vom 16.09. informieren wir
   Sie über den aktuellen Stand der Diskussion mit der
   Bundesanwaltschaft.
   
   Für den eiligen Leser fassen wir unsere Kernforderungen wie folgt
   zusammen:
   
    1. Das Legalitätsprinzip ist konsequent anzuwenden. Sofern - wie
       vorliegend geschehen - Ermittlungen wegen des Vorwurfs der
       Beihilfe zur Verbreitung der Radikal aufgenommen und auf Carrier
       ausgedehnt werden, darf dies nicht auf die Anbieter von
       Internet-Zugängen beschränkt bleiben. Vielmehr erwarten wir, daß
       die in Deutschland tätigen Telefondienstanbieter abgemahnt und
       aufgefordert werden, den Zugang zu den von XS4ALL angegebenen
       Einwahlpunkten zu sperren.
    2. Alle Maßnahmen der Bundesanwaltschaft müssen erkennbar vom
       Grundsatz der Ermittlungsgerechtigkeit getragen sein. Ein
       differenzierendes Vorgehen dergestalt, daß an einigen ISPs "ein
       Exempel statuiert" wird, ... wäre aus unserer Sicht
       verfassungswidrig und auch unter Gesichtspunkten eines fairen
       Wettbewerbs bedenklich.
    3. Alle Maßnahmen, die bisher ergriffen wurden oder die künftig noch
       ergriffen werden, müssen eine stringente argumentative Grundlage
       und ein auf dem gesetzlichen Auftrag der Bundesanwaltschaft
       basierendes Vorgehen erkennen lassen.
    4. Alle Maßnahmen mit Eingriffscharakter bedürfen einer
       nachvollziehbaren Ermächtigungsgrundlage.
    5. Wir erwarten, daß die Bundesanwaltschaft ihre Aufforderung zur
       Sperre binnen drei Tagen nach Zugang dieses Schreibens dem
       Ermittlungsrichter zur Prüfung und zur Konkretisierung vorlegt.
       
   Die gerichtliche Überprüfung könnte durch Anrufung des
   Ermittlungsrichters - beispielsweise unter analoger Anwendung des § 99
   StPO oder einer anderen Ermächtigungsgrundlage - erfolgen. Sollte die
   Bundesanwaltschaft diese Möglichkeit, der Sperrung eine
   rechtsstaatliche Grundlage zu verschaffen, nicht ergreifen oder sollte
   das angerufene Gericht seine Zuständigkeit verneinen, wird die ICTF
   den angeschlossenen Providern empfehlen, selbst um Rechtsschutz
   nachzusuchen. Da uns die Möglichkeit der Beschwerde nicht offensteht,
   wird die ICTF empfehlen, zunächst im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG
   eine Klärung herbeizuführen und, falls auch das dafür zuständige
   Gericht eine Überprüfung der Maßnahme oder die Verweisung an den
   Ermittlungsrichter ablehnt, eine Entscheidung durch das
   Bundesverfassungsgericht anzustreben.
   
   Die Empfehlung, der "Abmahnung" der Bundesanwaltschaft zu folgen und
   www.xs4all.nl zu sperren, wird aufgehoben, sobald eine entsprechende
   gerichtliche Entscheidung herbeigeführt werden kann.
   
   Aus aktuellem Anlaß weisen wir noch auf folgendes hin: Dieses Dokument
   darf zitiert, auf anderen Servern hinterlegt und geposted werden, wenn
   und so lange sichergestellt ist, daß der Text vollständig und
   unverändert wiedergegeben wird.
   
     _________________________________________________________________
                                      
   Der Bundesanwaltschaft haben wir heute folgendes Schreiben
   übermittelt:
   
   ... auf unser gestriges Telefonat nehme ich Bezug. Wie ich Ihnen
   bereits mündlich darlegte, sehen sich die ICTF angeschlossenen
   Provider aus verschiedenen Gründen nicht in der Lage, die von Ihnen
   verlangte Sperrung über einen längeren Zeitraum aufrecht zu erhalten,
   ohne daß eine gerichtliche Überprüfung der Maßnahme erfolgt.
   
                                     I.
                                      
   Lassen Sie mich jedoch zunächst die Ereignisse der letzten Tage
   chronologisch zusammenfassen.
   
   Auf Ihr Telefax vom 13.09. habe ich den angeschlossenen ISPs
   empfohlen, ...
   
   Der Aufwand, die Sperre aufrecht zu erhalten, ist jedoch so erheblich,
   daß er die kleineren unter den ICTF angeschlossenen Providern bereits
   nachhaltig wirtschaftlich beeinträchtigt. ...
   
   Parallel zu der Erweiterung der Sperrung erhielten wir am Nachmittag
   des 16.09. seitens des Betreibers von XS4ALL eine E-Mail folgenden
   Inhalts:
   
     "... Our user, tank, has told us he will remove the radikal
     information from the URL: http://www.xs4all.nl/~tank/radikal and
     replace it with a simple mirror-list. I expect this to happen later
     today, please check. If the information is removed from the URL,
     there is no more reason to keep the IP-filtering going on. ..."
     
   In einer weiteren E-Mail wurde folgendes hinzugefügt:
   
     "I've just checked the URL, and it's now replaced with a
     mirror-list. I don't know if they will put it back, but I assume
     they will not. ..."
     
   Eine Überprüfung ergab, daß die Radikal in ein anderes Verzeichnis auf
   www.xs4all.nl verschoben worden war. Sie war gleichwohl weiterhin
   abrufbar und zwar auch über diejenige URL, deren Sperrung Sie namens
   der Bundesanwaltschaft verfügt hatten.
   
                                    II.
                                      
   Wir entnehmen daraus, daß der Betreiber von XS4ALL nicht beabsichtigt,
   die Distribution der Radikal einzustellen. Seine öffentlichen
   Äußerungen und die von ihm ergriffenen Maßnahmen lassen vielmehr
   darauf schließen, daß der Höhepunkt der Auseinandersetzung noch nicht
   erreicht ist.
   
   So wandte sich XS4ALL an zahlreiche internationale Organisationen und
   veröffentlichte unter dem 18.09. gemeinsam mit einigen von diesen
   folgende Resolution:
   
     /* bitte lesen Sie [2]diese Seite */
     
   Auch wenn wir uns dieser Resolution in Teilen nicht anschließen, macht
   sie doch sehr deutlich, welche Eingriffe in Rechte Dritter die
   Sperrung inzwischen verursacht und in welchem Umfang der gesamte
   Vorgang in das politische Umfeld hineineskaliert.
   
                                    III.
                                      
   Meinen bisherigen Ausführungen zur Wirksamkeit der Sperre habe ich im
   Grunde nichts hinzuzufügen.
   
   Auch wenn man unterstellt, daß die uns angeschlossenen Provider in der
   Lage wären, den Zugang zu XS4ALL weiterhin zu blockieren, hat dies
   letztlich keinen Einfluß auf die Verbreitung der "Radikal". Inzwischen
   sind Wege gefunden worden, XS4ALL als Ausgangspunkt zu umgehen, wie
   auch der Sperrung durch deutsche ISPs auszuweichen, indem andere
   Kanäle für den Datentransport gewählt werden. Besondere Aufmerksamkeit
   verdient in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß unter der URL
   http://www.xs4all.nl/ ~tank/radikal/ nunmehr ein neuer Zugangsweg
   eröffnet wird. Die Seite beginnt in ihrer Fassung vom Abend des 16.09.
   mit folgender Aussage:
   
     How to get the Radikal
     
     ...
     
     Phone: Call and login as "new"
     
     So first dial the international number +31 (hollands international
     code) and then one of these numbers: ...
     
   Angefügt ist eine Liste, die 10 Einwahlpunkte in Holland beinhaltet.
   In der Liste werden Telefonnummern und die technischen Protokolle
   angegeben, mit denen über die Einwahlpunkte ein Zugriff auf die
   Ressourcen von XS4ALL möglich ist. Die Kunden deutscher ISPs werden
   damit nach unserer Einschätzung in die Lage versetzt, unter Verwendung
   des vorhandenen Equipments (Zugangssoftware und Endgeräte) durch eine
   bloße Änderung der Telefonnummer in ihrer Konfiguration auf die
   Radikal zuzugreifen. Der Aufwand dafür ist gering und die entstehenden
   Mehrkosten sind angesichts der Tatsache, daß inzwischen auch eine
   komprimierte und daher schnell übertragbare Version der Radikal
   vorliegt, gering.
   
                                    IV.
                                      
   Vor dem Hintergrund des erheblichen Eingriffscharakters der von Ihnen
   veranlaßten Sperrung stellen wir folgende Forderungen auf:
   
    1. Das Legalitätsprinzip ist konsequent anzuwenden. Sofern - wie
       vorliegend geschehen - Ermittlungen wegen des Vorwurfs der
       Beihilfe zur Verbreitung der Radikal aufgenommen und auf Carrier
       ausgedehnt werden, darf dies nicht auf die Anbieter von
       Internet-Zugängen beschränkt bleiben. Vielmehr erwarten wir, daß
       die in Deutschland tätigen Telefondienstanbieter abgemahnt und
       aufgefordert werden, den Zugang zu den von XS4ALL angegebenen
       Einwahlpunkten zu sperren.
    2. Alle Maßnahmen der Bundesanwaltschaft müssen erkennbar vom
       Grundsatz der Ermittlungsgerechtigkeit getragen sein. Ein
       differenzierendes Vorgehen dergestalt, daß an einigen ISPs "ein
       Exempel statuiert" wird, während andere nicht mit dem gleichen
       Nachdruck zur Sperrung aufgefordert werden, wäre aus unserer Sicht
       verfassungswidrig und auch unter Gesichtspunkten eines fairen
       Wettbewerbs bedenklich. Der guten Ordnung halber weise ich darauf
       hin, daß die vorstehende Aufforderung nicht die Unterstellung
       beinhaltet, es werde zur Zeit keine Ermittlungsgerechtigkeit
       geübt. Allerdings halten wir es - nicht zuletzt aufgrund einiger
       Presseberichte - für geboten, an den Stellenwert des Grundsatz zu
       erinnern.
    3. Alle Maßnahmen, die bisher ergriffen wurden oder die künftig noch
       ergriffen werden, müssen eine stringente argumentative Grundlage
       und ein auf dem gesetzlichen Auftrag der Bundesanwaltschaft
       basierendes Vorgehen erkennen lassen. Präventive Aspekte, die nach
       meiner Auffassung inzwischen sehr deutlich in den Vordergrund
       gerückt sind, müssen weitgehend unberücksichtigt bleiben oder an
       die dafür zuständigen Polizeibehörden des Bundes und der Länder
       delegiert werden.
    4. Alle Maßnahmen mit Eingriffscharakter bedürfen einer
       nachvollziehbaren Ermächtigungsgrundlage. Dabei kommt es weder
       darauf an, ob der Eingriffscharakter in der Ausgestaltung der
       Maßnahme sofort erkennbar wird, noch auf die Bezeichnung der
       Maßnahme als "Verwaltungsakt", "Verfügung", "Beschluß" oder
       "Anordnung". Entscheidend ist vielmehr, ob der Eingriff gewollt
       war und ob dem Adressaten de facto keine Wahl bleibt, als die
       Maßnahme umzusetzen.
    5. Wir erwarten, daß die Bundesanwaltschaft ihre Aufforderung zur
       Sperre binnen drei Tagen nach Zugang dieses Schreibens dem
       Ermittlungsrichter zur Prüfung und zur Konkretisierung vorlegt
       (Einzelheiten dazu weiter unten). Die Frist orientiert sich an dem
       Zeitraum, den § 100 Abs.2 für die Herbeiführung der richterlichen
       Entscheidung nach einer von der Staatsanwaltschaft unter dem
       Gesichtspunkt der "Gefahr im Verzuge" verfügten Beschlagnahme
       vorsieht.
       
                                     V.
                                      
   Die von Ihnen jetzt veranlaßte Sperrung bewegt sich materiellrechtlich
   wie prozessual in einem rechtlich weitgehend ungeklärten Umfeld. Ihren
   bisherigen Ausführungen entnehme ich, daß eines der Ziele, das Sie mit
   dem gegenwärtigen Vorgehen gegen die Verbreitung der Radikal im
   Internet verbinden, die Klärung der rechtlichen Verhältnisse auf der
   Basis geltenden Rechts (also insbesondere vor Inkrafttreten des
   Informations- und Kommunikations-Dienstegesetzes) ist.
   
   Der Versuch, die dringend gebotene Klärung herbeizuführen, setzt nach
   meiner Auffassung jedoch am falschen Punkt an. Um Ihnen darzulegen,
   wieso ich zu dieser Einschätzung gelange und um zugleich die Ebene der
   akademischen Diskussionen um die rechtliche Einordnung des Internet zu
   verlassen, möchte ich das Problem anhand eines fiktiven, aber zur
   weiteren Analyse sehr geeigneten Parallelfalles darstellen.
   
   Dabei gehe ich von folgenden tatsächlichen und rechtlichen Prämissen
   aus:
   
    1. Die Radikal wird im Ausland von einem Versender für Interessenten
       bereitgehalten. Potentielle Interessenten müssen per Post oder
       telefonisch eine Nachricht an den Versender übermitteln, der
       sodann in einem Umschlag, auf dem der Absender (nicht jedoch die
       Absendeadresse) ersichtlich ist, genau eine Ausgabe der Radikal an
       den Interessenten verschickt.
    2. Es gelingt Ihnen nicht, effizient gegen den Versender vorzugehen,
       da Sie aufgrund einer geschickten Weiterleitung der Post seinen
       Aufenthaltsort nicht kennen oder weil Ihnen der Staat, in dem sich
       der Versender aufhält, keine Amtshilfe gewährt.
    3. Gehen Sie schließlich davon aus, daß Ihnen das Instrument der
       Postbeschlagnahme (sei es nach § 99 StPO oder nach §§ 111b ff.
       StPO) als Folge einer planwidrigen Gesetzeslücke nicht zur
       Verfügung stünde.
       
   Die sich dann aufgrund der angenommenen Gesetzeslücke fiktiv ergebende
   Situation ist mit der vorliegenden in den wesentlichen Punkten
   identisch. Es besteht - nachvollziehbarer - Anlaß, die Verbreitung
   eines nach deutschem Recht strafrechtswidrigen Druckwerkes zu
   verhindern. Eine "Standardmaßnahme" dafür ist - jedenfalls im
   Strafverfahren - nicht verfügbar. In dieser Lage kommen nach meiner
   Ansicht genau drei Handlungsalternativen in Betracht:
   
    1. Die rechtsstaatlich unbedenklichste Möglichkeit besteht darin, den
       Versand der rechtswidrigen Zeitschrift so lange zu dulden, bis der
       Gesetzgeber eine Ermächtigungsgrundlage geschaffen hat, die dem
       Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes genügt (zur Frage der
       Grundrechtsrelevanz Ihrer Sperrungsaufforderung nehme ich
       gesondert Stellung).
    2. In Ermangelung einer Ermächtigungsgrundlage kommt die Bildung
       einer Analogie zu bestehenden Vorschriften in Betracht, die
       Maßnahmen im Vorfeld von Ermittlungen oder im Verlauf von
       Ermittlungen ermöglichen.
    3. Die letzte Handlungsalternative ist die von Ihnen vorliegend
       ergriffene: In Ermangelung einer Grundlage für ein eigenes Handeln
       wird den beteiligten Dritten (in meinem fiktiven Beispiel betrifft
       das die Post AG, real sind es die von uns vertretenen Provider)
       aufgegeben, anstelle der Bundesanwaltschaft tätig zu werden. Zu
       diesem Zweck wird ihnen die Bestrafung als Mittäter in Aussicht
       gestellt, sofern sie die ihnen zugedachte Rolle nicht übernehmen.
       
   Es ist sicher naheliegend, den unter (3) dargestellten Weg zu
   beschreiten. Gleichwohl wird dadurch nach meiner Einschätzung eine in
   doppelter Weise verfassungswidrige Sachlage hergestellt:
   
    1. Die in der StPO für wesentliche Eingriffe der Ermittlungsbehörden
       vorgesehene richterliche Überprüfung wird vollständig
       "ausgehebelt". Mehr noch: Das Fehlen der Ermächtigungsgrundlage
       führt vorliegend dazu, daß der Rechtsschutz der betroffenen
       Unternehmen über dasjenige Maß hinaus verkürzt wird, das in einer
       gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage vorgesehen worden wäre. Der
       Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes verkehrt sich damit ins
       Gegenteil.
    2. Die Adressaten Ihrer "Abmahnung" werden einer Pflichtenkollision
       ausgesetzt, die sie selbst nicht auflösen können. Auf der einen
       Seite müssen sie geschlossenen Verträge erfüllen, auf der anderen
       Seite sind sie aber gehalten, strafrechtlichen Sanktionen
       auszuweichen. Welches Verhalten letztlich de lege lata geboten
       ist, wird gegebenenfalls erst nachträglich ein Gericht entscheiden
       (und zwar der Strafrichter, sofern die Sperrung nicht erfolgt und
       im übrigen der Zivilrichter durch Inzidentprüfung, falls die
       Sperrung erfolgt und ihre Rechtmäßigkeit von einem Kunden
       angezweifelt wird). Einen geeigneten rechtlichen Hinweis kann auch
       die Bundesanwaltschaft zur Zeit nicht geben, da Sie selbst aus dem
       in der Literatur geführten Streit keine eindeutigen
       Handlungsmaximen entnehmen können.
       
   Auf diese Weise wird ein von Art. 19 IV GG nicht gedeckter
   gerichtsfreier Raum geschaffen.
   
                                    VI.
                                      
   Dies ist besonders bedenklich, da von der Sperrungs-Maßnahme sowohl
   die Adressaten Ihrer "Abmahnung" wie auch Dritte in ihren Grundrechten
   tangiert werden.
   
   Die sperrenden Provider werden in der von Art.12 GG geschützten
   Gewerbefreiheit betroffen. Die Notwendigkeit einer Sperrung
   beeinträchtigt sie ebenso in ihrem Recht, Zugang zu allen Ressourcen
   des Internet zu ermöglichen wie auch in ihrer wirtschaftlichen
   Entfaltungsfreiheit. Für einige Kunden ist die Tatsache, daß von
   Sperrungen aus technischen Gründen auch rechtmäßige Angebote erfaßt
   werden, Anlaß, den Provider zu wechseln. Weiterhin ist abzusehen, daß
   denjenigen Providern, die nicht der Sperrung unterworfen sind - dazu
   gehören insbesondere Anbieter mit Sitz im Ausland - aus diesem Umstand
   ein zusätzliches Argument für ihr Marketing erwächst. Schließlich
   ergibt sich als mittelbare Folge der Aussage aus Ihrem Telefax vom
   13.09., wonach "sämtliche technischen Möglichkeiten auszuschöpfen"
   sind, "um einen Abruf der Druckschrift radikal Nr. 154 ... zu
   unterbinden", eine Verpflichtung zur Bereitstellung umfangreicher
   technischer und personeller Mittel. Dies kann nur dann gerechtfertigt
   sein, wenn die Maßnahme gemäß Art.12 Abs.1 S.2 GG auf eine gesetzliche
   Regelung und auf ein verhältnismäßiges Maß zurückgeführt wird.
   
   Im Hinblick auf die Kunden der Provider stellt sich die Sperrung als
   Eingriff in den Schutzbereich des Brief-, Post- und
   Fernmeldegeheimnisses aus Art. 10 I GG dar. Die Vorschrift schützt den
   Informationsaustausch zwischen räumlich voneinander entfernten
   Kommunikationspartnern, wobei nicht nur der Brief-, Post- und
   Fernmeldeverkehr, sondern jede Form der physikalischen, elektrischen
   oder elektronischen Übermittlung von Informationen erfaßt wird. Das
   Recht aus Art. 10 I GG ist immer dann betroffen, wenn - wie hier - in
   Telekommunikationsprozesse aktiv eingegriffen wird.
   
   Weiterhin kommt ein Eingriff in Art. 5 I GG in Betracht. Die
   Vorschrift gewährleistet einerseits die freie Weitergabe von
   Informationen und andererseits die Möglichkeit, den jeweiligen
   Kommunikationspartner auszuwählen. Dies ist denjenigen Kunden der
   angeschlossenen Provider, die Internet-Teilnehmer erreichen wollen,
   welche von XS4ALL versorgt werden, zur Zeit nicht mehr möglich.
   
                                    VII.
                                      
   Nach alledem halten wir eine gerichtliche Überprüfung der Sperrung für
   unabdingbar. Wir stellen anheim, eine derartige Prüfung Ihrerseits zu
   veranlassen. Dies könnte durch Anrufung des Ermittlungsrichters -
   beispielsweise unter analoger Anwendung des § 99 StPO oder einer
   anderen Ermächtigungsgrundlage - erfolgen.
   
   Sollten Sie diese Möglichkeit, der Sperrung eine rechtsstaatliche
   Grundlage zu verschaffen, nicht ergreifen oder sollte das angerufene
   Gericht seine Zuständigkeit verneinen, wird die ICTF den
   angeschlossenen Providern empfehlen, selbst um Rechtsschutz
   nachzusuchen. Da uns die Möglichkeit der Beschwerde nicht offensteht,
   werde ich empfehlen, zunächst im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG eine
   Klärung herbeizuführen und, falls auch das dafür zuständige Gericht
   eine Überprüfung der Maßnahme oder die Verweisung an den
   Ermittlungsrichter ablehnt, eine Entscheidung durch das
   Bundesverfassungsgericht anzustreben.
   
                                   VIII.
                                      
   Die von uns beabsichtigte gerichtliche Entscheidung sollte eine
   Regelung folgender Fragen vorsehen:
   
    1. Dauer der Sperre,
    2. Objekt der Sperre (wobei sich eine URL aus den bereits dargelegten
       Gründen nur bedingt als Objekt einer Sperrung eignet),
    3. Verfahren nach Ablauf der Sperrfrist,
    4. Kosten der Maßnahme.
       
   Bezüglich der Kosten rege ich an, in entsprechender Anwendung des § 88
   Abs.4 S.3 TKG die den Providern entstehenden notwendigen
   Mehraufwendungen der Staatskasse aufzuerlegen.
   
     _________________________________________________________________
                                      
   [3][LINK] Zurück zur [4]ICTF-Leitseite.
   
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   Kommentare und Anregungen senden Sie bitte an: [5]webmaster@anwalt.de.
              Copyright © 1996 Rechtsanwalt Michael Schneider
                   Letzte Änderung am 19. September 1996

References

   1. http://www.anwalt.de/ictf/p960916d.htm
   2. http://www.anwalt.de/ictf/p9609191.htm
   3. http://www.anwalt.de/ictf/index.html
   4. http://www.anwalt.de/ictf/index.htm
   5. mailto:webmaster@anwalt.de