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Schneiders juengste Erklaerung





                                  [INLINE]
                                      
       Mitteilung der Internet Content Task Force (ICTF) vom 08.10.96
                                      
                       RA Michael Schneider, eco e.V.
                                      
   Im Nachgang zur [1]ICTF-Pressemitteilung vom 19.09. informieren wir
   Sie über folgende Themen:
   
    1. Die Empfehlung, www.xs4all.nl wegen der Verbreitung der
       Zeitschrift "Radikal" zu sperren, wurde aufgehoben.
    2. Die Bundesjugendministerin Claudia Nolte hat erstmals die
       Indizierung eines WWW-Angebotes veranlaßt. Diese Maßnahme ist aus
       unserer Sicht politisch überdenkenswert, in jedem Fall aber
       rechtlich irrelevant.
       
     _________________________________________________________________
                                      
   Der Bundesanwaltschaft haben wir am 25.09. folgendes Schreiben
   übermittelt.
   
   Heute erhielt ich E-Mails folgenden Inhalts:
   
   From: tank <tank@xs4all.nl>
   Message-Id: <199609241258.OAA20030@xs1.xs4all.nl>
   Subject: Radikal removed from www.xs4all.nl. 49 sites to go !!
   To: sastre@Anwalt.DE
   Date: Tue, 24 Sep 1996 14:58:48 +0200 (MET DST)
   Cc: felipe@xs4all.nl
   
   Hi Herr Schneider. 
   
   We deceided to remove radikal 154 from xs4all.nl. So you can inform
   all isp's to stop block traffic from and to xs4all. ...
   
   From: Felipe.Rodriquez@solair1.inter.nl.net (Felipe Rodriquez)
   Message-Id: <9609241710.AA03599@solair1.inter.NL.net>
   Subject: Radikal information was now really removed by user
   To: sastre@Anwalt.DE (Michael Schneider)
   Date: Tue, 24 Sep 1996 19:10:52 +0200 (MET DST)
   
   The radikal document was removed voluntarily by our user. Please
   double-check so yourselfe.
   
   Ofcourse this does not solve the problem of 47 mirrors, but that's
   your problem i guess, and not mine.
   
   Regards,
   Felipe
   
   Ausweislich der Anlage ergab eine Überprüfung, daß die Radikal -
   jedenfalls zur Zeit - unter
   
   http://www.xs4all.nl/~tank/radikal bzw /~tank/radikal/154/
   
   nicht mehr abgerufen werden kann. Die erstgenannte URL enthält nur
   noch eine Mirror-List, die zweite ist offensichtlich nicht mehr
   vorhanden (&#132;The requested URL /~tank/radikal/154/ was not found
   on this server"). Daher werde ich die Empfehlung widerrufen, diese URL
   - bzw. hilfsweise den Server www.xs4all.nl - zu sperren.
   
   Die von uns geforderte gerichtliche Klärung bleibt hiervon unberührt.
   Nachdem Sie mir gestern telefonisch mitgeteilt haben, daß Sie keine
   Möglichkeit sehen, selbst eine Überprüfung durch den
   Ermittlungsrichter herbeizuführen, werden wir ein Vorgehen nach §§ 23
   ff. EGGVG prüfen.
   
   Die Bundesanwaltschaft hat und den Eingang des Schreibens bestätigt.
   Weiterhin wurde uns versichert, daß die Rücknahme der Empfehlung
   angesichts der von uns geschilderten Voraussetzungen nicht zur
   Einleitung von Ermittlungsverfahren gegen die der ICTF angeschlossenen
   Provider führen werde. Darüber hinausgehende Stellungnahmen
   (insbesondere weitere Aufforderungen zu Server-Sperrungen) wurden uns
   bis zur Veröffentlichung dieser Pressemitteilung nicht übermittelt.
   
     _________________________________________________________________
                                      
   Mit [2]Pressemitteilung vom 26. September 1996 hat die
   Bundesjugendministerin Claudia Nolte mitgeteilt, daß ihr Ministerium
   die erste Indizierung eines Angebotes im Internet beantragt habe. Es
   handele sich um die WWW-Seiten des in Kanada lebenden Ernst Zündel.
   
   Ein Sprecher des Ministeriums erläuterte dazu sinngemäß, es bestehe
   akuter Handlungsbedarf und man könne nicht länger zusehen, wie
   gedanken- oder gewissenlose Anbieter das Internet für ihre Zwecke
   mißbrauchten. Eine Indizierung nach dem Gesetz über jugendgefährdende
   Schriften (GJS) sei hierfür der geeignete Ansatzpunkt. Man sei auch
   der Ansicht, daß das GJS auf WWW-Seiten Anwendung finden könne. Das
   Gesetz in geeigneter Weise umzusetzen (insbesondere im Rahmen etwaiger
   Ermittlungsverfahren gegen Internet-Service-Provider), obliege der
   Sensibilität der Strafverfolgungsbehörden. Unser Einwand, eine
   Indizierung sei "am Vorabend" der Verabschiedung des "Gesetzes zur
   Regelung der Rahmenbedingungen für Informations- und
   Kommunikationsdienste (IuKDG)" politisch ebenso unklug, wie die
   Tatsache, daß man ausgerechnet gegen die seit langem bekannten
   Zündel-Seiten vorgehe, wurde zurückgewiesen. Es sei nicht sinnvoll,
   bis zum Inkrafttreten des Gesetzes jegliche Maßnahmen gegen
   jugendgefährdende Schriften zu unterlassen. Unsere Einschätzung, daß
   eine Indizierung nach dem heutigen GJS im Internet nichts bewirken
   kann, teilt das Ministerium ebenfalls nicht. Man mache sich keine
   Illusionen über die Wirksamkeit einer Indizierung, halte dies aber für
   einen Schritt in die richtige Richtung. Solange auf der
   internationalen Ebene keine wirksamen Maßnahmen für den Jugendschutz
   im Internet vereinbart werden könnten, sei man auf den nationalen
   Bereich und das hier vorliegende rechtliche Instrumentarium
   angewiesen.
   
   Wir vertreten die Auffassung, daß die Indizierung von WWW-Seiten nach
   geltendem Recht unwirksam ist. Wir nehmen sie daher zur Kenntnis,
   werden daraus aber einstweilen keine Empfehlungen für die der ICTF
   angeschlossenen Provider ableiten. Dies begründen wir wie folgt:
   
                                     I.
                                      
   Das GJS bezieht sich gemäß § 1 Abs.1 nur auf &#132;Schriften" und die
   in § 1 Abs.3 diesen gleichgestellten &#132;... Ton- und Bildträger,
   Abbildungen und andere Darstellungen ...". Damit ist schon nach dem
   Wortlaut fraglich, ob die Speicherung und Übermittlung von
   Informationen im Internet nach dem GJS beurteilt werden kann. In
   Betracht kommt hier lediglich eine Verbreitung in der Form der
   &#132;anderen Darstellung" im Sinne des § 1 Abs.3 GJS. Eine andere
   Darstellung im Sinne dieser Bestimmung kann in Fortführung der in
   Absatz 3 genannten weiteren Beispiele &#132;Ton- und Bildträger ..."
   nur ein körperlicher Gegenstand sein. Aus diesem Grunde kommen als
   Ansatzpunkt für eine Anwendung des GJS in Telekommunikations-Diensten
   und -Netzen nur diejenigen Vorgänge in Betracht, bei denen Inhalte in
   eine &#132;verkörperte" Form überführt werden. Die Datenübermittlung
   selbst fällt, wie bereits für Rundfunk, Fernsehen und Btx gerichtlich
   festgestellt wurde (vgl. BVerwGE 85, S. 169 f., 171; OVG Münster in
   NJW 1993, S.1494), nicht in den Anwendungsbereich des GJS.
   
                                    II.
                                      
   In der öffentlichen Diskussion wird gleichwohl immer wieder angeführt,
   nach dem Sinn und Zweck des GJS müsse das Gesetz auch auf eine
   nichtkörperliche Verbreitung von Informationen angewendet werden,
   sofern es sich dabei um elektronische Darstellungen von Schriften
   handele. Eine derart weite Auslegung wird indessen vom Wortlaut des
   Gesetzes nicht mehr gedeckt und sie wäre daher schon vor dem
   Hintergrund des Eingriffscharakters des GJS rechtlich bedenklich.
   Selbst wenn man aber die Auffassung vertreten wollte, die für eine
   Analogiebildung erforderliche planwidrige Regelungslücke läge hier vor
   und die Schließung der Lücke sei dringend geboten, kollidierte dies
   mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs.2 GG. Die Analogiebildung
   wäre nämlich nur dann sinnvoll, wenn sie sich auf die in § 21 GJS
   vorgesehenen strafrechtlichen Sanktionen erstreckte. Dies ist jedoch
   nach Art. 103 Abs.2 GG nicht zulässig. Vielmehr darf eine
   Strafrechtsnorm, die auf Tatbestandsmerkmale einer zur Konkretisierung
   herangezogenen anderen Vorschrift verweist, nur in den Grenzen ihres
   Wortsinns zur Anwendung gelangen . Damit ist § 21 GJS von der
   Analogiebildung ausgenommen. Ohne diese auch gerneralpräventive
   strafrechtliche Bestimmung wäre eine Anwendung des GJS indessen nahezu
   wirkungslos.
   
                                    III.
                                      
   Neben den Problemen einer geeigneten Prüfung der übermittelten Inhalte
   ist bei einer verfassungskonformen Auslegung des GJS das Grundrecht
   auf Informationsfreiheit gemäß Art. 5 Abs.1 GG zu berücksichtigen .
   Diese gewährleistet einerseits die freie Weitergabe von Informationen
   und andererseits die Möglichkeit, den jeweiligen Kommunikationspartner
   auszuwählen. Die Informationsfreiheit beinhaltet damit nicht nur das
   Recht, Ansichten frei äußern zu dürfen, sondern zugleich eine
   Komponente des ungehinderten Zuganges zu Informationsquellen. Daraus
   läßt sich nach unserer Ansicht ableiten, daß sich die aufgrund einer
   Indizierung eingeleiteten Maßnahmen nicht dergestalt auf die
   Möglichkeit zur Kenntnisnahme durch Erwachsene auswirken dürfen, daß
   eine Kenntnisnahme dieser Informationen für letzere ausgeschlossen
   oder wesentlich erschwert wird. Dies ist jedoch technisch nicht immer
   darstellbar. Eine Indizierung von Inhalten im Internet nach den
   Vorschriften des GJS ist somit auch unter diesem Gesichtspunkt
   rechtlich bedenklich.
   
                                    IV.
                                      
   Schließlich sind die Verfahrensweisen, die in den §§ 1, 8 ff GJS
   niedergelegt sind, nur dann für einen effektiven Jugendschutz
   geeignet, wenn es sich bei den indizierten &#132;Darstellungen" um
   körperliche handelt. Das Verfahren der Anhörung - von der nur in den
   Ausnahmefällen des § 15a GJS abgesehen werden kann - und die
   anschließende Bekanntmachung eignen sich aus drei Gründen nur dann zur
   Verhinderung einer Verbreitung der maßgeblichen Darstellungen, wenn
   diese verkörpert sind:
   
    1. Die nichtkörperliche Verbreitung ist - insbesondere über
       Mailing-Lists und über das UseNet - längst abgeschlossen, bevor
       eine Indizierung überhaupt erfolgen kann.
    2. Selbst wenn eine Indizierung aber noch in Betracht käme - etwa bei
       Web- und FTP-Servern sowie bei Abrufdiensten proprietärer
       Online-Anbieter - kann die weitere Distribution jugendgefährdender
       oder inkriminierter Inhalte nicht verhindert werden.
       Nichtkörperliche Darstellungen können, anders als Druckwerke,
       unter Beibehaltung des wesentlichen Inhaltes nach der erfolgten
       Indizierung ohne weiteres so modifiziert werden, daß sie von dem
       Verbreitungsverbot nicht mehr erfaßt werden.
    3. Nach deutschem Recht indizierte Inhalte können und werden ohne
       weiteres über Server in solchen Ländern in das Internet
       eingespeist, in denen eine Rechtswidrigkeit nicht gegeben ist und
       in denen deutsches Recht nicht durchgesetzt werden kann. Die
       zunehmende Menge der durch das Internet und durch Online-Dienste
       verbreiteten Informationen macht zudem die Kontrolle derselben
       durch ein mit Vertretern aller gesellschaftlich bedeutenden
       Gruppen besetztes Gremium - wie es die Bundesprüfstelle ist -
       nahezu unmöglich.
       
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   [3][LINK] Zurück zur [4]ICTF-Leitseite.
   
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   Kommentare und Anregungen senden Sie bitte an: [5]webmaster@anwalt.de.
              Copyright © 1996 Rechtsanwalt Michael Schneider
                     Letzte Änderung am 08.Oktober 1996

References

   1. http://www.anwalt.de/ictf/p960919d.htm
   2. http://www.anwalt.de/import/nolte96a.htm
   3. http://www.anwalt.de/ictf/index.html
   4. http://www.anwalt.de/ictf/index.htm
   5. mailto:webmaster@anwalt.de