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[Presse] Kampf um Regeln fürs Internet



To whom it may concern: Diskussion zur Rechtslage im Internet vom
Justizministerium Baden-Württemberg.

[aus der Tübinger Lokalpostille "Schwäbisches Tagblatt/Südwest Presse"
10/12/96, Rubrik "Im Brennpunkt"]

Der mühsame Kampf um Regeln für das Internet

Triberger Symposium: Die Risiken der globalen Vernetzung

Von unserem Redaktionsmitglied Wolfgang Janisch

Notizen vom Kampf im Internet: Der Justizminister sagt, mit dem
Strafrecht sei hier nicht viel auszurichten. Der Generalstaatsanwalt
fürchtet, daß die Ermittler die Segel streichen müßten. Die Frau vom
Jugendschutz sinniert: "Wir vom Jugendschutz erleben immer wieder, daß
wir zu spät kommen." Und der Beobachter kommt ins Zweifeln: War er
womöglich auf der falschen Veranstaltung?

War er nicht: Das 17. Triberger Symposium war durchaus die richtige
Veranstaltung zu rechten Zeit, auch wenn das Thema "Chancen und
Risiken der globalen Vernetzung" uferlos schien. Doch was sich an
Risiken hinter dem Stichwort Internet verbirgt, ist tatsächlich
unüberschaubar. Trotzdem müssen sich die Juristen Gedanken darüber
machen, mit welchen Regeln man diesen Risiken begegnet.
Denn über das weltumspannende und herrschaftsfreie Datennetz lassen
sich nicht nur Kinderpornographie und Nazipropaganda, Rezepte für
synthetische Drogen oder Bastelanleitungen für Splitterbomben
verbreiten. Dort werden Texte versandt, deren Verbreitung
urheberrechtliche Fragen aufwirft, Informationen ausgetauscht, die man
vom Datengeheimnis geschützt sehen möchte, dort werden Verträge
geschlossen, deren Gültigkeit unklar ist, krz: Die Gesetze müssen an
die virtuelle Welt angepaßt werden - und zwar schnell. Das ist, als
hätte der Übergang von der Zeit der Pferdefuhrwerke zur Ära der
Autobahnkreuze drei Jahre gedauert, und man müßte von heute auf morgen
das gesamte Verkehrsrecht erfinden.

Deshalb konnte es in Triberg nur um eine erste Orientierung gehen. Der
Gastgeber, Baden-Württembergs Justizminister Ulrich Goll (FDP), warnte
davor, zu sehr auf die reinigende Kraft des Strafrechts zu
setzen. Erstens macht das Internet nicht an den nationalen Grenzen
halt. Und zweitens muß man den Täter erst haben, bevor man ihn
bestrafen kann. Hier zerstörte Goll die Illusion vom Fahnder im
Internet, der mit einem Klick sämtliche Straftaten im NEtz aufdecken
kann: "Es wird dabei bleiben, daß die Ermittler das Internet nicht
systematisch auf strafbare Inhalte überprüfen können."
Denn der Aufwand, das Netz "sauber" zu halten, wäre vermutlich dem
Versuch vergleichbar, in einer Stadt wirksam Verbrechen zu
verhindern. Deswegen konnte er Stuttgarter Generalstaatsanwalt Dieter
Jung - halb resigniert, halb erleichtert - seinem Minister zustimmen:
"Wir können das mit verhältnismäßigen Mitteln nicht aufdecken." Die
Konsequenz: Die Ermittler müssen warten, bis Anzeigen eingehen - was,
so vermeldete Franz-Hellmut Schprholz, Präsident des
Landeskriminalamts Baden-Württemberg, im vergangenen halben Jahr 15mal
der Fall war.

Auch Birgit Ebbert von der Aktion Jugendschutz Baden-Württemberg setzt
eher auf Aufklärung als auf Gesetze. Sie könnte sich
medienpädagogische Ansätze vorstellen, aber auch Warnhinweise. DAs
geplante Multimedia-Gesetz - der Referentenentwurf des
Forschungsministeriums wird morgen im Kabinett behandelt - will die
sogenannten "Provider" zur Einsetzung eines Jugendschutzbeauftragen
verpflichten, also jene Datendienste wie Compuserve oder T-Online, die
den Zugang zum Internet eröffnen. Falls aber doch strafbare Inhalte
entdeckt werden, stellt sich die Frage nach der Verantwortung. Die
trifft an erster Stelle natürlich den Urheber - was wenig nützt, wenn
der in Honolulu sitzt. Deshalb die Frage: Können die "Provider"
haftbar gemacht werden?

Der Referentenentwurf sieht dies vor, falls der Provider Kenntnis von
den strafbaren Datengruppen hat und es ihm technisch zumutbar ist, den
Zugang zu der inkriminierten "news group" zu sperren. Und hierscheiden
sich die Geister. Andreas Göckel von der Deutschen Telekom AG verweist
darauf, daß es dem Provider schlichtweg unmöglich sei, alle Daten zu
sortieren: "Wir sind nicht die Herren des Internets". Schürholz hält
dagegen, daß man ja irgendwo anfangen müsse: "Wenn man im nationalen
Bereich etwas tun will, kann man das - wenn auch mit eingeschränkter
Wirkung." Wenn jeder Provider wenigstens seinen "Server" (Rechner)
kontrolliere, könne dies eine disziplinierende Wirkung haben. Denn der
LKA-Chef will den Kampf aufzugeben, bevor er begonnen hat. [offenbar
Tippfehler, muß wohl heissen "will nicht den Kampf aufgeben" - Lukas]
Und er zeigt Phantasie: Das LKA geht mit einer eigenen Adresse ins
Internet. Dann kann der Bürger, dem die Pornos oder Rechtsextreme
aufgefallen sindn, dort gleich seine Anzeige abgeben. Virtuell und
unbürokratisch.