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Multimediagesetzgebung



Hi,

keine Ahnung, inwieweit dieser Kreis schon ueber die Plaene informiert
ist, einen neuen Netpol-Digest herauszubringen.  Anyway, ich habe
(unter reichlicher Verwendung von Cut&Paste aus anderen meiner Werke)
einen Kommentar zur laufenden Multimediagesetzgebung von Bund und
Laendern verfasst, den ich der hier versammelten Runde gern zur
Begutachtung vorlegen moechte.

Gruss,
mr
                                                Berlin, 15.02.97
                                                Autor: Martin Recke

Arbeitstitel: Salamitaktik -- Die geplanten Multimedia-Gesetze helfen
nicht weiter

Qualm dringt aus den Gesetzesküchen:  Bund und Länder basteln an zwei
Gesetzeswerken, mit denen der schwer überschaubare Bereich zwischen
Radio und Fernsehen auf der einen Seite und Telefon auf der anderen
geregelt werden soll.  Forschungsminister Rüttgers präsentiert mit dem
werbewirksamen Slogan "Multimedia möglich machen" sein Informations-
und Kommunikationsdienste-Gesetz, während die Länder,
marketingtechnisch schlechter beraten, ihren Entwurf als "Staatsvertrag
über Mediendienste" betitelten.

Zur Aufregung geben beide Papiere wenig Anlaß.  Der eigentliche
Skandal besteht nicht in dem, was drinsteht, sondern in den Lücken,
die am Ende übrig bleiben dürften.  Wozu, die Frage muß erlaubt sein,
braucht das Land überhaupt zwei neue Kommunikationsgesetze?  Haben
Bund wie Länder nicht erst im vergangenen Jahr die Gesetzeslandschaft
mit Novellen bereichert?  Im Sommer trat nach heftigem Streit das neue
Telekommunikationsgesetz in Kraft.  Und rechtzeitig zur Jahreswende
verabschiedeten die Länderparlamente die Neufassung des
Rundfunkstaatsvertrags.

Mit dieser scheibchenweise vorgehenden Gesetzestechnik scheint es
derzeit zu gelingen, die wichtigsten Fragen weitgehend ungeregelt zu
lassen, die des freien Zugangs für Nutzer wie Anbieter.  Die beiden
neuen Entwürfe beschränken sich auf den puren Verzicht: "Mediendienste
sind im Rahmen der Gesetze zulassungs- und anmeldefrei", heißt es im
Ländertext; ganz ähnlich lautet der Paragraph des Bundes.  Inzwischen
gestrichen wurde eine Klausel, die im früheren Länderentwurf noch
enthalten war: Sie hätte marktbeherrschende Anbieter von
Telekommunikations- und Mediendiensten dazu verpflichtet, anderen zu
gleichen Bedingungen Zugang zu gewähren.

Von dieser löblichen Absicht blieb nichts übrig als eine schlichte
Einladung an Investoren.  Die Nutzer kommen nicht einmal als
Konsumenten vor.  Und der geballten Monopolmacht von
Telekommunikations- und Medienkonzernen haben die neuen Regeln nichts
entgegenzusetzen.  Das Vertrauen in den Markt ist in Bonn wie in den
Ländern offenbar grenzenlos.  Diese Naivität steht in einem seltsamen
Gegensatz zum Telekommunikationsgesetz, das für ganz ähnliche Fragen
umfangreiche Regeln einführt und sogar eine neue Aufsichtsbehörde
schafft, die den aufkeimenden Wettbewerb sichern soll.

Schon der Rundfunkstaatsvertrag hingegen hat vor dieser Frage
praktisch kapituliert.  Unter dem Rubrum "Zugangsfreiheit" führt der
neugeschaffene § 53 in drei dürren Absätzen eine Zugangspflicht ein:
Anbieter und Vermarkter von Decodern müssen danach allen
Fernsehveranstaltern zu gleichen Chancen und zu diskriminierungsfreien
Bedingungen ihre Leistungen anbieten.  Diese Klausel ist zwar nicht
falsch, aber leider völlig unzureichend.  Denn über die konkrete
Ausgestaltung dieser Norm schweigt sich das Vertragswerk aus, dem
sonst selbst emphemere Details wie die neugeschaffenen Programmbeiräte
ein Mehrfaches an Text wert sind.

Das Ergebnis dieser Salamitaktik von Bund und Ländern läßt sich kaum
anders als Bankrotterklärung bezeichnen.  "Multimedia" wird nicht
dadurch "möglich", daß der Staat sich im Regulierungsverzicht übt.
Eine Marktöffnung, wie sie die Telekommunikation derzeit erlebt, macht
Regeln nicht überflüssig, sondern verlangt zunächst sogar mehr und
neue.  Dies einfache und unter Medien- und Telekommunikationsjuristen
weitgehend unumstrittene Weisheit hat beim Feilschen um die
Kompetenzverteilung in der digitalen Ära offenbar keine Chance.  

Mit der Formel "Offenheitspflege statt Ausgewogenheitspflege" benennt
der Medienrechtler Martin Bullinger den Regelungsbedarf:  Die Aufgabe
des Staates besteht nicht wie beim Rundfunk darin, für ein
ausgewogenes Gesamtangebot zu sorgen, sondern darin, den Zugang für
Anbieter, Abnehmer und Inhalte offen zu halten.  Meinungsvielfalt
wird, wie im Printbereich, durch "Außenpluralität" gesichert:
Unterschiedliche Auffassungen kommen in unterschiedlichen Foren zu
Wort.  

Schon jetzt gibt es derart viele unterschiedliche Angebotsformen im
Internet und in den Online-Diensten, daß sie nur schwer auf einen
einheitlichen kommunikationsrechtlichen Nenner gebracht werden können:
Zwischen elektronischer Post und Abruffernsehen liegt ein weites Feld,
das Bund und Länder mit Hilfe des Stichworts "Allgemeinheit" zu teilen
versuchen.  Für die individuelle Nutzung ist der Bund mit dem
Teledienstegesetz zuständig, für an die Allgemeinheit gerichtete
"Mediendienste" die Länder.  Die in der Praxis zu erwartenden
Abgrenzungsschwierigkeiten sollen durch in ihrer Substanz weitgehend
identische Regeln umgangen werden.

Dies ist das Resultat eines politischen Kompromisses vom Sommer.  Damals
beschlossen Bund und Länder, die verfassungsrechtlichen Grundsatzfragen
ad acta zu legen und sich auf das mögliche Minimum zu beschränken.
Das Rüttgers-Ministerium hatte die "Multimedia"-Regeln zum Spielball im
Kompetenzkampf mit den Ländern gemacht, gleichzeitig aber mit seltsamer
Bockbeinigkeit auf substanzlosen Gesetzesfloskeln bestanden.  Nicht
einmal in diesem exemplarischen Bereich reichte die politische Kraft
dazu aus, erste Schritte hin zu einem einheitlichen Kommunikationsrecht
zu unternehmen, das Kompetenzen von Bund und Ländern zusammenführt.

Durch diese politische Abstinenz bleiben nun auch Probleme ungeregelt,
die an der juristischen Schnittstelle zwischen Telekommunikations- und
Medienrecht liegen.  Die Neutralität technischer Dienstleistungen ist
so ein Fall:  Sie wird derzeit nur für Fernsehdecoder mit dem
dürftigen § 53 im neuen Rundfunkstaatsvertrag festgeschrieben und für
Telekommunikationsdienstleistungen im Tk-Gesetz geregelt.  Für
Mediendienste und Teledienste halten offenbar weder Bund noch Länder
solche Regeln für wichtig.  Ähnliche Lücken klaffen bei der Frage der
Zusammenschaltung:  Ob es auch auf der Ebene der Netzdienste (wie
Internet) ein Recht auf Zusammenschaltung geben soll, lassen beide
Regelwerke offen.  

Nach dem derzeitigen Stand der Dinge bleibt also unentschieden, ob
Regeln wie die des Tk-Gesetzes über Zusammenschaltung und Netzzugang
auch für die Internet-Anbieter gelten sollen.  Aus
telekommunikationstechnischer Sicht bieten die Internet-Provider einen
Mehrwertdienst an; aus der Perspektive eines
Mediendienste-Staatsvertrags oder Teledienste-Gesetzes ist der pure
Transport von Internet-Datenpaketen nur eine Infrastruktur für die
darüber angebotenen Tele- und Mediendienste.  Solche Löcher müssen
immer wieder entstehen, wenn die hergebrachte Trennung zwischen
Medien- und Telekommunikationsrecht weiter fortgeschrieben wird.

Der Ländervertrag versucht im Grunde, die rechtliche Ordnung der
Presse mit Regeln wie Sorgfaltspflicht, Trennung von Bericht und
Kommentar, Gegendarstellungspflichten und Auskunftsrechten ins
Digitale zu übersetzen.  Daneben löst es Angebote des klassischen
Fernsehens wie den Einkauf via Bildschirm ("Teleshopping") aus dem
Regelungsbereich des Rundfunkstaatsvertrags und ordnet ihn den
ansonsten nur diffus definierten "Mediendiensten" zu.  Der
Multimedia-Entwurf des Bundes enthält neben dem überflüssigen
Teledienstegesetz noch eine Datenschutzregelung und -- eine wirkliche
Innovation -- ein "Signaturgesetz", mit dem die digitale Unterschrift
möglich werden soll.  Der Rest ist gesetzgebungstechnischer Kleinkram,
im Grunde ohne medienpolitische Relevanz.

Die beiden Multimedia-Regelpakete lassen nicht nur allzu viele
kommunikationspolitische Fragen offen, sie geben auch falsche Antworten
auf Fragen, die allenfalls nebensächliche Bedeutung haben.  Mit simplen
Sätzen wollen die beiden Gesetzgeber die juristisch komplizierten Fragen
erledigen, wer wann welche (straf-)rechtliche Verantwortung trägt.
Macht sich zum Beispiel Angela Marquardt strafbar, wenn sie auf ihren
Internet-Seiten einen anklickbaren Hinweis auf eine hierzulande
verbotene Ausgabe der linksextremen Zeitschrift "radikal" anbringt?

Die Berliner Staatsanwaltschaft war dieser Meinung und erhob Anfang
Januar Anklage.  "Hier geht es um eine saubere, zahnlose Öffentlichkeit.
Um Wohnzimmeratmosphäre im Cyberspace", kommentierte die 25jährige, bis
vor kurzem stellvertretende PDS-Vorsitzende, das Verfahren.  Tatsächlich
geht es aber um etwas anderes: Auch für die Gerichte ist derzeit nämlich
unklar, wieweit die Verantwortlichkeiten in der Online-Welt reichen.
Denn Urteile hat es bislang nicht gegeben.  Die einfachen Sätze, mit
denen nun die Verantwortung neu verteilt werden soll, sind in dieser
Lage zwar nicht falsch; wahrscheinlich aber springen sie zu kurz.  

Kaum jemanden dürfte es überraschen, daß "Anbieter für eigene Inhalte
nach den allgemeinen Gesetzen verantwortlich" sind -- so der Text im
Teledienste-Gesetzentwurf des Bundes.  Spannender wäre doch zu wissen,
wie weit diese Verantwortung reicht.  Und für den, der auf seinem lokalen
Server fremde Inhalte anbietet, haben die neuen Regelungen nur einen
Gummiparagraphen zu bieten:  Wenn er davon Kenntnis hat und es ihm
"technisch möglich und zumutbar ist, deren Nutzung zu verhindern", dann
trifft auch ihn die Verantwortung vor dem Gesetz.  Technisch möglich ist
vieles, und was zumutbar ist, werden dann wohl die Gerichte entscheiden
müssen.  Die neuen Gesetze helfen nicht weiter.

Müssen Internet-Anbieter den Zugriff auf nach deutschem Recht
unzulässige Inhalte für ihre Kunden sperren?  Solche Sperren sind zwar
prinzipiell denkbar, aber relativ einfach zu umgehen.  Und selbst die
Umgehung dieser administrativ aufgerichteten Hindernisse läßt sich
problemlos automatisieren.  Im übrigen kann niemand zielgenau einzelne
Seiten auf fremden Rechnern sperren:  Blockaden treffen immer den
kompletten Server -- im Falle von "radikal" lagen dort die Angebote
von über tausend Kunden des niederländischen Providers XS4ALL.  (mr)