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Re: Tagesspiegel-Interview bzgl. Austro-net



Arne schrieb:
> > At 22:05 06.04.97 +0200, Carsten Gerlach wrote:
> > >Hallo !
> > >
> > >Im Tagesspiegel Berlin vom 6.4.97 ist ein Interview mit
> > >Christian Jung, "Rechtswissenschaftler und Internet-Experte von der
> > >FU Berlin" (Tagesspiegel).
> > >
> > >Ich poste hier einige Auszuege, in denen sich Herr Jung mit der Rechtslage
> > >befasst:
> > >-----------------------------------------------------------------------------
> > >[...]
> > >_JUNG_:
> > >[...]
> > >Nach meiner ersten Einschaetzung sind normale "links", die den Betrachter
> > >nicht darueber taeuschen, dass er auf die Seite eines anderen Anbieters
> > >gelenkt wird, und diesen Anbieter auch ueber seinen URL identifizieren,
> > >urheberrechtlich wie Zitate zu behandeln. 
> > 
> > Hier wird in einem Satz die sehr zweifelhafte Praemisse fuer alle 
> > weiteren Aussagen gesetzt. Ist ein Link wirklich ein Zitat ? Ist es 
> > nicht etwas neues? Ist Hypertext so einfach in der Schublade 
> > "Zitat" zu verstauen? Ich denke nicht. Er begruendet noch nicht
> 
> Ich meine ja und nein zu der (versteckten) Aussage "ein Link ist ist 
> etwas Neues". Ich sehe einen Link als einen Querverweis, der sehr 
> leicht erreichbar ist. Aber was ist ein Literaturhinweis in einer 
> wissenschaftlichen Arbeit oder sonstigen Schrift? Ich meine nicht die 
> Verweise, woher bestimmte Zitate stammen, sondern wenn da drin steht: 
> "Weiterfuehrende Litaratur" oder so. Wurde da schon zitiert? Oder ist 
> ein solcher Hinweis zulaessig? Wo ist der grosse Unterschied zu einem 
> Link?

Ein Literaturhinweis ("wie X.Y. in [xy1982b, S. 84ff] schreibt") dient in
wissenschaftlichen Arbeiten als Querverweis zur Argumentation fuer eigene
Thesen. Wenn man Seiten fuellen will, kann man die entsprechende Passage
zitieren; wenn nicht, muss sich der Leser in die Bibliothek begeben und das
zitierte Werk besorgen (insofern ist ein Link durchaus ein Verweis auf eine
leicht erreichbare Quelle). Der Unterschied zur "weiterfuehrenden Literatur"
ist nur graduell, und wird oft als Kunstgriff verwendet, um keine Zeit zu
verschwenden, sich mit der nur am Rande beruehrten Sekundaerliteratur
abzugeben. Ich wuerde einen solchen allgemeinen Verweis nicht als ein
ernsthaftes Zitat ansehen: in dicken Buechern steht eine ganze Menge. Wir
haben fuer eine Literaturangabe "steht im Buch XX" (anstatt "steht in XX an
folgender Stelle") schon manchem Studenten seine Diplomarbeit wegen
schludriger Recherche um die Ohren gehauen. Schludrige Buchautoren gibts
natuerlich auch reichlich, die z.B. pauschal fette Standardfolianten als
Referenz angeben und damit eigentlich nur die Groesse ihres Regals beschreiben.

M.A. ist die Frage, ob ein Hyperlink ein Zitat ist, kontextabhaengig. In
(mehr oder weniger) wissenschaftlichen oder auch journalistischen Traktaten
hat er die Bedeutung eines Zitats ("hier findet man KiPo's und so sehen 
sie aus" ;-) ), eine Homepage mit Hotlist interessanter Seiten ist jedoch 
keine selbstaendige Publikation, vielmehr eher vergleichbar mit einem
Verzeichnis eigener oder fremder Schriften. Wenn ich die Liste der Buecher
meines Regals aufzaehlen wuerde und auch eine Liste von von mir gelesenen
Buechern in der Bibliothek mit Standortangabe dazupacke, wuerde ich etwas
aehnliches wie eine Hotlist bekommen. Eine besondere Eigenschaft ist es oft,
dass die so entstehende Bibliographie einen breiten Themenbereich umfasst 
(ich habe eben nicht nur Computerbuecher). Es waere schlicht unsinnig, dass
ich durch eine bibliographische Auflistung damit gleichzeitig alle Autoren
zitiere - ich muss ja garnicht mal den Inhalt der Buecher kennen. 

Bei Weblinks als Zitatsammlung kommt noch eine bei Buechern weniger haeufig
vorkommende Dynamik hinzu, dass sich Inhalte ohne mein Wissen aendern koennen.

Bei einem echten Literaturzitat muesste man im Extremfall noch die Buchauflage
angeben, falls der Autor in einer folgenden Auflage seinen Text revidiert.
Bei Webseiten ist dies an der Tagesordnung und macht diese als Quellenangaben
oft herzlich unbrauchbar (Ausnahme: Zeitungen im Internet, welche ihre Texte
archivieren, so dass sie noch Jahre spaeter einsehbar sind).

> Falls eine Sammlung von Links nicht zulaessig ist, dann sollte man 
> darueber nachdenken, ob Buecher, deren Inhalt eine Sammlung von 
> Buchtiteln ist, unzulaessige Zitatsammlungen sind ( solche 
> Schriftwerke existieren in Form von Diplomarbeiten zum Beispiel).

Titelkataloge und Bibliographien gelten m.W. als eigenstaendige Werke
nur durch ihre Form und Aufmachung, nicht durch ihren Inhalt (aehnliches
gilt etwa auch bei dem derzeitigen Streit um die Telefon-CDs). Interessanter
ist die Frage, ob Abstract-Sammlungen Zitatsammlungen sind, wobei allerdings
gerade das Wesen eines Abstracts darin besteht, ein Papier fuer eine
solche Sammelpublikation zusammenzufassen. Beide Arten von Sammlungen
sind allgemein als zulaessig anerkannt und wuerden wohl auch von Juristen
niemals angezweifelt (wuerden sie sich doch sonst bei ihrer Literaturrecherche
selbst ans Bein pinkeln ;-)). Aber beides liesse sich mit dem Verweis
auf ein wissenschaftliches Interesse begruenden und passt deshalb nicht zum
Weblink.

Zusammengefasst: Ein Zitat dient dem Nachweis eines bestimmten Gedankengangs
oder einer Meinungsaeusserung. Zum Nachweis muss es verifizierbar sein
(durch Angabe einer zuverlaessigen Quelle oder absatzweises Kopieren in
eigenen Text); dies gilt fuer normale WWW-Seiten nicht. Es laesst sich
anhand von Search-Engines problemlos zeigen, dass ein Drittel bis die Haelfte
aller gefundenen References veraltet, unzugaenglich, unerreichbar, veraendert
sind, selbst wenn Robots wie Altavista alle 4 Wochen einen Server konsultieren.

Nur: was macht dann eigentlich DejaNews?

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