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Spiegel: Netzwelt: Jäger ohne Flinten
- To: DEBATE <debate@fitug.de>
- Subject: Spiegel: Netzwelt: Jäger ohne Flinten
- From: Rigo Wenning <wenning2@rz.uni-sb.de>
- Date: Tue, 08 Jul 1997 14:35:34 +0200
- Comment: This message comes from the debate mailing list.
- Organization: Universität des Saarlandes
- Reply-To: wenning2@rz.uni-sb.de
- Sender: owner-debate@fitug.de
Hallo Leute,
die Jagd geht wieder los. Was der Spiegel schreibt,
ist unsere Meinung seit langem. Aber die Frage ist,
ob nicht demnaechst wieder die Hexenjagd losgeht,
weil die Polizei immer noch nicht genug Know-How hat
und es wieder einmal eines "politischen Gags"
bedarf.
---------------attachment---------------------
http://www.spiegel.de/netzwelt/aktuell/artikel.html
[Image]
Aktuell Dienstag, 8.7.97
Jäger ohne Flinten
"Suche Kontakte zu 8-11jährigen Mädchen in
Deutschland. Geld spielt keine Rolle" oder "Suche
junge Stute zum Einreiten" - Mitteilungen in die
einschlägigen Newsgroups, ohne daß sich die Absender
auch nur die Mühe machen, ihre deutschen
AOL-Adressen zu verschleiern. Die Dreistigkeit der
Kinderschänder steigt.
Diese Offenheit mag einfach Dummheit sein. Oder aber
Arroganz. Offenbar fühlen sich die Pädophilen in den
Weiten des Internets sicher vor polizeilicher
Verfolgung. In den Chat-Rooms werden die
Transaktionen zunehmend offener abgewickelt, und
seit jüngster Zeit wird sogar auf privaten Homepages
deutscher Provider Kinderpornographie dargeboten.
Dabei war zumindest den deutschen Päderasten das
World Wide Web bislang zu heiß, ganz im Gegensatz zu
deren japanischen Gesinnungsgenossen. Obwohl es für
die Ermittler ein Kinderspiel ist, die Betreiber
einer Homepage zu identifizieren, werden
kaltschnäuzig jetzt auch hier Bilder vertrieben.
"Die Anbieter denken: Die Polizei bekommt uns sowie
nicht!", mutmaßt auch Marianne Landeck, Leiterin der
Geschäftsstelle des Vereins DUNKELZIFFER e.V., Hilfe
für sexuell mißbrauchte Kinder. Ihrer Erfahrung nach
stehen die Ermittlungsbehörden zumeist sehr hilflos
vor dieser Art von Kriminalität. "Wenn sie mehr
Know-how hätten, könnten sie auch mehr machen."
Aus diesem Grund organisierte der Verein vor kurzem
einen Lehrgang, an dem für das Internet zuständige
Polizeibeamte aus Hamburg und Köln teilnahmen. Dabei
wurden sie von dem Düsseldorfer Internet-Experten
Gerhard Aretz darüber informiert, wo überall
Kinderpornographie umgeschlagen wird. Außerdem
standen Grundlagen über Dateiformate oder Methoden
der Entschlüsselung auf dem Stundenplan - eigentlich
unverzichtbares Handwerkszeug für die
Datenbahnpolizei.
Die Ermittler machen aus den derzeitigen Defiziten
keinen Hehl. Das wichtigste sei jetzt eine intensive
Ausbildung der Mitarbeiter, erkennt auch
Kriminaloberrat Manfred Quedzuweit, der als Leiter
der Abteilung 240 bei der Hamburger Polizei auch für
die Verfolgung von Kinderporno-Delikten zuständig
ist. "Das Wissen eines normalen Internet-Nutzers
reicht für die Verfolgung nicht aus. Wir müssen
besser sein als der Durchschnitt."
Dabei können sich die Hamburger Ermittler glücklich
schätzen, überhaupt einen Zugang zum Netz zu haben.
Die nötige Hard- und Software wurde in diesem
Frühjahr von einem Unternehmen gespendet.
Quedzuweit: "Wir sind jetzt in der Lage, alle
Anzeigen mit eigenen Augen im Internet
nachzuvollziehen."
Ohne Zweifel - die Beamten sind motiviert, den
Kriminellen das Handwerk zu legen. Aber geschenkte
Geräte und mit Spendengeldern finanzierte Schulungen
sprechen eine deutliche Sprache. Es ist mehr als
widersinnig, wenn die politische Elite von den
Beamten eine beherzte Verfolgung von Netzstraftaten
verlangt, ohne den zuständigen Dienststellen auch
nur einen simplen Internet-Zugang zu finanzieren.
Die Jäger haben keine Flinten. Und das hat das Wild
nur allzu schnell gemerkt.
In ihrem Kampf gegen Päderasten hadern die Fahnder
zudem mit der föderalen Struktur der Bundesrepublik.
Ermittlungen in Sachen Kinderpornos sind
Ländersache. "Aber das Internet ist so gehässig, daß
es sich darum einen Dreck schert", klagt Quedzuweit.
Die "Tatortregelung" scheitert an der Globalität des
Internet. Unzählige Tatorte entstehen zeitgleich;
und da keine Dienststelle weiß, ob eine andere schon
mit dem Fall befaßt ist, kommt es häufig zu
zeitraubenden Doppel- und Dreifachermittlungen.
Abhilfe würde eine zentrale Datenbank schaffen,
beispielsweise beim BKA. Doch damit ist in
absehbarer Zeit nicht zu rechnen.
Diese grundgesetzlichen Zuständigkeiten der
Landeskriminalämter verursacht weitere Probleme:
Haben die Beamten einen Täter ermittelt, der
außerhalb ihres Bundeslandes wohnt, müssen sie den
Fall an ihre Kollegen vor Ort weiterreichen. Bis zum
Zugriff können so Monate vergehen.
Der Föderalismus erschwert außerdem die
Zusammenarbeit mit den Internet-Providern, die sich
grundsätzlich kooperativ zeigen.
"Die haben aus den Ereignissen der letzten zwölf
Monate gelernt und strengen sich von sich aus an,
sauber zu bleiben", so Ermittler Quedzuweit.
Allerdings überschlagen sich die Dienstleister auch
nicht gerade in der Bekämpfung von illegalen
Inhalten. Schließlich kostet jedes Engagement Geld.
Beispiel T-Online: Hier gehen zwar einige
Mitarbeiter Streife, um die eigenen Homepages zu
durchforsten, allerdings nur "sporadisch", so
Geschäftsführer Danke von Online Pro, der
Betreibergesellschaft von T-Online. Entsprechend
dürftig ist die Erfolgsquote: Bisher seien noch
keine Beamten wegen einer Homepage an das
Unternehmen herangetreten, und T-Online selbst hätte
auch noch nie die Behörden eingeschaltet.
Eine schlagkräftige Waffe der Ermittler in Sachen
Kinderpornos wäre eine Archivierung der IP-Adressen
durch die Provider. Mit deren Hilfe lassen sich
zumindest die Rechner bestimmen, von denen
einschlägiges Material eingespeist wurde. Da die
großen Provider die IP-Nummern jedoch bei jedem
Einwählen neu vergeben, können derzeit die
Datenströme nur während einer aktuellen Sitzung
verfolgt werden.
Die wichtigste Informationsquelle für die Polizei
sind allerdings die Internet-Nutzer selbst. In
diesem Jahr sind in Hamburg knapp 100 Anzeigen in
Sachen Kinderpornographie eingegangen, wobei sich
die meisten auf das Internet beziehen.
Auch hier sind die Ermittler in einem Zwiespalt:
Einerseits brauchen sie möglichst genaue
Informationen, wo und wann das Material entdeckt
wurde. Überreichte Ausdrucke oder Disketten
ermöglichen eine schnelle Sichtung und Einordnung.
Auf der anderen Seite ist das Speichern der
kriminellen Daten mit Strafe bedroht. Daher wäre die
Polizei nach den Buchstaben des Gesetzes eigentlich
verpflichtet, auch gegen die Anzeiger vorzugehen.
Die Hamburger Staatsanwaltschaft zeigte sich bisher
praxisnah und hat auf eine solcherart unsinnige
Verfolgung verzichtet. Dennoch bedarf es im Sinne
der Rechtssicherheit dringend einer entsprechenden
gesetzlichen Regelung. Wer auf die Mithilfe der
Surfer angewiesen ist, sollte sie nicht abschrecken.
Solange es an Ausrüstung und Know-how fehlt,
Gesetzeslücken und bürokratische Starrheit die
Beamten hindert, sind durchgreifende Erfolge nicht
zu erwarten.
Von Michael Görner
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