[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

Re: Computer-Meisterbrief



> > Wer weiss, ob "mittelalterliche" Regelungen nicht manchmal gerade
> > zur Zukunftsfaehigkeit beitragen koennen?  
> 
> Hmmm... Das ist auch nur eine Behauptung. Mich wuerde ja mal 
> interessieren, wie das in den High-Tech-Branchen konkret aussehen 
> soll? 

Z.B. Zertifizierungssystem fuer offene Software 
(http://www.a2e.de/phm/konkrefde.html)
und verschiedene transparente Pruefungen und Titel, wobei das Verfahren
und die Inhalte der Kontrolle der Newsgruppe-Offentlichkeit zu unterliegen
haette.  Microsoft hat ja schon Zertifizierungen fuer "Microsoft Systems
Engineer" usw usf eingefuehrt.  ISO 90xx gibt es auch.  Warum sollten
nicht Handwerkskammern da etwas gescheites machen koennen.   Es besteht
allerdings aller Grund, den bisherigen Handwerkskammern null Kompetenz im
IT-Bereich zuzutrauen.  Die sollen erst einmal zeigen, dass sie ein
offenes System wie JAVA auf die Beine stellen und ohne Zwang zum
Funktionieren bringen koennen.

> > Als durch mittelalterlichen Zunftregelungen privilegierter
> > "staatlich gepruefter und gerichtlich beeidigter Uebersetzer und
> > Dolmetscher fuer Chinesisch und Japanisch" nehme ich zu
> > beglaubigende Uebersetzungen sehr ernst, da Schlamperei zum Entzug
> > meiner Privilegien fuehren wuerde.  
> 
> Na ja. Wird nicht de facto moeglicherweise in den reglementierten Berufen 
> eher nicht derjenige geschurigelt, der seine Arbeit schlecht macht, sondern 
> derjenige, der die kartellhafte Mechanismen zur Unterbindung eines 
> offenen und transparenten Markes stoert? Gegen eine Qualitätssicherung

Genau so ist es.  Bei der Dolmetscherpruefung war es fuer mich nicht
schwer, zu bestehen.  Es war nur schwer, zur Pruefung zugelassen zu
werden.  Die lassen normalerweise nur Leute zu, die ein paar Jahre an
einer privilegierten Muenchener Sprachenschule studiert haben und sich
dann ein Leben lang auf den Lorbeeren ihres Eingleisstudiums ausruhen
wollen.  Fuer "andere Bewerber" (so die offizielle Bezeichnung) werden
sehr viele Zugangshuerden aufgebaut und die Pruefung wird erschwert.
Da kommen dann Dolmetscher mit recht laecherlichen Faehigkeiten in
privilegierte Positionen.  Angst vor Wettbewerb ist ein entscheidender
Existenzgrund fuer dieses System.  Das ist ein Skandal ersten Ranges.

> durch Absolvieren einer staatlich ueberwachten Ausbildung und Pruefung hat 
> ja niemand was. Die Frage ist doch, ob die Ausuebung bestimmter Berufe *nach*
> der erfolgten Qualifizierung weiter und weiter durch Kammern und andere 
> zunftartige Institutionen reglementiert werden soll, indem Mitgliedschaften 
> in solchen Organisationen gesetzlich aufgezwungen werden. Gibt es eigentlich 
> so etwas wie eine Uebersetzerkammer? Wenn ja, was leistet sie? Ist das ein 
> Verein der schon Etablierten, die darauf aus sind, alle das Mass kleinerer 
> Fluktuationen uebersteigender Stoerungen der Marktaufteilung 
> abzuwenden? Oder machen die etwa objektiv sinnvolles?   ;-)

Die Uebersetzerkammer BDUe (Bund der Uebersetzer und Dolmetscher)
beschaeftigt sich zu 30% mit Privilegienwahrung, 30% Buerokratie und
vielleicht 40% sinnvolles fuer die Branche.
 
> > Der "Markt" verhindert
> > keineswegs den Aufstieg der Zocker und Nichtskoenner, wie man an der
> > Existenz von Verbraucherzentralen sehr gut sehen kann.   Ich
> > wuenschte mir z.B. die Branche der Umzugsunternehmer waere
> > Lizenzierungen unterworfen (http://www.a2e.de/zock/aauzA3de.html).
> 
> Schoen und gut. Aber braucht man dazu gleich eine 
> Umzugsunternehmerkammer? Darum geht es.

Das koennte helfen.  Z.B. koennte man bei der Kammer eine Liste der 
Unternehmer bekommen und Meldung ueber schwarze Schafe erstatten, die
dann ausgeschlossen wuerden.  Das erreicht immerhin auch der lahme
buerokratische BDUe.
 
> > Das Zunftsystem selbst muesste gruendlich modernisiert werden.  
> 
> Wenn man "Abschaffung" mit unter "Modernisierung" subsumieren darf, 
> stimme ich zu.

Die Umwandlung in ein System von offenen Normen, Qualifikationskriterien,
Titeln und Pruefungen kann man auch als "Abschaffung" verstehen.  
 
> In diesem Zusammenhang kann ich waermstens zur Lektuere empfehlen:
....
Geht Galls Kritik am Kammersystem weit ueber das hinaus, was ich aus
meiner Erfahrung beschrieben habe?

> Lothar Gall erzaehlt und reflektiert in diesem Buch die Geschichte 
> einer Familie ueber einige Jahrhunderte hinweg, deren Mitglieder sich 
> mehr oder minder erfolgreich als gewerbetreibende Unternehmer betaetigt 
> haben und dabei immer wieder die beiden Pole, eine in Zuenften gegliederte 
> Zwangsordnung vs. freies Marktgeschehen, erfahren haben.

Ich stimme dieser ideologischen Gegenueberstellung nicht zu.  Das ist zu
billig.  Ist das Microsoft-Kartell samt zugehoerigen
Zertifizierungssystemen ein Ergebnis des "freien Marktgeschehens" oder ein
durch "mittelalterliche Zunftgliederung" entstandenes "Zwangssystem"? 

Ich sehe nur sehr gut um mich herum, dass der IT-Kapitalismus (ich nenne
das nicht "freie Marktwirtschaft", er hat damit gerade im IT-Bereich
wirklich nichts aber gar nichts mehr zu tun) ein antiaufklaererisches
Klima schafft.  Er infantilisiert die Menschen und wirkt all dem entgegen,
was ein Land braucht, das im kapitalistischen Weltwettbewerb bestehen
will.  Der Kapitalismus muss nicht nur "zivilisiert" werden (wie Marion
Graefin Doenhoff zu Recht titelt), er muss auch einem erzieherischen
politischen Willen unterworfen werden, der ihm Massstaebe setzt, damit
ein Markt nicht nur fuer Pornografie und Volksverdummung sondern fuer
positive gesellschaftliche Entwicklungen *geschaffen* wird.
Dazu dienen auch Zertifizierungssysteme.
Die USA haben ein grosses Land mit unerschoepften Ressourcen.  Sie koennen
sich Freiheits- und Marktwirtschaftsgeschwaetz leisten.
Deutschland hat nur die Macht gebildeter intelligenter Koepfe.  Es ist
lebenswichtig, dass wir uns hier von den USA absetzen und nicht Parolen
glauben schenken, der "rheinische Kapitalismus" habe ausgedient und muesse
nun dem angelsaechsichen Platz machen.

--
PILCH Hartmut * Pei2 Han2mu4 * http://www.a2e.de/phm/
ceterum censeo accessibilitatem systemorum esse certificiendam