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Re: Artikel: Gefangen im Internet



In schulung.lists.fitug-debate you write:
>Das ist bereits der Fall.  Telefonleitungen werden in grossem Umfang
>abgehoert.  Dagegen anzukaempfen ist nicht Sache einer Providerlobby.

Selbstverstaendlich ist das Aufgabe der Providerlobby. Wenn die
Providerlobby das nicht vor dem Hintergrund ihres
Selbstverstaendnisses und ihrer gesellschaftlichen Verantwortung
tut, dann ist sie immerhin unter dem Argument der Kostensenkung
fuer ihre Mitglieder dazu verpflichtet, Abhoermassnahmen
einzuschraenken, solange ihre Mitglieder die Kosten dafuer zu
tragen haben.

Was mich zu einem anderen Thema fuehrt, das nur am Rande mit
Deinem Thema zu tun hat: Wenn die Provider die Kosten fuer die
Abhoermassnahmen zu tragen, aber Abhoermassnahmen nach Belieben
vom Staat angeordnet werden koennen, dann muss auf irgeneine
Weise eine Kostenkontrolle implementiert werden, d.h. die
angeordneten Abhoermassnahmen muessen auf irgendeine Weise
gemessen, auf ihre Wirksamkeit ausgewertet und ggf.
eingeschraenkt werden, wenn sie sich als unnoetig, unwirksam
oder nicht rentabel erweisen.

Ein solcher Mechanismus existiert derzeit an keiner Stelle der
Abhoergesetzgebung. Damit ist einer Kostenexplosion auf diesem
Gebiet Tuer und Tor geoeffnet.

Solange Abhoermassnahmen lediglich staatliche Stellen betroffen
haben, war das tolerierbar, auch wenn dies eine Verschwendung
von Steuergeldern darstellt. Wenn Abhoermassnahmen jedoch direkt
Kosten bei privaten Dienstanbietern erzeugen, ist eine direktere
Kontrolle notwendig - die entsprechenden Paragraphen sind
nachzubessern.

>Wer unter dem Deckmantel der Technik Gesellschaftspolitik
>treibt, ueberreizt und verliert. Die Frage, bei der man gewinnen kann,
>lautet: "Ist Kontrolle der Inhalte in technisch sinnvoller Weise auf
>Providerseite realisierbar?"  

Die Antwort darauf lautet "Nein". Das wird um so deutlicher
werden, je komplexer die Netzstrukturen bei den Anwendern
werden. Anwender sind ja nicht nur Privathaushalte, auch wenn
dies das Bild ist, das den meisten hier im Kopfe herumschwebt,
wenn sie ueber dieses Thema diskutieren. Anwender sind auch
Firmen, in denen Privatpersonen in ihrer Rolle als Angestelle,
aber auch als Privatnutzer Netzwerkdienste nutzen. Solche Firmen
haben komplexe eigene Infrastrukturen mit eigenen Proxies,
Caches, Intranetworks und im Extremfall mehreren
Aussenanbindungen oder eigenen internationalen Strukturen, die
sich einer Reglementierung unter einem Standardmodell vollkommen
entziehen. 

Eine Gesetzgebung und eine Kontrolltechnik muss auch diesen Fall
abdecken koennen und das kann sie spaetestens im Fall des
internationalen Konzerns mit eigener Infrastruktur (IBM,
Microsoft, Unilever, Telekom selbst, Mercedes, ...) nicht.

>Noch sinnvoller waere es, dem Staat zuvorzukommen und in
>eigener Regie Unverantwortlichkeit im Internet zu beseitigen:
>z.B. dafuer zu sorgen, dass Inhalte nicht anonym hineingemuellt werden
>koennen.

Anonyme und pseudonyme Nutzung von Diensten sind wesentliche
Merkmale von Kommunikationsdiensten und deutsche Provider sind
nach den Datenschutzgesetzen verpflichtet (sic!) derartige
Zugaenge bereitzustellen, wenn dies technisch moeglich ist. Dazu
gehoert zum Beispiel der Verkauf von Prepaid Accounts, die
Bereitstellung von Internet Muenzterminals und anderen
Zugaengen. Missbrauch kann hier durch Leistungsbegrenzung, durch
eindeutige Kennzeichnung von Nachrichten, dass sie von Anonymen
Accounts kommen (macht die Nachrichten filterbar) und aehnliche
Verfahren erfolgen.

Anonyme und pseudonyme Nutzung sind jedoch fuer eine
funktionierende Informations-Infrastruktur unabdingbar; ihre
Abschaltung ist nach deutschem Recht auch nicht zulaessig.

>Zumindest muesste gefordert werden, dass das ganze gesetzmaessig und
>transparent geschieht.  Wenn bestimmte Filtermechanismen gefordert werden,
>muessen Sie auf freier, durch oeffentliche Ausschreibung
>finanzierter Software (GNU) beruhen und ihr Einsatz muss genau
>dokumentiert und legitimiert werden.

Vergiss die Software. Interessant an Filtern ist nicht die
Software, die interessiert keine Sau. Das einzig interessante an
Filtern sind die Filterlisten und in dem Moment, wo diese
offengelegt werden, fuehrt sich das Filtersystem gleich mehrfach
ad absurdum: Zum einen werden die Filterlisten so zu einem
Katalog von Schmutz und Schund - genau das sollen sie
verhindern. Zum anderen werden die Filterlisten so genau
automatisch umgehbar - genau das soll verhindert werden.

Darum meine kategorische Verneinung auf Deine Frage, ob das Netz
kontrollierbar ist: Es ist nicht. Entweder es pervertiert sich
und den kontrollierenden Staat zu etwas totalitaerem,
kontrollwuetigen oder es gewaehrt vollstaendige Offenheit. Zu
letzterem gehoert Mut und der Wille, die Informationskonsumenten
zu muendigen Mediennutzern zu erziehen, die von sich aus in der
Lage sind, Informationen nicht abzurufen, die sie nicht erhalten
wollen. Der Staat, der sich selbst als offen, demokratisch und
von muendigen Buergern bewohnt bezeichnet, wird so gezwungen
Farbe zu bekennen und seine Politik auch umzusetzen. In finde,
darin liegt eine gewisse Schoenheit, denn diese Polarisierung
ist eine Eigenschaft, die tief unten in der verwendeten Technik
und den von ihr verwendeten Mechanismen begraben liegt.

Gruss,
	Kristian