- To: fiffliste@fiff.GUN.de
- Subject: FIFF zum Compuserve-Urteil
- From: fiff@fiff.GUN.de (FIFF-Buero)
- Date: Thu, 28 May 98 20:30:11 PDT
- Organization: Forum InformatikerInnen f. Frieden & gesell. Verantwortung (FIFF)
Surreale Zerrbilder
Bonn, am 28.5.98
Zu den Folgen der Verurteilung des ehemaligen Compuserve-Chefs
erklaert das Vorstandsmitglied des FIfF, Ingo Ruhmann:
Mit dem Urteil des bayerischen Amtsrichters Hubbert haben die
Aktivitaeten gegen das Internet in Deutschland einen traurigen
Hoehepunkt erreicht. Vier einzelne Vorhaben und Entscheidungen der
letzten Tage zeigen, wie sehr die Bundesrepublik schon auf einem
Sonderweg ist, der ins Abseits fuehrt.
1. Die Verurteilung des ehemaligen Compuserve-Chefs Somm wegen
Verbreitung von Pornographie ist nicht nur ein Zeichen voelliger
Unkenntnis, sondern zugleich Zeichen eines Unwillens, sich
ueberhaupt mit den zur Verhandlung stehenden Sachverhalten zu
befassen. Ueber die Zwecklosigkeit von Sperrungen und damit deren
fehlende rechtliche Grundlage ist mehr als genug gesagt worden.
Ebenso ist eindeutig, dass das Urteil dem Informations- und
Kommunikationsdienste-Gesetz (IuKDG) wie auch dem Mediendienste-
Staatsvertrag von Bund und Laendern diametral widerspricht.
Folge des Urteil ist in letzter Konsequenz, dass sich auch die
Telekom wegen ihrer Zugangsvermittlung zu Sex-Hotlines auf
aehnliche Verfahren vorbereiten muss. Auch, dass Amtsrichter
Hubbert Somm mit DDR-Mauerschuetzen vergleicht und damit die im
Recht aus gutem Grund fein differenzierten Begriffe von Kenntnis,
Unkenntnis und einige weitere Rechtsgrundsaetze ueber Bord wirft,
ist zwar skandloes, aber fuer Richter nicht per se ungewoehnlich.
Bedeutsam ist jedoch, dass Richter Hubbert in seiner Begruendung
argumentiert, der Zugang zu den inkriminierten Daten im Internet
sei nur wegen eines "Kampfs um Kunden und Marktanteile" nicht
unterbunden worden. Dies impliziert, eine der zugkraeftigsten
Attraktionen fuer Internet-Nutzer sei der Zugang zu
kinderpornograpischem Material und Provider damit kaum besser als
Pornodealer.
Das Internet als Schmuddelmedium ist jedoch eine
Gespensterdebatte. Richtig ist, dass selbst nach Auskunft der
Bundesregierung unter 1% der Inhalte auf dem Internet gegen
deutsches Recht verstossen. Der Anteil rechtswidriger Inhalte
liegt damit nicht signifikant hoeher als in anderen Medien. Auch
werden Faelle von Kinderpornographie im Internet von den
Sicherheitsbehoerden mittlerweile effektiv verfolgt. Das FIfF
weist daher diese pauschale Verunglimpfung der Internet-Nutzer
entschieden zurueck und fordert alle Beteiligten und vor allem
die Medien auf, sich bei ihrer Berichterstattung und Bewertung
von Tatsachen leiten zu lassen.
2. Vor wenigen Tagen entschied ein Hamburger Gericht in einem Fall
uebler Nachrede, Verweise (Links) auf WWW-Seiten Dritter zoegen
auch die Verantwortung fuer die dort verfuegbaren Inhalte nach
sich und seien damit strafbar. Da WWW-Seiten meist Links auf
andere Seiten beinhalten, liesse sich mit dieser Logik nach
genuegend Schritten eine Verbindung zu irgendwelchen
rechtswidrigen Inhalten konstruieren. Macht diese Auffassung
Schule, droht nicht nur der Zugang zum erheblichen Strafrisiko zu
werden, den Provider zum Internet bieten, sondern auch das Web-
Angebot normaler Nutzer.
3. In den letzten Wochen wurden Plaene der Bundesregierung
bekannt, Internet-Provider, aber auch Betreiber firmeninterner
Netze (Intranets) zum Einbau einer Abhoerschnittstelle auf eigene
Kosten zu verpflichten. Diese grenzenlose Kontrollwut betraefe
kleine Netze in Schulen ebenso wie die von Universitaeten, die
Kosten waeren das Ende vieler kleiner kommerzieller Provider. Um
die Individualkommunikation der Internet-Nutzer ueberwachen zu
koennen, wuerde so der Mehrzahl ihrer Provider der Boden unter
den Fuessen weggezogen.
4. Um das Mass voll zu machen, wurde am Tag des Compuserve-Urteils
die Absicht des Finanzministeriums verbreitet, entgegen den
Forderungen der WTO und der erklaerten Absicht USA und Japans,
Steuern auf den Handel im Internet zu erheben.
Als das beherrschende Thema zum Internet stellt sich damit in der
Bundesrepublik derzeit die Kontrolle von Netz-Inhalten und die
Ueberwachung der Individualkommunikation der Nutzer dar. In keinem
dieser beiden Faelle lassen sich ernst zu nehmende Argumente fuer
diese Kontrollwut benennen.
Auch die Forderung nach einer Besteuerung des Internet-Handels
wird nicht mit gegenwaertigen, sondern mit in Zukunft erwarteten
Steuerausfaellen begruendet.
Nicht Fakten, sondern bis zur Unkenntlichkeit entstellte
Zerrbilder bestimmen damit die Diskussion um die Zukunft des
Internets in Deutschland. Diese Zerrbilder koennen allzu leicht
dazu fuehren, dass das Internet in Deutschland keine Zukunft hat.
Die mit Zerrbildern begruendete Bedrohung des Internets erfordert
unverzuegliches Handeln. Das FIfF ermuntert daher Compuserve
nachdruecklich, den Rechtsstreit konsequent durchzufechten. Das
FIfF fordert zugleich die Bundesregierung auf, dem im IuKDG und im
Mediendienste-Staatsvertrag normierten Rechtsschutz zur Geltung zu
verhelfen und sich aus der Rechtssprechung ergebende
Aenderungsnotwendigkeiten unverzueglich umzusetzen. Wir fordern
die Bundesregierung ueberdies auf, die von ihr initiierten
schaedlichen Vorhaben zur Internet-Ueberwachung auf ein
rechtstaatlich gebotenes Mass zurechtzustutzen.
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