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Re: Spieltheorie (was: Re: Libraries sued for not filtering)



> 
> Hi, das ist ja mal ziemlich interessant, wenn vielleicht auch
> etwas offtopic (was ist hier topic??????):

Freilich ist das on-topic, und ist IMHO sogar eine interessante Ueberlegung
fuer Fitug. IMNSHO kann es nicht nur damit erschoepft sein, dass Fitug
reagiert und, wie etliche andere IGs, bei irgendwelchen Entwicklungen
wie etwa dem Somm-Prozess eine Presseerklaerung abzugeben und damit allgemeine
Betroffenheit zu manifestieren. Wenn das Ziel weitergefasst ist, dann sollten
nicht nur rechtliche oder kryptologische, d.h. beides im weitergehenden
Sinne "technische" (auch wenn die Juristen sich da empoert distanzieren
werden) Fragen eroertert werden, sondern auch und gerade gesellschaftliche
Fragen des Internets: das "G" im Namen.

> <<<<<<<<<                                                                                
> > ... Soziologen und Verhaltensforscher                                         
> > kennen den Allmende-Effekt (das Konzept "gemeinsame gepflegte und genutzte                                                                             
> > Weideflaeche" bricht zusammen, wenn keine vollstaendige Kooperation zwischen                                                                           
> > allen Teilnehmern existiert - ein Hecht im Karpfenteich reicht aus); das                                                                               
> > Internet entwickelt sich zur virtuellen Allmende, nachdem die physikalischen                                                                           
> > Weltresourcen schon weitgehend aufgeteilt sind.                               
>                                                                                 
> Auch die Tragedy Of The Commons leitet sich vom Gefangenendilemma ab.           
>          >>>>>>>><

Das Allmende-Dilemma *ist* im englischsprachigen Raum als "Tragedy of the Commons"
bekannt.

> Zu diesem Zusammenhang wuesste ich gerne mehr. Ich kenn Almende nur
> als altertuemliche Rechtseinrichtung, in England ("Its all private
> property"..) noch lebendig, versucht mal offiziell wild zu zelten !!
> Da gibt es immer irgendeinen Platz, wo das geht, ganz offiziell...
> Jedenfalls entlang der Themse zwischen Oxford und Windsor 
> Ja,ja, England........
> 
> Bei uns lief das mit irgendwelchen Agrarreformen aus. 19. Jahrhundert.
> Ivan Illich schreibt darueber in so einen RORORO Buechlein im
> Hinblick auf 3. Welt.
> 
> Inwiefern das Internet als Allmende beschreiben werden kann, noch,
> waere auch mal breiter zu diskutieren, Du bist hier recht schnell

Okay, vielleicht mal ein bischen mehr dazu. Du hast nicht unrecht mit
dem Hinweis auf England. Konkret geht es um von einer Gruppe gemeinsam
genutzten begrenzten Resource, etwa einer beschraenkten Weideflaeche,
aber auch die Meere, die von mehreren Nationen befischt werden, die
Antarktis, die Bodenschaetze auf dem Meeresboden und in Zukunft vielleicht
auch die anderen Planeten sind solche Resourcen. Nehmen wir mal an, ein
Bauerndorf hat eine gemeinsame Wiese mit Platz fuer eine bestimmte Zahl
von Vieh (Rinder, Schafe, Pferde, etc.). Wenn jeder Bauer seine zwei Kuehe
auf die Wiese stellt, ist alles in Ordnung: die Resource wird nicht ueber
Mass ausgenutzt, und Gras kann nachwachsen. Nun koennte jemand auf die Idee 
kommen, dass eine Kuh mehr oder weniger nicht schadet, und erhoeht daher
egoistisch seinen Anteil auf 4 Kuehe. Das hat fuer ihn unmittelbar Vorteile
in Form von Gewinn durch Milch- und Fleischverkauf. Man kann sich denken,
was passiert: andere werden das gleiche machen. Dies geht solange gut, wie
nicht die Reserven der Resource aufgebraucht wird. Irgendwann wird sich
die Wiese nicht mehr regenerieren, und die gesamte Gemeinschaft steht 
durch fehlende Kooperation wesentlich schlechter da. Mit solchen 
(nicht nur) Gedankenspielen befasst sich die Spieltheorie.

Also: Das Dilemma ist: 1. es lohnt sich kurzfristig, nicht-kooperativ
zu sein und schnellen Profit zu erlangen; 2. langfristig schadet es dem
gemeinsamen Nutzen, nicht zu kooperieren. Dabei besteht noch ein Unterschied,
ob wir eine regenerierbare Resource oder nicht haben.

Auf das Internet bezogen: wir haben auch hier eine begrenzte Resource, an der
zahlreiche, hier bereits per Definition konkurrierende Gruppen ihr Interesse
haben: der Homeuser ist, vom mehr Alibi-Nutzen wie Homebanking abgesehen,
am allgemeinen Rumsurfen und der Suche nach Neuem interessiert, Internet-
Anbieter stellen darum ein attaktives Angebot bereit, um diese Kunden zu binden,
Telecom-Anbieter sind an der Nutzung ihrer Leitungen interessiert, Hardware-
Anbieter wollen natuerlich, dass Internet-User nicht bei profanen HTML-2.0-
Text-Seiten stehenbleiben, sondern Bilder- und Java-aufgemotzte Seiten nutzen, 
mit interaktiver 3D-Grafik, fuer die der bisherige Rechner oder das
bisherige Modem nicht mehr ausreichen. Ein weiterer Nutzen des Internets
sind z.B. Internet-Telefonie und Bildtelefonie-Dienste, welche boomen, weil
vergleichbare Services in den klassischen Telefonnetzen unbezahlbar sind.
Natuerlich sind auch die Cable-TV-Provider interessiert daran, das Medium zu
nutzen. Ich warte immer noch darauf, dass mit Junkmailer nicht nur eine
UCE mit einem URL schicken, sondern mir gleich eine komplette MPEG-Werbe-
sendung als MIME-Attachment; ich befuerchte, dass sowas in wenigen
Monaten oder Jahren gaengiger Standard sein wird :-(

Der Bottleneck des Netzes ist die beruechtigte Netzbandbreite. Was in
frueheren Zeiten vielleicht Sinn machte, z.B. sich netiquette-maessig in
Bescheidenheit zu ueben, etwa durch Beschraenkung auf vier Zeilen Sig
(grins, Rigo :-)), um die Nutzdatenmenge zu erhoehen, ist jetzt nicht mehr
relevant. Kombi-Web/News/Mail-Reader sind defaultmaessig so eingestellt, dass
sie an jede Mail und jedes Posting noch ein Attachment anhaengen mit demselben
Text, huebsch formatiert in HTML. PGP-Keys und elektronische Visitenkarten
kommen als moderne Fuchsschwaenze hinzu. Natuerlich bemuehen sich die 
Netzprovider, schon aus Interesse am Reibach, die Netzkapazitaet zu erhoehen,
allerdings stehen hier bestenfalls im Mittel polynomiale Zuwaechse bei den
Leitungen gegen exponentielles Wachstum der Nutzerschaft. Waehrend bei 
den klassischen Telefonienetzen die erforderliche Kapazitaet recht gut
abschaetzbar ist (Kanalbandbreite des einzelnen Telefonkanals = 3kHz * Anzahl
der Anschluesse * Nutzungsfaktor des Anschlusses) kommt bei dem Internet
zum schwer zu schaetzenden Nutzungsfaktor noch die Frage nach der erforderlichen
Kanalbreite je Anschluss dazu. Obige Gruppen sind bestrebt, aus geschaeftlichen
Gruenden Nachfrage zu generieren; wuerde selbige Entwicklung im Telefonie-
bereich ebenso angestrebt, wuerden wir bereits jetzt eine Telefonqualitaet
haben, dass jeder Ultra-Hifi-Freak bei jedem Telefonklingeln einen Ohrgasmus
ob der Naturtreue des Klangs bekommen wuerde. Noch ist das Thema Pay-Per-View
in den Kabelnetzen nicht vollstaendig ausdiskutiert, schon ueberlegt man,
wie man die erforderliche Bandbreite in die Wohnungen bringen kann, damit
sich jedermann/frau seinen zweistuendigen James-Bond-Film mit einem Mausklick
in wenigen Sekunden nach Hause kommen lassen kann.

Das Allmende-Dilemma hier liegt darin, dass - bis zu technischen Grenzen und
der zukuenftigen vollstaendigen Vernetzung - die Bandbreite immer hinter dem 
Bedarf herhinken wird. Da soviel Geld dahintersteckt, ist nicht davon auszu-
gehen, dass man sich mit Einschraenkungen und Kooperation abfinden wird.
Fruehere Vorschlaege, etwa nur zu bestimmten Zeiten grosse Softwarepakete
aus Amiland zu saugen, werden ignoriert, frei nach dem Motto "Ich will Genuss
sofort!" - effektiv organisiert sich das System selbst in diese Richtung,
dass man nachts herumsurft (wenn die Telefongebuehren niedrig sind).
Letzteres klingt eigentlich nicht wie das genannte Dilemma, welches typischer-
weise instabil ist und, wie bei obiger Wiese, oder bei einem verwandten
Schema der Ueberfischung der Meere, geschildert ueber kurz oder lang zum
Crash des Systems fuehrt: hier im Internet wie auch im Individualverkehr
stellt sich ein "Gleichgewicht" ein, genau gesagt eigentlich eine permanenter
"fuenf-vor-zwoelf"-Zustand, welcher im wesentlichen durch kuenstliche
"Steuern" aufrechterhalten wird. Aehnliche Korrektive, etwa Fangquoten bei
Meeresfischen oder Aufteilung von Flaechen in der Antarktis, sind auch bei
anderen begrenzten Resourcen in Kraft. Was im einen Fall KfZ-Steuern und 
Abgaben auf Benzin sind, ist im Internet nur ein Regulativ in Form von 
Telefon- und anderen Netzkosten. Wundert es jetzt noch jemanden, dass, von der 
Moeglichkeit seinen Profit zu maximieren, ausser Phantasten wie etwa der 
Rufer nach Bandwidth auf der diesjaehrigen Documenta X niemand auch nur 
im Entferntesten an Dinge wie freien Netzzugang fuer alle oder Flatrates
(mehr) denkt. Diejenigen, die es versucht haben, sind mittlerweile
laengst wieder davon abgegangen.

> <<<<<<<<<<<<<
> Da=DF Spieltheorie in der deutschen Politik (noch) keinen Platz hat, ist        
> verwunderlich, riecht doch zB das Ende des kalten Krieges stark nach            
> konkreter Anwendung spieltheoretischer Simulationen.  Ein hervorragender        
>              >>>>>>>>>>
> 
> Woher weisst Du das ??....... Zumindest in den Wirtschaftswissen-
> schaften ist Spieltheorie doch Standard. In Bonn gibts des
> NOBELPREIStraeger SELTEN, da kannst Du soviel spielen wie Du willst
> und kriegst noch Geld dafuer.

:-)

>                               IMHO publizieren die Leute in JITE,
> so ein dickes Heft, das ich leider nicht lesen kann, weil ich diese
> mathematische Sprache nicht verstehe, Terminologie, Zeichen, leider...

Die Mathematik ist hier nur der Jargon der Fachleute, um einfache Sachverhalte
zu verschleieren. Gerade Aspekte der Spieltheorie lassen sich ohne Formeln
jedem recht simpel vermitteln. Schade drum, dass dies nicht geschieht.

-- 
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