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Rainaldo Goetz, Muenchen............



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>                                  [Image]
>                              ABFALL FUER ALLE
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>                                     C
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>                                WIRKLICHKEIT
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>                                     1.
>                                Geschichten
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>          Und es war also Morgen geworden. Und weitere 15 Blatt
>          Wirklichkeit lagen vor mir, 35 Minuten Vortrag. Und
>          ich dachte: NEIN. So geht das nicht. Es muss auch
>          anders gehen, kuerzer. Also gut. Also eine gute
>          Viertelstunde noch.
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>                                     *
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>          Das medial vermittelte Wissen: klar.
>
>          Aber natuerlich gibt es immer noch, auch, und genau so
>          ein Wissen ueber die Welt in Form von Geschichten. Man
>          hat sie entweder selber erlebt, oder sie sind einem
>          erzaehlt worden.
>
>          Dekonspiratione, das Buch, das aus der Schreiber-Welt
>          kommend vom heutigen Sozialen erzaehlen soll, von den
>          in der Berufs- und Tag-Welt wirkenden Strukturen,
>          zwischen den Menschen, Institutionen, Absichten,
>          veroeffentlichten Texten, Honoraren und Gespraechen -
>          usw usw -
>
>          wird also der Ort sein, wo die Unzahl der Geschichten,
>          die sich im Lauf der Jahre, bei mir, im Kontakt mit
>          dieser Schreiberwelt angesammelt haben, endlich ihr
>          Zuhause in einem Text werden finden koennen. Das stelle
>          ich mir toll vor.
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>                                     *
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>          Viele der Geschichten, die JEDER kennt, der irgendwo
>          arbeitet, in irgendeinem Betrieb, koennte man direkt
>          nicht erzaehlen, oeffentlich, -
>
>          weil sie, auch wenn sie wahr sind, die von der
>          Erzaehlung betroffene Person, die in der Erzaehlung
>          agierenden Handelnden der Geschichte: blossstellen oder
>          verletzen wuerde.
>
>          Das ist im Normalfall und aus guten Gruenden verboten.
>
>          Der oeffentliche Raum ist interessanterweise, auch wenn
>          es sich manchmal eher anders anfuehlt, in Wahrheit aber
>          doch ein nach wie vor sehr DISKRETER Ort.
>
>          Was da wie gesagt werden darf, ist hochkomplex
>          kodiert, in einer sich ausserdem dauernd neu
>          erneuernden, also nichtstarren Weise.
>
>                                     *
>
>          Man kann, Beispiel wieder dieses Wochenendes, die
>          Figur Salman Rushdie nehmen, und die oeffentliche
>          Hysterie, die da seit vielen Jahren dazugehoert. In
>          einer absurden Verschiebung der tangierten Probleme -
>
>          denn wenn nun mal eine Religion noch so sehr ans Wort
>          glaubt, dass sie von einem literarisch geaeusserten Wort
>          sich angegriffen fuehlt, dann muss dieses Wort
>          selbstverstaendlich zurueckgenommen werden, vom Autor,
>          alles andere ist doch kompletter Unsinn -
>
>          wird statt dessen in der OEffentlichkeit, die sich
>          genau darueber konstituiert, welche Sprachkodizes in
>          ihr gelten, welche Themen, Redeweisen und Zuspitzungen
>          im Moment nicht ausgesprochen werden duerfen, die sich
>          also einem ununterbrochenen hochvernuenftigen Prozess
>          dauernder Selbstzensur ALLER Beteiligten verdankt -
>
>          der Fall Rushdie zum Phantasma - fuer das Problem der
>          Pressefreiheit. Man hat immer den Eindruck, hier
>          wuerden ploetzlich alle die -
>
>          sonst so heftig nach innen gerichteten Energien, die
>          bei jedem oeffentlich sich AEussernden dauernd,
>          halbbewusst, mehr getraeumt und oft auch ganz praezise
>          analytisch in die Bestimmung dieser Trennung gehen:
>          was ist sagbar, oeffentlich, was nicht -
>
>          endlich kollektiv zur empoerten Entladung sich hier
>          bringen duerfen, in dieser ewigen Kampagne. Und Guenter
>          Grass lasse ich jetzt weg. Ist ja heute ein grosser
>          Artikel in der Faz, den ich noch nicht gelesen habe.
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>          Das Problem heisst einfach:
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>          Ich weiss das und das. Ich kenne die und die
>          Geschichte. WIE kann ich sie erzaehlen? Welcher Zensur
>          muss ich mein Sprechen unterwerfen, um unter den
>          Bedingungen der oeffentlichen Rede im Effekt moeglichst
>          nahe an den urspruenglichen Ausgangspunkt der realen
>          Erfahrung, der wahren Geschichte, der Wirklichkeit
>          also dran zu kommen?
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