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Re: Blind Vision: Lemmingabstand



> 
> Holger zu Hartmut:
> (...)
> >des Verhaltens der Person (im Vergleich zum statistischen Normalmenschen)
> >in der Zukunft wichtig sein koennte (!). Deshalb koennen eigentlich, aus der
> >Sicht *aller* Datensammler, nicht nur der Behoerden, niemals genug Daten
> >ueber eine Person angesammelt werden.
> >
> >Und diese Pandora Box willst Du allen Ernstes oeffnen? In welcher Welt hast
> >Du die letzten 20-30 Jahre gelebt?
> 
> Grrr.
> Ich kann das Dunkle sehen ohne davon aufgesaugt zu werden.
> Es gibt Aspekte der Offenheit, wo ich Hartmut voll zustimme.

Hmmm. Es hat ein wenig gedauert, bis ich jetzt antworte. Ein paar Leute haben
schon einen Kommentar vorweggenommen. First of all, ich bin gegen staatliche 
Zensur jeder Art, ob Adolf oder KiPo ((!), die Entstehung und Verfolgung 
dessen ist eine andere Sache). Soweit Informationsfreiheit. Was an einem 
physikalischen oder virtuellen Brett steht, oder in einem Buecherregal, oder
anderweitig *publiziert* ist, sollte auch hinreichend erwachsenen Menschen
zugaenglich sein. Der kurze Thread ueber die Verfuegbarkeit von wissenschaft-
lichen Quellen hat mir da zu denken gegeben. Allerdings ist es nicht Aufgabe
des Staates, fuer die Verfuegbarkeit all dieser publizierten Information zu
sorgen, sondern ich erwarte auch, dass der "muendige Buerger" selbst in
der Lage sein sollte, die fuer ihn interessante Information zu beschaffen, 
und, sofern es nicht gesellschaftlich als "public domain" gilt (schlechter,
weil diffuser Begriff, gemeint aber z.B. Buch- und Zeitschriftenbestand in
oeffentlichen Bibliotheken), auch fuer die von ihm gewuenschte Information
bezahlen. Ferner kann kein Anspruch auf ein bestimmtes Informationsmedium
bestehen, es sei denn, wieder "public domain" oder gegen Geld (z.B. dass 
der neueste Simmel auch als CD-ROM mit Vorleser vorhanden ist, gemeint ist 
aber im eigentlichen Sinne, dass alles, was man irgendwie bekommen kann, 
via Mausklick auf eine Webseite zu haben sein muss). Soweit moeglicherweise
abzusegnen, selbst wenn jetzt bereits Post-Sozialisten direkt aufschreien,
und das alles auch noch fuer lau haben wollen.

Ich reite an dieser Stelle aber weniger auf der Frage des konkreten Wertes
von Information herum - Information ist eine Ware und ein Tauschmittel wie
Brot und Bier, lediglich nicht materiell greifbar - sondern auf dem
Begriff "publiziert". Dadurch, dass ich mir irgendwo auf einem Rechner
eine Information wie z.B. "Wau ist dumm" in eine Datei geschrieben habe,
habe ich noch lange nichts publiziert (Hofstaedters strange loop: jetzt,
wo es jeder gelesen hat, ist es das doch :-) ). Genausowenig ist ein Dossier,
was Aldi von meinem letzten Einkauf an der Kasse ueber "Mann, Mitte 30, Bart"
gemacht hat, keine oeffentliche Information, selbst wenn einige das gerne
sehen wuerden. Wie die Beispiele in frueheren Mails der Liste zeigten, lassen
sich da keine Masse definieren, wo Grenzen zu ziehen sind, weder bei der
Einschraenkung auf die Art der Information noch auf die Art der Informations-
quelle und ganz bestimmt nicht auf die Urheber der Informationssammlung.

Das Problem stellt nicht die Information selbst dar - Dose Bohnen bei Aldi
gekauft - , sondern deren Kombination mit anderen, die dann zu einem Bild
fuehren: kauft immer nur das Billigste, faehrt Schrottkarre -> moeglicherweise
ueberschuldet -> keinen Kredit -> keinen Job. Diese Abschaetzungen auf einem
riesigen Datenbestand sind es letztlich, die uns glaesern machen, nicht das
einzelne Informationsbit, etwa Automarke und Autokennzeichen, die formal ja
jeder Nachbar ueber mich angeben koennte.

Diejenigen, ueber die Information etwa bei einem generellen Fallenlassen 
des Datenschutzes frei fuer alle zur Verfuegung steht, sind nicht die Gewinner,
selbst wenn sie da staunend zur Kenntnis nehmen koennen, dass Nachbar X. 
letzte Woche in der Stadt mit 65 km/h geblitzt worden ist, sondern die Loser.
Ihnen fehlt jegliche Erfahrung und auch Technik, solche Datenpuzzles in 
grossem Massstab zu sortieren, kombinieren, filtern, auszuwerten - auszu-
schlachten.

Hartmut: die Menge derjenigen, die Zugang zu solchen dann oeffentlichen
Daten haben, wird wesentlich groesser werden als bisher. Bislang weisst Du
nicht, welche Behoerden und Institutionen was ueber Dich gespeichert haben - 
oder zumindest nur unzulaenglich, und Du weisst auch nicht, was diese Stellen
untereinander austauschen. In der Zukunft weisst Du es - aber was Du nicht
weisst, ist, in welcher Form und Kombination irgendjemand auf der Welt 
Informationen ueber Dich zusammensetzen wird. Das Leben wird, sagen wir mal,
"ueberraschender" werden. Ich weiss nicht, ob ich soviele Ueberraschungen
vertrage.

-- 
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