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Paradigmenwechsel...



Zwei Themen/Thesen in dieser Mail:

a) Was wir bisher an rechtlichem Trouble re das Netz gesehen
haben, ist nur der Vorbote dessen, was wir bekommen, sobald
Connectivity billiger und durchlaufende Server Commodities
werden.

b) Das bisher beobachtete Jugendschutz-Paradigma wird spätestens
dann scheitern.

Längere Version:

Bisher ist es so, daß der durchschnittliche Haushalt daheim
keinen durchlaufenden Rechner hat, der die anderen Maschinen
eines Haushalts (und dazu gehören auch WinCE-Devices wie
Waschmaschinen, Fernseher, Videorecorder, WebTVs und
Spielconsolen) mit Daten versorgt. Bisher ist es auch so, daß der
durchschnittliche Haushalt keine dauerhafte bidirektionale
Verbindung zu externen Netzen hat.

Dadurch bekommen wir etwas, das dem Paradigma des "Point" in
Tiernetzen sehr ähnlich ist, mit dem Provider als "Sysop" aka
Erbringer von Mehrwertdiensten udn dem Kunden als "Point", der
von seinem Sysop gescheucht, kontrolliert und beaufsichtigt
werden soll.

Werden eigene Leitungen in Haushalte häufiger und wandern
Mehrwertdienste erst einmal vom Provider in die Haushalte ab,
wird sich diese Situation verändern: Sobald Haushalte eigene
Mail-, Web- und Proxyserver haben, wird der Provider für einen
guten Teil dieser Haushalte vom Erbringer von Mehrwertdiensten
wieder zum reinen Päckchenschubser degradiert (andere Haushalte
werden statt eines Internet- einen Intranet-Anschluß haben, der
auf die Proxy-Dienste des Providers angewiesen ist, um mit dem
Internet zu kommunizieren - siehe Metronet). Inhalte werden nicht
mehr auf Servern eines Providers publiziert, sondern auf dem
eigenen lokalen Server - außerhalb des Haushalts existieren nur
noch Cache-Copies. Artikel und Mails werden nicht mehr über einen
Server eines Providers publiziert, sondern auf dem lokalen Server
- der Provider leitet nur noch weiter.

In einem solchen Szenario fällt die Providerverantwortung, wie
sie in den existierenden Gesetzen skizziert wird, auf die
Extremfälle zusammen. Die Kontrollfunktion, die die aktuelle
Rechtslage versucht, den Providern aufzudrücken, wird durch die
Provider nicht mehr wahrnehmbar, sobald die Kunden sich ihre
Dienste selbst erbringen (und immer mehr Kunden tun das - wer
Webseiten entwickelt, hat auch einen Personal Web Server am
laufen und könnte, die Leitung vorausgesetzt, dort auch
publizieren).

Gesellschaftlich existiert praktisch keine Kontrolle darüber, ob
ein Haushalt einen durchlaufenden Server hat oder nicht und ob
auf diesem Server Publikationsdienste erbracht werden. Nach
Martin Rost :-) ist das auch irrelevant, da die weltverändernde
Funktion durch den Prozeß des publizierens erbracht wird. Das
bedeutet, daß das gesellschaftliche Regulativ für die oben
beschriebene Situation nicht die Server beim Endanwender sind,
sondern die Leitungen zum Endanwender. Sobald die
Kommunikationskosten für Festverbindungen klein genug werden und
die zur Verfügung stehenden Leitungskapazitäten groß genug, wird
sich die Situation in der von mir beschriebenen Weise verändern.

Preislich liegt der Punkt in der Nähe dessen (Faktor 2), was ein
Netsurf-Zugang jetzt kostet, d.h. sobald Datenfestverbindungen in
die Region von 70 DM rutschen (zum Vergleich: GEZ mtl. 28.50 DM,
plus Kabelfernsehgebühr ~30 DM mtl. -> etwa dieselbe Summe; die
Telekom-Rechnung der meisten Haushalte liegt ebenfalls in diesem
Bereich).


Was ich die ganze Zeit auf dieser Liste versuche zu erklären, ist
die Tatsache, daß Kommunikation in Datennetzen letztendlich nur
zuverlässig zu fassen ist, wenn man sich ausschließlich auf die
Endpunkte der Kommunikation konzentiert. In ihrer Direktheit und
der Vielfalt der Kommunikationsmethoden und Dienstübergänge
entzieht sich der ganze Rest dazwischen einer faßbaren Systematik
und auch in gewisser Weise einer zuverlässigen rechtlichen
Greifbarkeit - so er denn überhaupt existiert.

Und das ist genau das NEUARTIGE am Internet, die Qualität die es
von jedem anderen Kommunikationsmedium unterscheidet, das jemals
zuvor existiert hat: Zwar haben wir ein
Massenkommunikationsmittel, aber alle einzelnen Kommunikationen
sind Individualkommunikationen, die in zunehmendem Maße auch
Personalisiert werden (Man denke nur an die ganzen
My-Irgendwas-Services und den Portalhype, der zur Zeit hip ist)
und die mit einer Publishing Pipeline der Länge Null abgewickelt
werden (Mittlerfreie Kommunikation).

Keiner der rechtlichen Rahmen, die derzeit in Deutschland
gestrickt werden oder wurden, werden dieser neuartigen Qualität
gerecht: Die bestehenden rechtlichen Ideen sind entweder aus dem
Bereich der Rundfunkgesetzgebung oder aus dem Bereich der
Telekommunikationsgesetze abgeleitet. Die Rundfunkgesetzgebung
berücksichtigt aber nicht den personalisierten Charakter der
Kommunikation, während die Telekommunikationsgesetze nicht die
entstehende Öffentlichkeit berücksichtigen. Und die
Mittlerfreiheit findet in keinem von beiden ausreichenden
Niederschlag, weil öffentliche Kommunikation bisher niemals
mittlerfrei war.

Gerade der Jugendschutz, der hier auf der Liste so heiß
diskutiert wurde, hat so seine Probleme mit der Mittlerfreiheit.
Es ist ja gerade das Wesen des Jugendschutzes, so wie er bisher
in Deutschland gelebt wurde, daß er sich an den Mittlern einer
Kommunikation orientiert hat und versucht hat, die vermittelten
Inhalte zu kontrollieren oder zu beschränken. Bei
Kommunikationsformen, die sich direkt zwischen Autor und Leser
abspielen, greift solche Art der Kontrolle überhaupt nicht.

Was hier gerbaucht wird, ist aber keine Veränderung des Netzes
(die ist auch überhaupt nicht möglich: Die Entstehung von etwas
wie dem Internet ist eine zwangsläufige Folge der Verbilligung
von Kommunikation und der enormen Zunahme der Teilnehmerzahlen
sowie des Zusammenwachsens von Informations- und
Kommunikationstechnologien), sondern ENDLICH eine Veränderung der
Paradigmen bei denjenigen Leuten, die damit umgehen.


Und genau das Fehlen dieses Verstehens ist der Grund dafür, warum
ich mich hier und andernorts immer so aufrege.

Kristian

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