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Re: Es ist kein Kindernet



> Wau Holland wrote:
> > Die Meinungsfreiheit ist das elementare Grundrecht.
> > Wenn die angegriffen wird, gehen die andern den Bach runter.
> 
> Diese Ansicht ist zwar in den USA sehr populaer, aber sie
> ist leider falsch. Die Menschenrechte sind unteilbar, und

Die Frage ist, ob gewisse Rechte notwendig sind, um die anderen zu
erhalten.  Die Ansicht, die Meinungsfreiheit sei das grundlegendste aller
Rechte erinnert mich auch an Versuche eines Habermas, als
"Letztbegruendung" aller Moral die im "herrschaftsfreien Diskurs" 
implizit anerkannten Regeln anzufuehren.  Das klingt, aehnlich wie
Kantsche Ethik, recht plausibel und schmeichelt dem Selbstbewusstsein des
Intellektuellen.  Leider ist dem aber nicht so.  Ein Schluesselerlebnis
war fuer mich China 1989:  das Massaker verhinderte letztlich nicht
weitere Fortschritte auf breiter Front (inkl. Freiheit und
Menschenrechte), es etablierte aber eine Tabuzone, die bei aller
Debattierfreude wohl von den meisten Intellektuellen Chinas heute
einigermassen bereitwillig respektiert wird.   Denn Glasnost ist
nachtraeglich gesehen kein leuchtendes Vorbild.  Man kann nicht
ernsthaft hoffen, die freie Meinungsbildung sei der heilbringende
Motor des Fortschrittes.  Das ist genauso ein Aberglaube wie der
an die "unsichtbare Hand" der Marktwirtschaft.
 
> Wie war das 193x? "Lasst Hitler schon machen, wir werden ihn
> schon unter Kontrolle halten." Der Gewalt, wenn sie einmal da
> ist (sei es bei Kinderpornographie oder bei Rechtsradikalen)
> kann man mit "sanftem" Widerstand auf der Basis von reinen
> Worten ("Erziehung" durch die Eltern, die i.d.R. nur praeventiv
> wirkt, oder gar mit "Gegendarstellungs-Websites") kaum beikommen.

Aehnliches gilt fuer Leute in armen Laendern, die alle moeglichen
nationalen Flaggen hissen und z.T. unter Berufung auf Menschenrechte
heilige Kriege fuehren.  Lee Kuanyews Singapurer Rezept, das auch in
Malaysia Nachahmung findet, war es, eine aktive Gleichgewichts- und
letztlich Assimilationspolitik zu betreiben..  In jedem Viertel muessen
gleich viele Moscheen wie Kirchen wie buddhistische Tempel stehen und
alle Versuche, Ethnien gegeneinander aufzuhetzen werden unterdrueckt. 
Lee bermerkte dazu im Spiegel-Interview, er habe zwar nicht ganz im Sinne
der von ihm bewunderten britischen Demokratie gehandelt, aber immerhin
gehe es Singapur gut, waehrend die einstigen Musterdemokraten Asiens in
Sri-Lanka nun mehr zu den Muster-Guerilleros Asiens geworden seien.

Welchen Stellenwert die Meinungsfreiheit in der Gewichtung der Freiheiten
haben kann, haengt sehr von den Umstaenden des Landes, ganz besonders
von der "Dummheit, aus der Terror folgt" ab.

> Damit das nicht falsch verstanden wird: es geht mir nur darum,
> zu zeigen, dass es durchaus einige Extrem- und Ausnahmefaelle
> gibt. Fuer alle anderen Faelle ist selbstverstaendlich die
> volle Meinungs- und Aeusserungsfreiheit zu gewaehrleisten, und
> staatliche Ueberwachung oder gar Zensur hat zu unterbleiben.

Vielleicht koennen wir es uns in Deutschland sogar leisten, diese
Extremfaelle zu uebersehen.  Porno und Zuendel richten vermutlich weniger
Schaden an, wenn locker damit umgeht. Wenn unsere Gesellschaft aber gewisse
Extremfaelle zensieren zu muessen glaubt, hat keine Internet-Lobby das
Recht, ihr das zu verbieten (oder ihr vorzuluegen, das sei unmoeglich).

--
Hartmut Pilch <phm@a2e.de>
a2e Ostasien-Sprachendienste Pilch, Wang & Co 
http://www.a2e.de/oas/, Tel +49891278960-8