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Re: Balkan, China und Demokratie [ohne Umlaute]



On Sun, 5 Jul 1998, PILCH Hartmut wrote:

> >  In der Tat. Und die Politik war Expansion. Der Macht, nicht des Glaubens.
> 
> Das Clausewitz-Zitat meine ich anders: Ein Krieg braucht immer sowohl
> ideelle als auch materielle Ziele als auch eine glaubwuerdige
> politische Fuehrung.

"Braucht" im Sinne von "sollte haben".
 
> Fuer Despotie der albanisch-nordkoreanischen Art braucht man eine
> Umgebung aus kulturell unvorbelasteten Zuarbeitern: wenig
> Wertebewusstsein, am besten eine Kulturwueste ohne Religion.  Albanien
> war das einzige Land Europas, dass sich bruesten konnte, zu 100% aus
> Atheisten zu bestehen.  Sicher auch ein Erfolg der Osmanisierung.  

Du verstehst nicht, wie das Osmanische Reich prinzipiell funktioniert hat:
Die einzelnen Voelker konnten sich unter der osmanischen Oberhochheit 
selbst verwalten. Das galt fuer die Juden, Christen, Berber, Araber, 
Armenier und eben auch fuer die Albaner. Wenn sie Muslime werden wollen, 
war es fein und brachte durchaus ein paar Vorteile. Wenn nicht, hat's den 
Sultan auch nicht gestoert, solange sie Steuer zahlten und seine 
Oberhochheit anerkannten. 
Wie wenig die Albaner von der osmanischen Kultur annahmen, zeigt sich 
schon daran, dass sich die Blutrache erhalten hat. Du kannst den Osmanen 
also bestenfalls vorhalten, dass sie die Albaner _nicht_ brutal 
unterjocht und tuerkisiert hatten. 
  
> Es geht um mehr als M$ oder Linux: um die Offenheit von Schnittstellen
> und den freien Zugang zu Maerkten.  Unser wirtschaftliches
> Anreizsystem misst dieser Offenheit so gut wie keinen Wert bei, im
> Gegenteil, wer fuer offene Schnittstellen programmiert, hat keine
> Ellenbogen, keinen Wert als "strategischer" Buendnispartner, keine
> kletternden Aktienkurse, keine "Professionalitaet".

Offenheit ist fuer Anwender kein Wert an sich. Sie wollen, dass die 
Aufgabe zu geringen Kosten erledigt wird. Und in den Augen der (ueberaus 
kurzsichtigen) Anwender fuehrt das MS Monopol zur Kostensenkung: Es gibt 
z.B. nur noch eine Textverarbeitung, die jeder beherrscht, also gibt es dafuer 
keine Trainingskosten. Und sie glauben, sie haetten keine 
Kompatibilitaetsprobleme mehr, weil sie nur MS Software verwenden. 
Schoene neue Welt!
Mit Ideologie hast Du dagegen keine Chance, keiner hoert Dir zu. 
Argumentierst Du hingegen wirtschaftlich und technisch, zeigst also, dass 
das MS-Zeug teuer ist und in vielen Bereichen nix taugt, dann fangen die 
Anwender zu denken an. 

> Vor zwei Jahrzehnten mass unser Anreizsystem auch dem Wasser, der Luft
> und den natuerlichen Ressourcen keinerlei Wert bei.  Wer die Umwelt
> staerker verschmutzte, gewann dadurch einen Wettbewerbsvorteil.
> Haettest du auch damals argumentiert, man solle den Einsatz von
> umweltschaedlichen Produkten mit "technischen und oekonomischen
> Argumenten" verhindern und brauche keine "Umweltbewegung" [Schauder]?

Umweltschutz rechnet sich. Warum wollen die Fluggesellschaften 
Flugzeuge mit geringem Benzinverbrauch? Weil die Betriebskosten niedriger 
sind! Das Problem ist in vielen Faellen, dass bei der Berechnung von 
Kosten wesentliche Anteile nicht beruecksichtigt werden, z.B. 
Waldsterben oder Gesundheitsschaeden.
 
> > [Bericht ueber Polizeipruegelei in Beijing 1990]
> 
> 1989-91 war eine Hochspannungsphase.  Jetzt ist alles viel lockerer.
> Aber in manchen Provinznestern, besonders im Norden und Nordwesten,
> spielen sich sicher noch immer solche Szenen ab.

Es wird also immer noch froehlich gepruegelt? Nur eben da, wo's keiner sieht?
 
> >  Schoen sagst Du das. In anderen Worten: Ihre Kultur wird zerstoert.
> 
> Ich koennte ziemlich aehnliches von der EU sagen: Assimilierung durch
> Englisch und subventionierte Voelkerdurchmischung bei gleichzeiter
> Abfederung durch ein paar Nebelwerferprogramme zur Multilingualitaet und
> Kulturfoerderung.

In der EU haben sich verschiedene Laender _freiwillig_ 
zusammengeschlossen. Durch die immer staerkere Zusammenarbeit muss man 
natuerlich auch miteinander kommunizieren. Und die Weltsprache ist nun 
mal Englisch. Eine solche Union fuehrt  auch zur Mobilitaet der 
Menschen innerhalb dieses Gebildes. Solange eine Union _freiwillig_ und 
_zum Nutzen_ der Beteiligten ist, ist dagegen nichts zu sagen. 
 
> Deshalb kann ich nur meinen eigenen Erfahrungen und denen kompetenter
> Bekannter glauben.

Ich auch.
 
> >  Freunde, die von Kashgar aus in suedoestlicher Richtung aus reisten, 
> >  haben die Lager mit versklavten Uiguren gesehen.
> 
> Sicher auch mit versklavten Han-Chinesen.  In chinesischen
> Gefaengnissen herrscht Arbeitszwang.  

Ach so, dann ist die Versklavung der Uiguren auch in Ordnung?
Jetzt wende mal diese perverse Logik auf das Dritte Reich des Adolf H. 
an. 
 
> >  Ach, darum standen in der Moschee in Kashgar immer diese chinesischen 
> >  Geheimdienstler 'rum? Damit keiner die Moschee klaut?
> 
> Nicht dass ich das dem Geheimdienst nicht zutrauen wuerde, aber sind
> Geheimdienstler so leicht zu erkennen?

Wenn sie dort zur Abschreckung stehen.
 
> Dass der Islam eine leicht politisierbare Religion ist und Moscheen
> potentielle Unruheherde sind, ist klar.  Dass uighurischer
> Nationalismus sich dort sammelt, ist auch klar.  Die chinesische
> Religionspolitik verbietet die Politisierung des Islam, foerdert
> aber gleichzeitig den islamischen Kult.  

Was ist die Ursache und was ist die Wirkung? Ein unterdruecktes Volk 
unter hohem Assimilationsdruck besinnt sich fast immer sehr stark auf die 
eigenen Werte und die eigene Religion. Christliche Kirchen waren in Polen 
auch  potentielle Unruheherde. Bei den boesen Osmanen uebrigens nicht, 
die nichtmuslimischen Kirchen konnten sich _sehr_ weitgehend selbst 
verwalten. 

> (Eine heikle Sache:  das
> war die Politik des Schah von Persien und er stuerzte darueber.
> Die Imams wollen sich nicht auf Religion beschraenken).

Bitte, BITTE, nicht auch noch Iran. Ich habe keine Lust, Dir die Gruende 
fuer die Revolution im Iran auseinanderzusetzen, denn so einfach ist es 
dort auch nicht gewesen.
 
> Von welchen Chinesen?  Das Verhaeltnis der Uighuren zur Beijinger
> Bevoelkerung ist nicht besonders gut, was aber nicht an einer
> diskriminierenden Politik liegt.  Auch die Kasachen in Xinjiang moegen
> z.B. die Uiguren nicht, sagen ihnen Dinge nach wie "die haben kein
> gutes Herz".  Ich habe tatsaechlich sehr viel Kriminalitaet bei
> Uighuren feststellen muessen. 

Warst Du in Sinkiang? Ich schon, zweimal.

> Ihre Maenner sind meinem Eindruck nach
[...]
Woher kommt der Eindruck? 

> >  Es werden in Sinkiang immer mehr Chinesen angesiedelt. 
> 
> Ich sehe keinen wesentlichen Unterschied zu einer Aussage wie
> "Es werden in Deutschland immer mehr Auslaender angesiedelt."

Von wem? Von der EU-Zentralregierung? Um den Bevoelkerungsanteil der 
aufmuepfigen Deutschen zu senken, um die Deutschen dadurch besser zu 
kontrollieren? Ach, darum sitzen in den deutschen Behoerden ueberall 
jetzt Portugiesen?

> >  Sie, und nicht die 
> >  Uiguren, haben dort die Macht, oder auch nur die besseren 
> >  Lebensverhaeltnisse. Sinking ist eine chinesische Kolonie, 
> >  keine Mischung gleichberechtigter.
> 
> Ich kenne Xinjiang indirekt (durch Bekannte).

Bingo! Und ich war zusammen etwa zwei Monate dort, in Kashgar, in Turfan, 
lange in Urumqi und auch auf dem Lande. 

> Ich habe durchaus den
> Eindruck, dass die Leute dort alle gleichberechtigt sind,

"Dort"? In der Gegend, in der Du nie warst?

> aber fuer
> die Uighuren, Kasachen und Kirgisen ist der Zutritt zu vielen
> Karrieren dadurch erschwert, dass Chinesisch die dominierende Sprache
> ist.

Da die EU China  so aehnlich ist: Wie kann dann eigentlich der Kohl 
Bundeskanzler sein? Wenn er zum Befehlsempfang nach Bruessel fliegt, dann 
versteht er ja nix, kann er doch nur Deutsch!

> Uighurisch ist allerdings Amtssprache und oeffentlichen Schilder
> und Plakate sind zweisprachig.  Es werden grosse Anstrengungen
> unternommen, vielen Uighuren eine Universitaetsbildung zu
> ermoeglichen.  Viele studieren im chinesischen Inland und werden bei
> Pruefungen nachsichtig behandelt.

...weil diese Barbaren halt ein bisschen bloede sind?
 
> (1) Die einzige "Besetzung Tibets" fand um 1740 statt.  Seitdem
> gehoert es unangefochten zu China.

Du siehst alles durch die chinesische Brille.
1912 erklaert der Dalai Lama Tibet fuer unabhaengig. Und bis 1950 blieb 
Tibet auch unabhaengig, bis es im Oktober 1950 von der chinesischen Armee 
erobert wurde.
   
[...] 
> (6) Das Ansehen der Tibeter bei den Han-Chinesen ist nicht sehr hoch.
> Sie gelten zwar ueberhaupt nicht als brutal, betruegerisch und
> luestern-machohaft wie die Uighuren, 

Zu mir sagte mal ein afrikanischer Student, der in Nanking studiert 
hatte, "die Chinesen seien die schlimmsten Rassisten, die er je erlebt 
habe". Du tust Dein Bestes, um diese Meinung zu bestaetigen. Und Du 
machst  Dir diesen Rassismus sogar zueigen, weil Du die chinesischen 
Vorurteile zitierst, um deren Politik zu rechtfertigen. 

> aber immerhin als rueckstaendig,
> schmutzig und blind-aberglaeubisch. 

Und deswegen muss man sie "zivilisieren"?
Eine solche Meinung war die Grundlage fuer den Kolonialismus.

> Den Tibetern mag das weitgehend egal sein.  Der potentiellen
> Herrscherschicht eines souveraenen Tibet jedoch nicht.  Es geht
> schliesslich nicht nur um Grenzhaeuschen sondern um Militaerehren,
> Flaggen, Waehrungen, UN-Konferenzen usw.  

Voelker wollen unabhaengig sein, damit ihre Fuehrer Spesen verprassen 
koennen?
 
> Da sich bisher keine Buergerkriegsstimmung provozieren liess, 

Mit den beruehmten Messern fuehrt sich schlecht Buergerkrieg gegen die 
AK47 der Chinesen. Die Uiguren wissen, dass sie kaum eine Chance haetten. 

> Ganz so naiv bin ich nicht.  Ich traue keiner Elite Integritaet zu.
> Jeder Souveraen muss sich Forderungen unterwerfen, egal ob Koenig,
> Elite oder Volk.  Mein Wunschsystem wuerde es jedem ermoeglichen,
> aufgrund seiner Faehigkeiten Zugang zu angemessenem Einfluss zu
> bekommen.

Wer definiert denn, was "aufgrund seiner Faehigkeiten Zugang zu 
angemessenem Einfluss" ist?  Das ist doch der Knackpunkt!

> Ich weiss ferner noch eines: meine Wunschvorstellungen sind mangels
> allgemeinen Verstehens und Verstehenwollens kaum zu verwirklichen, und
> es lohnt sich nicht, um der vagen Hoffnung auf eine Utopie willen
> demokratische Errungenschaften aufs Spiel zu setzen, wie es etwa viele
> Sozialismussympathisanten im kalten Krieg getan haben.  

Da stimme ich Dir zu. 
 
> >  Und was war das Vorspiel der Ochlokratie? Gleitet eine funktionierende 
> >  Demokratie mit einer gescheiten Verfassung so leicht in eine Ochlokratie ab? 
> >  Ich denke nicht. 
> 
> Doch.  Heute sind wir der Ochlokratie naeher als 1949.  

Es gibt in gewissen Gegenden Deutschlands durchaus Demokratiedefizite. 
Warum? Weil diese Gegenden sehr lange unter einer Zwangsherrschaft leben.

> Schau dir an,
> wie die Wahlkampfplakate dem Souveraen Honig um den Mund schmieren und
> ihm nicht annaehernd reinen Wein einschenken. 

Das Volk ist aber bei weitem nicht so bloed, wie die Politiker glauben.
Ein Teil des Volkes laesst sich verfuehren, aber die allermeisten waehlen 
immer noch halbwegs vernuenftig. 

> Genau so wie es
> schlechte Staatsdiener bei einem Kaiser machen, der dadurch zum
> Tyrannen wird.

Einen Kaiser kannst Du viel leichter beeinflussen als ein ganzes Volk.

>  Die Verfallssymptome sind vielfaeltig.  Eines davon ist
> auch das Unverstaendnis dieser ML fuer die Grenzen der Meinungsfreiheit
> und fuer den Leitgedanken der Menschenrechtsartikel, der eben nicht in
> der "Wuerde des Menschen" und nicht der "grenzenlosen Freiheit und
> Unverantwortlichkeit fuer jede Propagandamaschinerie" besteht.  

Meinungsfreiheit ist Teil der Menschenwuerde. Und wer fordert absolute 
Meinungsfreiheit? Sie hat natuerlich ihre Grenzen, wenn die Wuerde des 
Menschen verletzt wird. Manche Leute haben aber eine etwas weitgehende 
Definition von Menschenwuerde. Sie verlangen z.B. ihrerseits 
Glaubensfreiheit, wenn aber ein anderer 'was gegen ihre Religion sagt, 
dann schreien sie nach dem Richter. Eine wichtige Frage ist auch, wie man 
gegen Verletzungen der Menschenwuerde vorgeht. Einfach verbieten? Soll 
ich zur Polizei gehen und Dich wegen Deiner rassistischen Aeusserungen 
ueber die Uiguren anzeigen? (Wenn Du aehnliches ueber Juden schreiben 
wuerdest, koenntest Du Probleme bekommen, das ist Dir doch klar? Zumal es
hierzulande schon reicht, wenn Du zitierst und Dich  nicht ausreichend 
distanzierst.) 
Nein, ich nehme mir einfach die Freiheit Dir zu antworten.

Rudi

ps: Auf Deinen Vergleich zwischen Russland und China gehe ich nicht ein. 
Sonst ufert das hier zu sehr aus.