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Re: taz Bremen: Rechtsradikale Propaganda im Internet



In <v021305b3b1c69ca6bd99@[23.23.23.10]> wau@ccc.de (Wau Holland) writes:
>mail zur bremer frage.

>meine haltung ist hart und klar und oeffentlich.
>http://www.nadeshda.org/medien4.html
>straffreiheit auch fuer nazis im internet,
>solange sie gewaltlos meinungen aeussern.

>das gaestebuch ist fuer mich ein grenzfall.
>auf meinem klo sind zwar klosprueche von gaesten ok,
>aber faschistische propaganda wird entfernt.

[...]

>ich trete fuer die grundrechte der nazis ein.

O.K.
Die für mich derzeit viel spannendere Frage: Warum ermittelt die Bremer
Staatsanwaltschaft gegen ISB, wenn die sich von den Nazis öffentlich 
distanziert haben? Oder darf man nicht mehr zitieren, wogegen man ist?

Zwischenfrage: Wie wird eigentlich gerichtsverwertbar der Inhalt einer
Webseite dokumentiert?

Artikel in der taz von heute (mit Photo von Ralf :-)):
----------------- schnipp -----------------
Staatsanwälte sollen entscheiden

    Ralf Röber vom Internet-Provider ISB zum Problem rechtsradikaler Propaganda
    im weltweiten Datennetz
    
   _Antisemitische Propaganda stand längere Zeit im Internet im Gästebuch
   der Internationalen Stadt Bremen, einem Projekt des Bremer
   Internet-Providers ISB. ISB kommentierte den Eintrag zwar
   entsprechend, ließ den Hetzartikel aber auf seinen Seiten stehen -
   Zensur im Internet lehne man ab, hieß es. (vgl. taz, 30.6.) Jetzt
   ermittelt die Staatsanwaltschaft. Wir fragten dazu ISB-Chef Ralf
   Röber_.
   
   _taz: Was ist seit dem Bericht über Ihr Gästebuch passiert?_
   
   _Ralf Röber:_ Wir haben eine große Anzahl von Anfragen bekommen, ob
   wir Leuten diesen Artikel schicken können. Andere haben gefragt, ob
   wir jetzt die Seiten gewechselt haben und rechtsradikal sind.
   
   _Sind Sie?_
   
   Natürlich nicht.
   
   _Hat sich denn nach den Reaktionen auf den taz-Artikel ihre
   Einschätzung geändert, wie man mit rechtsradikaler Propaganda umgehen
   sollte?_
   
   Wenn solche Sachen publiziert werden, können wir nicht als
   Hilfssheriff auftauchen.
   
   _Was werden Sie also machen?_
   
   Wenn irgendwelche Personen sich durch irgendwelche Äußerungen, die
   über unsere Seiten verbreitet werden, betroffen fühlen, dann werden
   wir diese Äußerungen an die Staatsanwaltschaft weiterleiten. Die soll
   dann sagen wie nach dem Gesetz damit umzugehen ist.
   
   _Ist die Staatsanwaltschaft nicht völlig überfordert, wenn die jetzt
   mit soundsovielen Internet-Verstößen bombardiert wird?_
   
   Möglich. Es weiß ja keiner, wie wir damit umgehen sollen.
   
   _Ist es denn ermittelbar, wer diesen Eintrag auf Ihre Seiten gegeben
   hat? Hat sich die Staatsanwaltschaft schon gemeldet?_
   
   Bisher hat noch niemand nachgefragt, von wem der Gästebucheintrag
   kommt. Nachvollziehbar ist das für Service-Provider, die ihre
   Log-Files aufbewahren und dokumentieren müssen auf jeden Fall - in
   gewissen Grenzen. Wir können sagen, der oder der Rechner oder der oder
   jener Online-Zugang hat zu dieser speziellen Uhrzeit diese Nachricht
   über uns abgesetzt.
   
   _Warum gehen Sie nicht vor Gericht? Sie sind unverdächtig,
   rechtsradikal zu sein. Ein Prozeß wäre doch eine Gelegenheit, sich als
   Kämpfer für die freie Meinungsäußerung zu profilieren._
   
   Wir tragen uns ernsthaft mit dem Gedanken einer Selbstanzeige. Mir
   drohen maximal drei Jahre Gefängnis plus Geldstrafe. Obwohl ich mir
   nicht vorstellen kann, daß Richter in Bremen so aggressiv reagieren
   wie in Bayern. Die haben ein gekreuzigtes Schwein _(das Logo einer
   Rock-Band, d. Red.) _im Internet verboten, auf T-Shirts aber erlaubt.
   
   _Sind denn in Deutschland die rechtlichen Grundlagen für die
   Entscheidung gegeben, ob und wie man eingreift?_
   
   Über den Umgang mit Äußerungen, ob sie nun links- oder rechtsradikal
   sind, Aufforderungen zur Gewalt, sexistische Darstellungen, muß auf
   jeden Fall diskutiert werden - man soll nicht wegschauen. Daß das
   Internet das ganze beschleunigt, liegt einfach daran, daß wir hier das
   erste Mal ein Medium haben, das eine Massenverbreitung hat wie
   Zeitungen oder das Fernsehen. Es ist für jeden möglich, zu
   publizieren. Und das zu Kosten, die so gering noch nie waren und in
   einer Geschwindigkeit, die auch noch nicht bekannt war. Und das über
   Ländergrenzen hinweg, weltweit.
   
   _Es ist natürlich ein Unterschied, ob man Daten nur weiterleitet oder
   ob man Seiten hat, die man selbst betreut. Eigene Seiten kann man
   schon kontrollieren._
   
   Richtig, aber nach welchem Recht soll ich handeln? Für die USA ist
   das, was in unserem Gästebuch stand, kein Problem.
   
   _Gibt es denn bei Ihnen eine Idee, wie das in Zukunft aussehen könnte.
   Denn die charmante Idee vom völlig freien Fluß der Information
   funktioniert doch nicht._
   
   Davon können wir uns verabschieden. Völlig frei ist das nicht. Aber
   daß Internet-Service-Provider anfangen zu zensieren, ist technisch
   superschwierig, fast nicht möglich. Die Frage ist, wie wir mit
   faschistischen, rassistischen oder sexistischen Äußerungen umgehen.
   Handeln wir nach amerikanischem oder deutschem oder islamischem Recht?
   Was ist, wenn der Abrufende in Bremen sitzt, aber die Seiten in
   England liegen oder in den USA? Hinzu kommt, daß das Ganze dynamisch
   ist. Es ist immer nur ein Schnappschuß. In dem Augenblick, in dem das
   Laden der Seite beendet ist, funktioniert das alles nicht mehr. Ich
   kann heute nicht mehr nachvollziehen, wie das Gästebuch aussah, als
   der Eintrag noch drin war.
   
   _Kann man etwas machen wie eine freiwillige Selbstkontrolle?_
   
   Freiwillige Selbstkontrolle würde bedeuten, daß wir uns zum
   verlängerten Arm der Staatsanwaltschaft machen. Wir sollten den
   Gedanken aufgeben, Internet-Service-Providern aufzuerlegen, alles zu
   dokumentieren. Das sind Datenmengen die wir durch die Gegend schieben,
   die kann man nicht kontrollieren. Zumal es eigentlich unsere Aufgabe
   sein sollte, die Daten möglichst schnell weiterzugeben. Wenn man jetzt
   jedes Bit einzeln angucken muß, das würde den Datenverkehr behindern.
   Das wäre so, wie wenn man die Polizei auffordere, den gesamten
   Autoverkehr zu kontrollieren, weil unter Umständen Autodiebe auf den
   Straßen unterwegs sind.
   
    Fragen: Christoph Dowe und Joachim Fahrun
    
   
   
   TAZ-BREMEN Nr. 5575 vom 07.07.1998 Seite 22 Bremen Aktuell 164 Zeilen
   Interview C.Dowe / J.Fahrun
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              Martin Schr"oder  --  MS@Dream.HB.North.DE