[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]
Re: Otto Schily - ein wuerdiger Kanther-Nachfolger.
- To: debate@fitug.de
- Subject: Re: Otto Schily - ein wuerdiger Kanther-Nachfolger.
- From: Horns@t-online.de (Axel H. Horns)
- Date: Sun, 19 Jul 1998 14:35:28 +0100
- Comment: This message comes from the debate mailing list.
- Comments: Sender has elected to use 8-bit data in this message. If problems arise, refer to postmaster at sender's site.
- In-reply-to: <Pine.LNX.3.95.980714152433.6657B-100000@wtao97.oas>
- Organization: Private Site
- Priority: normal
- References: <m0yvd29-0003EFC@fwd05.btx.dtag.de>
- Reply-to: horns@t-online.de
- Sender: owner-debate@fitug.de
On 14 Jul 98 at 15:45, PILCH Hartmut wrote:
> Diese Lehre war 1949 noch im Gedaechtnis. Damals wurde das Wort von
> der "wehrhaften Demokratie" gepraegt. Erst in den fetten 60-70er
> Jahren wurde die zahnlose Demokratie wieder zum Idealbild erhoben.
Heute war Otto Schily um 11:00 Uhr im DLF-"Interview der Woche" zu
hoeren. Am Ende des Gespraeches bekannte sich Schily ausdruecklich zu
der Verfassungsauslegung à la Rupert Scholz und Josef Isensee, wonach
die Grundrechte heute nicht mehr (nur?) ein Abwehrrecht des Einzelnen
gegen den Staat, sondern (auch?) einen Anspruch des Einzelnen an den
Staat auf aktiven und nicht zuletzt praeventiven Schutz vor den
Boesartigkeiten der Mitbuergerinnen und Mitbuerger beinhalte.
Diese neue Verfassungslesart war hier vor einiger Zeit aus Anlass
eines kritischen Artikels von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in
der ZRP zu diesem Thema eroertert worden.
Zu Hartmut Pilch ist zu sagen, dass von ihm hier etwas
durcheinandergebracht wird, was man tunlichst auseinanderhalten
sollte:
a) Grundrechtseinschraenkung als "Notwehr" des Staates gegen solche
Kraefte, die die Staatsordnung unterminieren wollen - Hitler-Syndrom,
und
b) Grundrechtseinschraenkung aufgrund eines Staatsverstaendnisses,
das sich immer mehr vom Schutz der Staatsbuerger durch repressive
Verfolgung bereits geschehener Verbrechen loest und immer mehr dazu
tendiert, praeventiv noch gar nicht geschehene Verbrechen verhindern
zu wollen.
Die "Wehrhafte Demokratie" unter Punkt a) ist in der juengeren
Geschichte mit allen Pros und Cons heftig debattiert worden. Darum
geht es hier nicht.
Der Ansatz zu b) hat den ungeheuren Charme, dass er mit wohlfeilen
Stammtischspruechen wie "Wir muessen etwas tun, bevor das Kind in den
Brunnen gefallen ist" usw. usf. voll kompatibel ist. "Vorbeugen ist
besser als heilen" usw. usf. leuchtet jedem DAU sofort ein. Der
schon fast wieder in der Vergessenheit versunkene Horst Herold und
seine Adepten und Epigonen verschweigen jedoch ein paar begriffliche
Probleme, die stets dann auftreten, wenn man dieses bei der
Zahnpflege vielleicht ja noch nuetzliche Praeventionskonzept auf die
Verbrechensbekaempfung ausweitet. Solche Errungenschaften wie die
Unschuldsvermutung sind naemlich damit inkompatibel. Die
Unschuldsvermutung beruht begrifflich auf der Voraussetzung, dass
eine Tat bereits _unverrueckbar_ geschehen ist und deshalb die
Unschuldsvermutung ex post aufgrund von Beweisen aufgehoben und im
Einzelfall in einen Schuldspruch transformiert werden kann. Bei
praeventiver Verbrechensbekaempfung ist dies natuerlich nicht
moeglich, denn man kann ja mit dem Leben nicht experimentieren, um
nachzuweisen: "Wenn wir damals nicht _vor Begehung eines
Verbrechens_ Deine Wohnung abgehoert, Dein Telefon angezapft und
Deine TCP/IP-Datenpakete gespeichert und dich festgenommen haetten,
dann waere hoechstwahrscheinlich ein Verbrechen von Dir begangen
worden". Die praeventive Verbrechensbekaempfung verwandelt die
Unschuldsvermutung (mit der Option eines Schuldspruches fuer den
Einzelfall) in eine generelle Schuldvermutung (mit der Option eines
Freispruches zweiter Klasse, weil man trotz aller Bemuehungen nichts
Belastendes hat feststellen koennen).
Auch wenn man den Praeventivgedanken nicht auf das Tun jedes
Einzelbuergers abstellt sondern fordert, der Staat muesse im Rahmen
der _repressiven_ Verbrechensbekaempfung weitreichende Vollmachten
beispielsweise fuer verdachtsunabhaengige Kontrollen an Bahngleisen,
auf Auto- und Datenbahnen aller Art und schliesslich ueberall haben,
um die Mitbuerger und Mitbuergerinnen in die Zukunft hinein wirksam
schuetzen zu koennen, wird die Gesamtlage nicht besser. Wer mein
Gepaeck im Zug verdachtsunabhaengig filzt oder meinen TCP/IP
Datenstrom verdachtsunabhaengig einem Screening unterzieht,
unterstellt mich einer generellen Schuldmutmaßung, die ich politisch
nicht zu akteptieren bereit bin.
Diese Verfassungstheoretiker à la Scholz und Isensee sind zusammen
mit ihren epigonalen Exekutoren wie Kanther & Schily drauf und dran,
den Geist des Grundgesetzes derart zu versauen, dass einem unfeine
Vergleiche mit Carl Schmitt in den Sinn kommen.
Otto Schily hat diese Ideologie - soweit man das weiss - nicht immer
so vertreten. Er ist ein Renegat, der wie viele Renegaten sich als
110%iger Vertreter der nunmehr neu fuer gut und richtig erkannten
Lehre profilieren will. Dass er womoeglich intelligenter als Kanther
ist, macht die Aussichten fuer den Liberalismus in Deutschland (ich
meine mit diesem Begriff ausdruecklich _nicht_ die FDP) nicht besser.
Axel H. Horns
--
Axel H. Horns
horns@gmx.net