[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]
Re: SPAM: Staatliche Regulierung?
- To: debate@fitug.de
- Subject: Re: SPAM: Staatliche Regulierung?
- From: Thomas Roessler <roessler@guug.de>
- Date: Mon, 27 Jul 1998 12:50:33 +0200
- >Received: (from roessler@localhost)by sobolev.rhein.de (8.8.8/8.8.8/Debian/GNU) id MAA22787 ; Mon, 27 Jul 1998 12:50:34 +0200
- Comment: This message comes from the debate mailing list.
- In-Reply-To: <m0z068A-0011xOC@mobile>
- Mail-Followup-To: debate@fitug.de
- References: <m0z068A-0011xOC@mobile>
- Sender: owner-debate@fitug.de
On Sat, Jul 25, 1998 at 05:21:05PM +0200, Gert Doering wrote:
> ein sehr interessanter Spam. Initial dachte ich mir "klar
> will ich, dass SPAM verboten wird" -- beim durchlesen des
> eigentlichen Textes dann eher die Frage "will ich
> wirklich, dass die Regierung sich da einmischt?" -- Stoff
> zum Nachdenken.
In der Tat.
> > call 1-900-990-4021 or
> > Internet call 1-900-990-4022
Mir fallen zunächst mal diese beiden Telephonnummern aus:
Geschicktes Abzocken, IMHO.
Kommen wir zur eigentlichen Frage: Wollen wir eine
"Einmischung der Regierung" (besser: "des Staates")?
Wollen wir eine Gesetzgebung gegen Spam? Und: Bedeutet
eine solche Gesetzgebung überhaupt eine derartige
Einmischung? Außerdem: Warum funktioniert Spam?
Ich möchte mit der letzten Frage anfangen: Spam
funktioniert, weil ein Grunddienst des Netzes, E-Mail, zu
Pauschalpreisen für den Absender abgewickelt wird und der
_Empfänger_ einen (wenn auch pauschal abgerechneten) Teil
der Kosten trägt. E-Mail wird damit zu einem extrem
kostengünstigen Marketingkanal, der mit einfachen Mitteln
genutzt werden kann. Die Kosten für diesen Marketingkanal
tragen größtenteils andere - die Empfänger und die anderen
Kunden des eigenen Providers.
Das ist schlecht (TM).
Was kann man also dagegen tun? Netizens können versuchen,
durch die eine oder andere Form von Selbstregulierung
gegen Spam anzugehen. Das funktioniert aber nicht, weil
derartige Selbstregulierung praktisch immer das Instrument
sozialer Ächtung nutzt, das einen klassischen Spammer
nicht interessiert - der steht eh außerhalb des
Sozialsystems Netz. Ansätze wie z.B. das dauerhafte
Abklemmen von Nutzern ("blacklist") klappen spätestens in
dem Moment nicht mehr, in dem wir von Netzzugang als Teil
einer allgemeinen Grundversorgung ausgehen. Acceptable
Use Policies funktionieren letztlich nicht, weil sie zwar
dazu führen, daß ein Spammer innerhalb vergleichsweise
kurzer Zeit abgeklemmt wird, weil aber andererseits das
Spam-Fenster, das sie lassen, groß genug ist, um
"rentabel" Spam abzusetzen. Was aus dem Account wird, ist
dem klassischen Spammer wurscht.
Es bleiben drei Ansätze:
- Wir modifizieren die Infrastruktur so, daß Spam
signifikant _erschwert_ wird. Eine derartige
Modifikation erscheint ungefähr genauso realistisch wie
die Modifikationen, die den lieben Innen- und
Sicherheitspolitikern so vorschweben. Versuche gibt es
natürlich; sie bringen allerdings einigen Ärger und
wenig Erleichterung für die große Masse ein. Abgesehen
davon kosten diese Ansätze letztlich den Empfänger des
Spams Geld, nicht den Absender.
- Wir modifizieren die Infrastruktur so, daß Spam für den
Absender _teuer_ wird, sich also auf Dauer nicht mehr
oder nur noch sehr begrenzt rechnet. Das wäre zwar
schön, ich sehe aber nicht, wie man derartiges sinnvoll
umsetzen sollte - also: Zukunftsmusik, aber vielleicht
irgendwann Realität. Kris hat mal ein paar Schemata in
die Richtung vorgeschlagen, e.g. derart, daß der Leser
eines Spams einen gewissen Betrag in E-Cash erhält.
- Wir modifizieren die Rechtsordnung so, daß Spam für den
Absender teuer wird. Diese Variante ist zur Zeit die
einzig realisierbare, und sie wird daher auch dort
realisiert werden, wo sie es nicht ist.
(Es scheint einen gewissen Konsens zu geben, daß Spam in
D wie Fax-Werbung zu verstehen und insofern
wettbewerbswidrig ist.)
Es bleibt die Frage, ob wir es bei einer derartigen
gesetzlichen Regelung mit einer "Einmischung" zu tun
haben. Der eine oder andere würde jetzt laut "ja"
schreien und dann davon sprechen, daß "wir das schon
selbst tun". Wer das sagt, geht implizit davon aus, daß
derartige eigene Regeln des Netzes (oder soll ich
"Gesetze" sagen?) irgendeine Art von Verbindlichkeit
haben. Daß dem nicht so ist, demonstrieren uns aber doch
gerade die Spammer, die sich außerhalb des Sozialsystems
Netz sauwohl fühlen, und es demonstriert uns auch die
Köhntoppsche Kehrmaschine¹, die Kris zum Abbau
überschüssiger Sympathie-Punkte vor ein paar Jahren in
detebe losgelassen hat.
Gefragt ist demzufolge gerade nicht eine Regelung
_innerhalb_ des Netzes, sondern eine Regelung in dem
Kontext, in dem sich der Angreifer bewegt und in dem er
faßbar ist. Dieser Kontext wird zur Zeit am ehesten durch
die existierenden realweltlichen Staaten gegeben, deren
gesetzliche Regeln das Verhalten ihrer Bürger
(insbesondere auch der Spammer) behandeln.
Insofern wäre eine Regelung gegen Spam gerade keine
Einmischung in die "inneren Angelegenheiten" des Netzes,
sondern das Abwenden einer solchen systemwidrigen
Einmischung durch Individuen, die sich selbst außerhalb
des sozialen Kontexts "Netz" stellen, es aber gleichwohl
für ihre kommerziellen Interessen nutzen wollen.
tlr
¹) An einem gewissen Stichtag wurden alle Artikel in
de.talk.bizarre, die zu diesem Zeitpunkt auf dem
Köhntoppschen Newsserver vorhanden waren, per
Fremdcancel gelöscht und danach mit modifiziertem
Betreff ("ONLY THREAD EVER (was: ....)") erneut
gepostet. Es wird berichtet, daß mindestens der
Newsserver eines Mailboxsystems ("AS-Node") in Jena
durch diese Aktion schlicht lahmgelegt wurde, da das
System dort versuchte, Cancel-Nachrichten besonders
gründlich zu verifizieren. Es war offenbar nicht auf
die von der Kehrmaschine verursachten Cancel-Mengen
vorbereitet.
--
Thomas Roessler · 74a353cc0b19 · dg1ktr · http://home.pages.de/~roessler/
2048/CE6AC6C1 · 4E 04 F0 BC 72 FF 14 23 44 85 D1 A1 3B B0 73 C1