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[FYI] Inlaendischer Kulturkampf



http://www.sueddeutsche.de/aktuell/feuill_i.htm

Harald Staun in der SZ:

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9.07.98 
Feuilleton 

Die Netzbeschmutzer 

Tatort Internet: Nicht Computer,
sondern Menschen töten 

[...]

Es wäre hilfreich, wenn das Internet
allmählich den Nimbus der Belanglosigkeit
verlöre. Mit der Vernetzung der Welt läßt
sich mehr anfangen, als globale
Briefmarkenbörsen zu eröffnen. Im Gegensatz
zur Welt des Fernsehens, kann im Internet
jeder seinen eigenen Kanal öffnen. Für
Anhänger der freien Meinungsäußerung galt
das Netz daher lange als Revolution: Vom
Zapatisten zum Bettnässer, von chinesischen
Oppositionellen zum Freund der
kantonesischen Küche, jede Minderheit
konnte endlich einen globalen,
unkontrollierten Diskurs entwickeln, konnte
Sinn und Unsinn, gefährliche Lügen und
gefährliche Wahrheiten verbreiten. Nun
haben am virtuellen schwarzen Brett auch
ganz kranke Zeitgenossen Gleichgesinnte
gefunden - und nun fragt man sich: Ist die
Freiheit noch zu retten? Läßt sich der Dorn
aus dem Finger ziehen, oder muß der ganze
Arm amputiert werden? 

Spätestens hier setzt eine ganz andere
Diskussion ein, in der es kaum noch um die
Opfer geht und kaum noch um Argumente. Die
Frage um Kontrolle und Kontrollierbarkeit
der Kommunikation ist ein Kampf alter
Gegner um ein neues Medium. Wem also soll
das Internet gehören? Dem Staat, der es
einst erfunden hat, um einen Totalausfall
seines technischen Rückgrats zu verhindern?
Der Wirtschaft, die seit Jahren heftig
investiert und all die teuren
Glasfaserkabel bezahlt hat? Oder der
Gemeinschaft der Menschen, die plötzlich
entdeckt haben, wofür dieser mächtige
Apparat überhaupt verwendet werden kann:
zum direkten Kontakt miteinander, vorbei an
Staat und Wirtschaft? 

Es sieht so aus, als würde sich der
Wettbewerb auf einen Zweikampf zuspitzen:
die Menschen sind schon ausgeschieden.
Menschen im Internet, das sind vor allem
nette, junge, weiße Männer, jene
soziokulturelle Schicht, die als Pioniere
das neue Kommunikationsmodell testet. Doch
diese ,Netizens" haben sich gar nicht so
viel zu sagen, zumindest nichts, was
großartig vorbeigelotst werden müßte an
Staat und Wirtschaft. Nur wenige haben ihre
Hoffnungen wirklich in die neuen Kanäle
gesetzt, weil sie sich dort über mehr
unterhalten konnten, als über Fernsehserien
oder Heuschnupfen. Aber sie gehen nun im
Sog der Netzbeschmutzer unter. Weil es vom
Kinderschänder bis zum Terroristen für
jeden eine Newsgroup zum Feindbild gibt,
ist sich die Gesellschaft über die
Parteigrenzen hinweg einig: Nur wer etwas
zu verbergen hat, braucht den Schutz des
Cyberspace. 54 Prozent der Deutschen
befürworteten in einer Umfrage eine Zensur
des Internets. Da bleibt einem die Kritik
im Hals stecken. 

[...]

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