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Vom Atomstaat zum Zensurstaat



Weil einige Juengere mit Bob Jungk wenig anfangen konnten,
moechte ich hier ein Zitat bringen, wegen dessen ich den
Zensurstaat den Atomstaaat des Informationszeitalters
nannte auf dieser ML.

Ersetze Strahlengefahr durch KiPo und AKW durch ISP
(grob vereinfacht).

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Der Atomstaat
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Die Mobilisierung der Polizei ist zwingend

Eine Besonderheit der Atomentwicklung besteht darin,
dass sie von einem gewissen Augenblick an unmoeglich
rueckgaengig gemacht werden kann.
Dieses Phaenomen der "Irreversibilitaet" ist eine ganz
neue historische Erscheinung. Ist ein Reaktor einmal
"angefahren", dann werden damit Prozesse in Gang gesetzt,
die man lange Zeit nicht mehr aus der Welt schaffen kann.
Generationenlang andauernde radioaktive Zerfallsvorgaenge
mit ihren Strahlengefahren fuer alles Lebendige muessen
von da an sorgfaeltig und in Permanenz kontrolliert werden.
Ueberschreitet die Zahl zu bewachender Installationen und
Entsorgungslager einen bestimmten Punkt, so muss strenge
Ueberwachung und Kontrolle ueber einen sehr langen Zeitraum
hinweg das politische Klima praegen.
Der Doppelantrieb von Terror- und Atomfurcht wird die
Industriestaaten dazu veranlassen, alle Erkenntnisse,
die ueber die Buerger in den verschiedensten staatlichen
und privaten Datenbanken gehortet sind, bei Bedarf zu einem
einzigen Warn- und Kontrollsystem von nie bekannter Dichte
zusammenzuschalten.
Indem nunmehr das Ueberschreiten verfassungsmaessig
gesetzter Grenzen durch die Exekutive und ihre
Vollzugsbehoerden als unter den neuen technischen
Gegebenheiten unverzichtbar entschuldigt werden kann,
ist die Voraussetzung fuer eine zunehmende Erweiterung der
Rechtlosigkeit im Rechtsstaat geschaffen.
Solche Massnahmen werden sich dann nicht auf eine
voruebergehende, ausserordentliche Notlage
- zum Beispiel einen Terroranschlag - berufen muessen,
sondem auf die stets gefaehrdeten und als unentbehrlich
erachteten Energiequellen hinweisen. Atomindustrie - das
bedeutet permanente Bedrohung. Sie "erlaubt" scharfe
Gesetze zum "Schutz der Buerger". Sie verlangt sogar
die Bespitzelung von Atomgegnern als Praeventivmassnahme
und kann die Mobilisierung zehntausender Polizisten gegen
friedliche Demonstranten rechtfertigen.
Angesichts solcher Aspekte liegt es fast nahe, polemisch
zu fragen, ob nicht die Machtaspekte der Atomindustrie
sie gewissen Kreisen so attraktiv macht, obwohl die
wirtschaftlichen Gewinnaussichten der "neuen Kraft"
so zweifelhaft sind.

 Robert Jungk
aus: Der Atomstaat, erschienen 1977 (rpt: 1977)