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Re: [telepolis] Verlust der Geschichte (fwd)




>Wenn Texte so geschrieben waeren, dass sie zugleich Programme
>sind und ihre Semantik so codiert ist, dass sie die fuer
>wechselnde Rezipienten (darunter eben auch andere
>Texte/Programme) eine wechselnde Syntax waehlen koennen, dann
>wird der menschliche Rezipient fuer solche Texte ueberfluessig.

Ja, so ist es. Daran wuerde man gnadenlos deutlich ablesen koennen,
wie gering tatsaechlich die kommunikative Erfindungshoehe einzelner
Menschen ist. Und dies gilt auch schon jetzt. Von Gott haben wir uns
in einigen wenigen Enklaven Europas endgueltig vor etwa 100 Jahren zu
verabschieden begonnen. Eingesetzt wurde an dessen Stelle von den
philosophischen Aufklaerern vorschnell "der Mensch", was aber auch
nur auf ein Auswechseln einer letztlich theologischen Figur (und
Logik, die einen Anfang und ein Ende kennt: den Menschen)
hinauslaeuft. Mit der Maschinisierung der Texte - dem letzten
Bereich, in dem Menschen vermeintlich noch die Hoheit haben - wuerde
auch "der Mensch" als Begruendungsquelle abdanken (man ermittele die
Erfindungshoehe/ den Originalitaetsfaktor einer durchschnittlichen
Habil gemessen am kommunikativen Gesamtbestand. Dagegen duerfte jede
homoeopathische Dosis als goldener Schuss wirken. Die Hauptfunktion
solcher Arbeiten ist derzeit darin zu sehen, dass bestimmte
Satzkonstellationen aggregiert, strukturiert und dadurch fuer andere
Texte adressierbar werden.) 

(Uebrigens: Dann koennte man wieder Theologie betreiben, indem man
statt Menschen die gesellschaftliche Gesamtmaschine feierte. Und die
FITUGs waeren die neuen Priester, die natuerlich wie alle Priester
die einzigen sind, die wirklich wissen koennen, dass das alles Humbug 
ist.)

>Texte werden dann zu den Agenten ihrer Semantik: Ein Text, der

Ja! Eine wunderbare Formulierung.

>eine Aufforderung oder Anweisung enthaelt etwas zu tun, ist
>zugleich ein Programm, das diese Aufgabe erledigt (oder andere,
>untergeordnete Texte damit beauftragt, den Kram zu machen). Wenn
>Texte Programme sind, die mit anderen Texten "handeln" koennen,
>dann ist die Reportfunktion fuer menschliche Agenten (die
>Prosa-Darstellung des Textes) zunaechst einmal fuer das
>Eintreten der Wirkung des Dokumentes von untergeordneter
>Bedeutung - der Text muss mit anderen Texten kommunizieren
>koennen, nicht unbedingt mit Menschen.

Das ist nichts neues. Genau das gilt in den Wissenschaften
kommunikativ ja lange schon: Ein Text, der nicht in andere Texte
eingehaengt wird, ist kein wissenschaftlicher Text. Muesste man
solide explizieren, in welchem Kontext nur ein einziger
nicht-trivialer Satz steht, der nicht als Zitat ausgewiesen ist, und
als gueltig unterstellt werden darf, zeigte sich eine bedrueckend
lange Liste impliziter Bezugnahmen zu anderen Texten und deren
Bezugnahmen. (Das Cyc-Projekt kaempft(e?) aussichtslos mit weitaus
einfacheren Konsteallationen.) Und ein physikalischer Text, in dem
gegen den Energieerhaltungssatz verstoessen wuerde, befindet sich
gegenwaertig auf einem kommunikativ-evolutionaer toten Ast. Die
Leitlinie, auf der sich wissenschaftliche Texte bewegen duerfen,
laesst brutal nur geringste Abweichungen zu. Die meisten Texte werden
ohnehin kommunikativ schlicht ignoriert, weil sie wissenschaftlich
fuer'n Arsch sind und allein dem Ueberleben des "Urhebers" dienen).
Eskalierende Abweichungsverstaerkungen (= Paradigmen) fallen auf,
weil sie so selten sind (Klassisches Beispiel: Newton, Maxwell,
Einstein). Mit der Maschinisierung der Texte wird nur das, was
derzeit noch implizit laeuft, expliziert. Die menschlichen Agenten
ueberschaetzen ihre Rolle in diesem Gesamtspiel der sich
reproduzierenden Kommunikationen dabei gewaltig. Es sind die
Kommunikationen, die sich ihre menschlichen Wirtstiere suchen.

>Was nichts anderes heisst, als das wir langfristig alle Codierer
>wuerden (nur mit unterschiedlichen Zugriffsrechten :-)...

Na klar: "Verschiedene Zugriffsrechte" nennt man heute noch "Beruf".
Was sind Apotheker anderes als Codierer der Körperwahrnehmung oder 
Literaten anderes als Codierer der eigenen pubertaeren
Genie-Wahrnehmung?

>Hmm, Active Content (Applets statt HTML; es ist aber eine
>Knuths TeX-Source, der zugleich Pascal/C-Programm und TeX-Source
>...
>Was immer man in dieser Richtung unternehmen wird, es wird eher
>eine Art Auszeichnungssprache sein muessen, die die einzelnen
>Textelemente strukturiert und in ihrer Funktion fuer die Aussage
>einordnet. Wenn die Auszeichnung der Elemente hinreichend
>detailliert ist, werden die ausgezeichneten Elemente (die Prosa)
>irgendwann ueberfluessig, weil nicht mehr bedeutungstragend und
>im Zweifel auch sinnerhaltend in der Zielsprache des Rezipienten
>dynamisch generierbar. Der Markupanteil in Dokumenten nimmt also
>auf Kosten des Fliesstextes zu, die Kommunikation des Dokumentes
>wird formalisiert. Reste von Fliesstext in solchen Dokumenten
>wuerden die nicht formalisierbaren Aspekte der Kommunikation
>befoerdern.

Dieser Paradoxie - dass in diesem Prozess Prosa zugleich ueberfluessig
wird als auch als Medium fuer den Rest des Nichtformalisierbaren
operiert - entspricht nichts anderem als einer nichtbeliebigen
Formalisierung der Prosa selbst. Sie bekommt ganz klein zugeschnitten
ihren formalen Ort zugewiesen. Zugleich ist sie dasjenige, dass der
Formalisierung ihre Funktion gibt. 

Man bekommt eine Form in diese Paradoxie hinein, wenn man einen
Unterschied sozusagen senkrecht auf diese Paradoxie setzt:
Systemextern gibt es nur Syntax, systemintern daneben auch Prosa, die
letztlich den spezifischen Systemerhalt steuert. Beispiel: Geld ist
fuer Anwender Syntax pur, weil es einen maximal primitiven,
systemexternen Blick auf alles andere in der Welt bietet, was mit
diesem Anderen in der Welt rein gar nichts zu tun hat. Geld killt
extern jede nicht-monetaere Bedeutung, jede spezifische Prosa und
setzt als Auffangkomplexitaet Preise dagegen. (Meine Guete: Na und?
kann man fragen. Was sind denn "Preise"?) Das ist
informationstheoretisch eine grossartige, sehr scharf zugeschnitte
formale Transformationsleistung. Wenn man aber als Geldexperte (als
ein Poet der Oekonomie) den Zins (also Geld fuer Geld, moderner:
Optionen auf Optionen) in den Blick nimmt, kann man erkennen, wie
unwahrscheinlich, fragil, nervoes, problematisch dieses System
operiert; das es ein Wunder ist, dass sich jemand wirklich auf dieses
Zeugs - bei dem niemand genau sagen kann, was letztlich das Geheimnis
seiner Stabilitaet ist - einlaesst. 

(Ein Boersencrash dient als reality-check innerhalb des Systems, der
wiederum in der Regel zu einem reality-check auch ausserhalb des
Systems motiviert. Zugleich zeigen die Folgen eines Craches, also der
Vertrauensverlust in die Syntax des Geldes, auf was man alles
verzichten muesste, wenn man auf Geld verzichtete.)

>Wobei ich es mir sehr schmerzhaft vorstelle, sich den Quelltext
>einer solchen fuer eine Zielsprache generierten Textes anzusehen
>und dort dann Ironie, Humoranteile, Absichten und Taktiken
>formalisiert und in Staerkegraden codiert niedergelegt zu finden
>(was notwendig sein wuerde, damit die Generierung korrekt
>gelingt...). Hier waere ein Schutz der Quelltexte unter
>Umstaenden von fundamentaler Bedeutung, naemlich immer dann,
>wenn ein Textagent mehr Informationen haben muss (ueber
>Absichten und Ziele der Darstellung die er generieren soll) als
>er bei Prosagenerierung ausgibt. Also immer.

Nein. Auch Geld/ Gesetze/ Methoden simulieren keine Ironie, keinen
Humor. Textmaschinen muessen das auch nicht tun. Nach wie vor treffen
sich Menschen und schreiben ihre plain-unstrukturierten Mails, in
denen sie sich mit ungetagtem Humor eindecken (<:)>wirklich?</:)>)
Die Maschinisierung der Kommunikation betrifft zunaechst und primaer
die professionelle Kommunikation zwischen Organisationen bzw. deren
professionell agierenden Mitgliedern. Derart oekonomisch/ rechtlich/
politisch strukturiert eingebunden ist der Weg frei, damit aus den
ehemals deutschen Staatsbuergern Mitglieder der Deutschland GmbH
werden.

Bitte keine OT-Patsche.

Gruss, Martin