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Re: [telepolis] Verlust der Geschichte (fwd)



Quoting Holger Veit (Holger.Veit@gmd.de):
[...]
> Du hast IMMER das Problem der Mehrdeutigkeit, in jeder Form der Kommunikation,
> es sei denn, Du unterhaeltst Dich in boolescher Algebra. Aber selbst dann
> hast Du eher Syntax als Semantik, und die Bindung der Aussagen an eine
> geeignete Bedeutung wird wiederum mehrdeutig, soweit Du dich nicht ueber
> allgemeinakzeptierte Trivialitaeten austauschen willst und Du nicht den

Selbst da ist es schwierig, wie jede Pizzaschachtel beweist.
Zitat ALDI-Pizza Steinofen Spinat:

... 2. Folie entfernen, die tiefgekuehlte Pizza in die Mitte...

Der Hinweis "Folie entfernen" vermindert die Anzahl der Reklamationen.

> Aussagenkontext auf Dinge wie "Das Gras ist gruen" oder "der Ball ist rund"
> einschraenken willst. Selbst wenn ich Dich jetzt harmlos (harmlos?) nach dem 
> Wetter frage, laesst dieses Interpretationsmoeglichkeiten offen: ist der 
> wirklich am Wetter interessiert, ist das nur ein Fuellsatz ohne Bedeutung, 
> bezweckt er irgendwas anderes, will er das Thema wechseln, etc.?

Das Gespraech ueber das Wetter am Gartenzaun transportiert
in der Regel Inhalte ueber Befindlichkeit, die Lage im Dorf
und in der Weltpolitik, die sich nicht immer so elegant in
Worte fassen lassen wie es der Leiter Konjunkturanalyse der
Dresdner Bank in der Bild am Sonntag 4.10.98 kann.
"Auf einen Schlag verloren die Aktien mehr als 100 Milliarden
Mark an Wert" hiess es. Auf die Frage "Droht jetzt eine
Weltwirtschaftskrise?" antwortete Rolf Schneider: "Wir erleben
in diesem Jahr eine Wachstumsdelle".

Welcher <tag> an diese Antwort gehoert, kann sich jeder
selbst fragen...

> Dementsprechend halte ich persoenlich gar nichts davon, Texte in Programme,
> womoeglich sogar reflektive Agenten, zu giessen. Jede Aussage (z.B. auch in
> der Form eines Textes) besitzt einen oder mehrere Kontexte, ohne die sich
> der Sinngehalt der Aussage nicht erschliessen laesst. Diese Kontexte muessen
> irgendwie mittransportiert werden, entweder im Text selbst oder in damit
> verknuepften (z.B. verlinkten) Objekten. Dabei bietet aber SGML vs. HTML
> oder auch Java-Lyrik vs. pure ASCII keinerlei Vorteil. Du aenderst lediglich
> die Transportkapsel.

Java-Lyrik gefaellt mir.
Die Transportkapsel BAMS fuer den Konjunkturwetterbericht ist ganz
anders als die Kapsel Handelsblatt oder WAMS.
Ein Beispiel fuer den journalistischen Dreck-Stil der Welt am
Sonntag (WAMS) vom 4.10.1998 ist der Teil "Geldanlage", S. 81.
Der erste Aufmacher mit Farbfoto in der Aufmacherleiste oben
auf der Seite lautet:

HEDGE-FONDS.
Die Zauberer des grossen Geldes wie George Soros halten die
Finanzmaerkte in Atem. Seite 82.

Auf Seite 82 ueber dem Artikel ist nochmal - zusammen mit drei
anderen - das Foto von George Soros.
Jedoch: Im Text selbst mit dem Aufmacher "Die Russlandkrise
und die Finanz-Probleme in den Schwellenlaendern fuehrten zum
Super-Gau bei den Hedge-Fonds" taucht der Name Soros genau
_nullmal_ auf.

Derart subtile Methoden, Stimmung zu machen durch die
Gestaltung (also TAGs im Layout-Sinn) zu bemerken und
zu bewerten, geht eher nicht maschinell...

Auf der Ebene der journalistischen Verantwortung fuer einen
derartigen Schmutz-Stil der WELT AM SONNTAG ist es eher nicht
der Autor der Viertelseite, Ulric Papendick, sondern jemand
anders. Soviel als ein konkretes Beispiel fuer die
Komplexitaet im Alltag.

Wer meint, sowas maschinell erfassen zu koennen, ist IMHO
aehnlich leichtglaeubig wie die Propheten vom Typ Herbert
Simon, der 1957 behauptete "Moeglichkeiten zum Bau einer
denkenden Maschine bestehen bereits".
Natuerliche Dummheit und Kuenstliche Intelligenz - zwei
Seiten der gleichen Medaille.

wau