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Re: Wildwuchs vs Normierung in Kommunikationssystemen



> 
> Quoting Ulf Möller (3umoelle@informatik.uni-hamburg.de):
> [...]
> > Zweck einer Sprache ist es nicht zuletzt, dem Hörer das Verstehen zu
> > leicht zu machen. Eine ziemlich schwierige Aufgabe für ein
> 
> Zweck der Kommunikation ist, ... Verstehen zu erleichtern.

Kommunikation dient dem Informationsaustausch. Sprache ist ein
moeglicher Traeger. Gesprochener besitzt neben dem eigentlichen
Informationsgehalt noch weitere Redundanz- und Irrelevanz-Teile,
welche Sekundaerinformation, beabsichtigt oder unbeabsichtigt,
transportieren, z.B. Aussagen ueber den Sender selbst, etwa seine
aktuelle emotionale Verfassung. Mit dem Erleichtern des Verstehens
hat das zunaechst mal garnichts zu tun. Das wiederum ist in der
Redundanz (Weitschweifigkeit) der Sprache selbst zu suchen, wenn z.B.
die Moeglicheit besitzt, den gleichen Sachverhalt auf verschiedene
Weise auszudruecken. Ein Paradebeispiel aus dem Bereich der kontextfreien
Sprachen, hier C:
	while(*t++=*s++);
vs.

	i = 0;
	do {
		t[i] = s[i];
		i++;
	} while (s[i-1] != '\0');
Ersteres ist sicherlich (zumindest bei Zweiadressmaschinen mit
Autoincrement: PDP-11, 68K) optimal an die Hardware angepasst,
letzteres ist auch fuer den Nicht-C-Freak halbwegs lesbar.

Beim gesprochenen Wort haben wir genau die Option, uns zwischen
einfachen Saetzen und geschnoerkelter Amtssprache mit zigfach
geschachtelten Nebensaetzen mit haengendem Verb zu entscheiden.
Typischerweise waehlen wir auch die erste Moeglichkeit. Bei
der Schriftsprache ist das vollkommen anders. Insofern
hat Ulf eher mit seiner Aussage recht als Du.

[...]
> > Singular/Plural, Zeit, Geschlecht" usw., die dem Satz eine klar
> > erkennbare Struktur geben. Während man spricht, baut der Hörer eine
> > Erwartung darüber auf, wie der Satz weitergehen wird. Für das
> 
> Das bestreite ich in Bezug auf das Deutsche deshalb ganz heftig,
> weil wie mir mein Onkel, ein Dolmetscher fuer ein halbes Dutzend
> Sprachen, erklaerte, die deutsche Sprache mit dem Tätigkeitswort
> am Ende, das der Dolmetscher erraten muss, ohne es zu kennen,
> diesen ebenso wie die Zuhoerer verwirrt.

Das ist genau ein Beispiel einer gestelzten und nicht auf das Verbessern
des Verstehens ausgerichteten Sprachwahl. Die mitschwingende Aussage,
etwa bei solchen Politikerreden ist: schaut an, wie toll ich rhetorisch
drauf bin, oder sich gar aus einer Situation, zu der man eigentlich
ueberhaupt nichts sagen kann, herauszureden. Das ist das, was man, wenn
man es als Text niedergeschrieben saehe, ohne weiteres als Geschwaetz
identifizieren wuerden.

> > Sprachverstehen kommt es darauf an, den Hörer -- durch Redundanz in
> > der Äußerung -- zu lenken und seine Erwartung nicht zu enttäuschen.
> > 
> > In anderen Sprachen sind u.U. ganz andere "nutzlose Informationen"
> > erforderlich; aber eine Sprache ohne das richtige Maß an Redundanz
> > wäre nur mit Mühe zu verstehen. Das dürfte auch erklären, warum eine
> > so wundervolle Sprache wie Lojban niemand spricht.
> 
> ACK. But: die Frage der Sprache ist nur ein Element.
> Ein Dialog zwischen M.ensch und K.affeemaschine wie
> 
> M: Kaffee? K: Heissgetraenk, Muntermacher, Herzschrittmacher?
> M: Hufeisen! K: Bist wohl noch getimelagt.
> 
> ist in bestimmten Verkehrskreisen normal, in anderen braucht
> es deutlich mehr Redundanz.
> Diese problemlos fehlende Redundanz hat IMHO groesseres
> Gewicht als die Wahl der Sprache. Wer will schon mit seiner
> Kaffeemaschine in Lojban reden...

Fuer einen M-K-Dialog enthielte bereits die zweite Zeile zuviel
Kontext, der erst interpretiert werden muesste (besondere Metaphorik
von Hufeisen, Kommentar von K), den man selbst in einer K mit
einem umfangreichen Mikro-Wissen wie in Cyc kaum repraesentieren
koennte, und der auch bei einer Kaffeemaschine (!= freche Chef-
sekraeterin!) normal gar nicht erwuenscht ist.

> > Syntaktische Mehrdeutigkeiten sind in der Realität kein Problem.
> 
> Man muss dabei bedenken, welche Rechenleistung ein Haushaltsgeraet,
> das bautechnisch gerade einmal so primitiv wie eine Kaffeemaschine
> ist, vollbringen muss, um obigen Dialog hinzubekommen.

Halte ich selbst mit einem fetten Parallelrechner kaum fuer moeglich.
Waere die Kaffeemaschine, die den Turingtest besteht. Hofstaedters
Fargonauten lesen.

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