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Re: Wildwuchs vs Normierung in Kommunikationssystemen



> Lojban ist keine DML.
> Lojban erlaubt (ebenso wie z.B. Japanisch in bezug auf Plural) groesstmoegliche
> Unverbindlichkeit ebenso wie extreme Explizitaet.
> Lojban befreit den Ausdruck aus den Amalgamzwaengen wildwuechsiger
> Grammatiken (was sonst nur das Chinesische tut), und bietet gleichzeitig
> die *Moeglichkeit*, beliebig komplexe Syntagmen ohne Ambiguitaet zu bauen.

Casus cnacsus meiner letzten Antwort: die *Moeglichkeit* etwas auszudruecken,
reicht allein nicht, es muss getan werden; und es muss eine automatische,
oder zumindest weitgehend automatische Konversion existierender Texte geben,
andernfalls ist es theoretische Onanie ohne jeglichen Wert, yet another grammar
sozusagen.

> Lojban bietet somit der Poesie eine interessantere Spielwiese als jede
> natuerliche Sprache.  Bei der Poesie geht es naemlich um das Spielen mit
> *Moeglichkeiten*, nicht das Erleiden von Sprachzwaengen.
> Das einzige Sprachspiel, zu dem sich Lojban nicht eignet, ist das des
> C.S.Lewis in Alice in Wonderland: das Spiel mit den Widerspruechen zwischen
> den Regeln der Sprache.  Doch das ist ein fuer die Poesie unwesentliches
> Randgebiet.  Poesie existiert ohne Sprachmissstaende ebenso wie Humor auch
> ohne die DDR existiert.

Wenn ich als Poet nicht nur meine eigenen Neurosen verarbeiten will, besitze
ich einen Leser. Und an den richte ich mich dann, mit einer Kommunikationsform,
die mein Anliegen oder meine Empfindungen geeignet zu dem Leser rueberbringt.
Das klappt nicht mit einer selbsterfundenen Sprache, die der Leser nicht kennt,
und es klappt ebensowenig mit einer formalen, aber ambiguitaetsfreien Syntaxnotation.
Wenn ich rumspielen will, spiele ich mit existierender, wildgewachsener Sprache.
Gegenstand des Spiels sind dann genau die mehrdeutigen Elemente der Sprache, die
Worte, ihre Zusammenstellung, die Interpunktion uvam. Lewis Carroll hat genau in
dieser Weise gespielt, experimentiert, und viele andere Literaten ebenso, oder noch
extremer. Bei Gesetzestexten will man Mehrdeutigkeit vermeiden, bei gleichzeitiger
Allgemeingueltigkeit, bei Literatur ist sie gerade die Essenz. Irgendetwas da formali-
sieren zu wollen, indem ein komplexes oder chaotisches Regelwerk (einer natuerlichen
Sprache) in irgendein anderes Regelskelett gezwaengt werden soll, ist purer Humbug,
der die Expressivitaet der 26 Buchstaben des Alphabets ausschliesslich einschraenken 
kann. Vgl. das Gedicht "Das grosse Lalula" von IIRC Christian Morgenstern. Lojbanisiere
dieses, und wenn das nicht geht, warum nicht? Anschlussfrage: was haette dann dieser
Formal-Schwachsinn in der Literatur zu suchen?

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