[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

Re: [FYI] ÜBERWACHUNG: Lauschangriff hoch zehn



wau erwiderte:

> > "Ueberwachungsstaat" = die Moeglichkeit oeffentlicher Kontrolle ueber
> > 	bestimmte Entwicklungen bleibt erhalten
.. 
> Solange die Politik die frei verfuegbaren Daten nicht sinnvoll
> einsetzt, ist jede Begehrlichkeit auf private Kommunikationsdaten
> eine Frechheit, die gegen checks and balances verstoesst.

Stimmt, und Checks and Balances ist ein gutes Stichwort.
Ich sehe bei den Buergerrechtslobbyisten die Tendenz, unbalancierte
Buergerrechte aus irgendeinem Glauben heraus zu befuerworten.
Bei den Sicherheitspolitikern hingegen sehe ich immerhin, dass ein
paar institutionelle Korrektive wie Ermittlungsrichter existieren
und weitere im Gespraech sind (--> Dauebner-Gmelin).

> Und wenn Politiker in der Lage sind, frei verfuegbare Daten
> sinnvoll einzusetzen fuer das Gemeinwohl, dann werden sie
> begreifen, dass es heute wichtiger ist als im alten China,

Auch im alten China waere das wichtig gewesen.  Es gibt sogar Dokumente
aus der Han-Zeit, die ueber unkontrollierte Behoerdenmacht klagen.
Ein Denker der Ming-Zeit wagte sogar den Satz, das Grunduebel der grossen
historischen Unfaelle laege im Kaisertum selbst.

Die chinesische Geschichte zeigt fuer mich besonders deutlich, wie der Zug
der Geschichte in eine Sackgasse fahren und nicht mehr herauskommen kann. 
Wenn eine globalisierte, vereinheitlichte Welt in eine Sackgasse dieser
Art faehrt, ist es das absolute Ende.  Ich sehe eigentlich schon ein
solches Ende, ein unkontrollierbare, sich staendig selbststabilisierende
Herrschaft eines unmenschlichen, der Ratio nicht mehr zugaenglichen
Apparates, aehnlich wie im alten China. 

> die Privatsphaere zu achten.
> Denn die Erfindung des Bitrades als Universalmaschine
> veraendert die Gesellschaft strukturell.

Sie koennte uns Chancen geben, die Entwicklung wieder fuer den Zugriff der
menschlichen Vernunft zurueckzuerobern.  Diese Chancen werden aber
verspielt, aehnlich wie die Chancen einer Renaissance europaeischer Art
von den chinesischen Intellektuellen verspielt wurden.  Der Zug ist dann
irgendwann unumkehrbar abgefahren.
 
> Die "unkontrollierbare Herrschaft des Geldes" laeuft IMO eher
> ueber den Kauf von Politikern. Wenn ich mich frage, ob sich ein

Man braucht die nicht zu kaufen.  Sie sind ohnehin im Bauch der
Organisation, in den sanften Zwang ihrer Rollen eingebunden, dazu
von vorneherein auf Stromlinienfoermigkeit hin ausgewaehlt.

> Zeitpunkt angeben laesst, ab dem Schily gekauft sein koennte,
> dann gibt sein tatsaechliches Verhalten ab einem Zeitpunkt
> dafuer Ansatzpunkte her.

Ich habe kaum den Eindruck, das Schily wirklich jemand ist, der viel
bewegen wird oder will.  Auch Joschka Fischer geniesst besonders die
Wonnen der Einbindung, die ihn von der Verlegenheit befreien, ungestueme
Impulse aus seiner Oppositionszeit politisch verwirklichen zu muessen.
Die Leute haben die Instutionen durchmarschiert und dabei den Glauben
verloren.  Ein ganz normaler Vorgang, zu dessen Erklaerung man keine
Kaeuflichkeit unterstellen muss.

> Umgekehrt habe ich es oft erlebt, dass Konzernchefs eine sehr
> hohe Einsicht in gesellschaftliche Checks and Balances haben,

z.B. v.Pierer, der viel ueber gesellschaftliche Verantwortung
philosophiert, aber dann ein Abkommen mit Gates schliesst und verspricht,
alles in seiner Macht stehende fuer die Durchsetzung von Win CE und NT
zu tun.  Ich sehe nicht den Unterschied zu Politikern.

> aber die Chefs von KMUs sind sehr oft Egoisten, die ueber
> Leichen gehen (wenn man schon anfaengt zu pauschalisieren :-)

Bei Konzernen gibt es eher eine quasi-aristokratische Kultur, die
Schnellaufsteiger und Neureiche fernhaelt.  Bei der Politik genauso.
 
> > Woher kommt das hier vorherrschende Vertrauen in die Selbstregulierungskraefte
> > der Gesellschaft und das Misstrauen in Versuche staatlicher Kontrolle?
> 
> Der Unterschied liegt darin, dass der Staat ein Gewaltmonopol hat.

Im Fall von Abhoermassnahmen ist der Unterschied deutlich.
Im Fall von NT und CE hat eher Siemens fast ein Gewaltmonopol. 
Wenn ein Politiker wirklich einmal dazu kommt, unabhaengig von Lobbies
einen eigenen Gedanken zu fassen und wagt, ihn zu artikulieren, dann
interessiert das niemanden, abgesehen davon dass die Kassen leer sind.

Beim Staat gibt es theoretisch noch die Moeglichkeit der
oeffentlichen Kontrolle, bei Unternehmen nicht, es sei denn ueber den
Staat. 

> Ueberspitzt formuliert, waere die Toetung eines
hochintelligenten
> Hackers, der zuviel im Kryptobereich arbeitet, durch einen staatlichen
> Geheimdienst als Vollstrecker des Gewaltmonopols in Ordnung und
> die gleiche Toetung durch einen Pay-TV-Konzern oder sonstwen ein
> Verbrechen.

Sehr ueberspitzt.  Die Justiz ist nicht an Weisungen des Geheimdienstes
gebunden.
 
> Es ist ein Unterschied, ob man den Heroldschen Sonnenstaat
> will oder eine freiheitliche Grundordnung.

Ich bezweifle auch, ob die EU-Politiker mit den von ihnen angestrebten
Ueberwachungsmoeglichkeiten gut umgehen koennen.  Aber ich waere eher
daran interessiert, herauszufinden, wie ein solcher guter Umgang aussehen
koennte, und dann eine Position zu beziehen.

Die Aussicht auf eine drastisch erweiterte Privatsphaere fuer alle
moeglichen Geheimorganisationen ist nicht beruhigender als die Aussicht
des Ueberwachungsstaates.

Es gibt keine heiligen Buergerrechte.  Es gibt nur den Unterschied
zwischen einem Gleichgewicht (checks and balances) moeglichst freier
Kraefte und einem Umkippen des Gleichgewichts, wie es in der chinesischen
Geschichte passierte. 

-- 
Hartmut Pilch
http://www.a2e.de/phm/