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Re: Methodenstreit oder METApher?




Angelika:
> > mel@burn.muc.de created on 21.01.1999 at 20:07:09 following message:
> >>Quoting Angelika Goedde (goedde@sonett.asfh-berlin.de):
> (...)
> >> Doch nun zur _technischen_ "Nachvollziehbarkeit": meinst Du damit so etwas, 
> >> wie Luegendetektoren<g>?
> >
> >Nope <lol>.
> >Was ich meine, ist: jemand befragt einige Menschen, behandelt einige
> >Patienten und stellt dann eine Theorie auf. Doch wie gut kann die
> >sein, mit "Forschungssubjekten", die sich einfach weigern, sich 
> >gleichartig zu verhalten? Wie bitteschoen willst Du da irgendeine
> >Form eines Beweises fuehren?
> 
> Da wuerde ich erst einmal nach der Methode gucken und Fragen stellen,
> wie: "Was will die Forscher/in herausfinden? Laesst sich mittels 
> dieser Methode die Hypothese in eine These transformieren?"
> Gegen die oberflaechliche Symptombehandlung, die Du in Deinem 
> Beispiel beschreibst, wuerde ich Heisenberg (Unschaerferelation) 
> und Hegel (Unterscheidung zwischen unmittelbarer Wahrnehmung und 
> Wissenschaft sowie Individuum, Besonderheit und Allgemeinheit) setzen.
> Ich wuerde vor allem dem Widerspruch nachgehen, der als Antithese der 
> These gegenuebersteht...

Recht wattige Erwiderung IMHO. Zum einen: Heisenbergs Unschaerferelation
ist in genau einem physikalisch festgelegten Kontext definiert und da gueltig,
auch wenn niemand sagen kann, *warum* dieses quantenmechanische Phaenomen
existiert. Da laesst sich trefflich und endlos drueber philosophieren. Was
JETZT NICHT zulaessig ist, ist eine Verallgemeinerung auf die makroskopische 
Welt. Vielleicht mag es einen solchen Zusammenhang zwischen mikro- und
makroskopischen Effekten ueber die Quantenmechanik geben, vielleicht auch
nicht. Postulieren, dass dem so ist, um damit die Unmoeglichkeit eines
Beweises von Verhaltensweise komplexer oder sogar lebender Systeme 
herzuleiten, ist unzulaessig und stellt ebenso eine Vernebelung des
Problemkomplexes dar, mit dem sich die Gesellschafts- und Verhaltenswissen-
schaften herumschlagen. Was vorlaeufig beobachtbar ist, ist eine Symmetrie-
brechung zwischen Mikro- und Makrowelt. Das kann durchaus dazu fuehren,
dass etwa die Verhaltensforschung nur noch statistische Aussagen machen
kann zum Verhalten einer grossen Menge von Individuen, vergleichbar dem,
wie die Physik bei Boltzmann- und aehnlichen Statistiken mit mehr oder
weniger idealen Gasen verfaehrt. Dann muss man aber auch genau mit einem
solchen grobkoernigen Werkzeug an ein solches Problem herangehen, und,
etwa wie in einem Plebiszit, Umfragen veranstalten, statt aus einer eh schon
vorselektierten Gruppe einige wenige "gute" Exemplare herauszunehmen und
darauf eine merkwuerdige Hypothese zur Allgemeingueltigkeit hochzujubeln.
Der Punkt dabei ist, dass der allgegenwaertige publish||perish-Zwang
dazu gefuehrt hat, dass genau die Frage "Was will der Forscher herausfinden?"
extrem in den Vordergrund gerueckt ist; durch Abhaengigkeit zum Geldgeber
sogar bis hin zum "Was soll bei der Forschung (fuer eine Antwort) herauskommen?"
Da spielt dann die Transformationsfrage keine Rolle mehr, weil es ueberhaupt
nicht mehr wichtig ist, eine These zu besitzen. Der Auftraggeber gibt sich
schon mit einer plausibel klingenden Hypothese zufrieden, welche er anderweitig
nutzen kann. Natuerwissenschaften sind, wenn man das Oxymoron Anwendungs-
forschung ausklammert, da weniger anfaellig, auch wenn auch dort Faelle von
methodischen Fehlern und sogar Faelschung von Resultaten vorkommen.

> (...) 
> 
> >> >Hat was mit Macht(un)gleichgewicht zu tun. 
> >> 
> >> Sind Maenner und Frauen an Macht sich gleich? 
> >
> >Es ist immer eine Frage, wie gross der Machtunterschied ist.
> >Es wird sehr selten vorkommen, dass zwei (beliebige) Menschen sich
> >an Macht gleich sind. Die Groesse der Differenz ist wichtig...
> 
> Es kommt darauf an, woraus sich Macht ableitet. Das koennen wir imho erst
> klaeren, wenn wir diesbezueglich einen gemeinsamen Begriff davon haben. 
> Wenn ich mit Kindern zu tun habe, versuche ich sie als machtvolle Wesen 
> zu begreifen und sie ernst zu nehmen, d.h. ihnen zuzugestehen, dass sie 
> wissen was sie wollen. Staatspaedagog/innen gehen dagegen so vor, dass sie 
> sagen, dass Kinder gar nicht wissen, was gut fuer sie ist und dass ihnen 
> das durch die Erwachsenen vermittelt werden muss. 

Willensbildung ist ein Lernprozess. Kinder kommen mit einem Satz von
Instinkten auf die Welt, die ihnen das Ueberleben sichern sollen, etwa
bei Tieren findet der Nachwuchs ueblicherweise selbst die Milchzitzen
der Mutter. Eigener Willen und daraus resultierend die Erkenntnis, in
gewisser Weise auch Macht auf die Umgebung zu erhalten, entwickelt sich
erst langsam, und ist sogar ein Prozess, der - ueblicherweise unbewusst
durch Eltern und andere Teile der naeheren Umgebung - beeinflusst wird.
Es ist wiederum eine unzulaessige Verallgemeinerung zu sagen, dass Kinder
von Anfang an wissen, was fuer sie das Beste ist - ebensowenig, wie die
Praemisse erwaehnter StaatspaedagogInnen, dass dem nicht so ist, richtig
ist. Extrempositionen sind nomen est omen extrem.

> >BTW - wir haben eine Gesellschaft, in der Rechte und Pflichten mit
> >Alter korreliert werden. 
> 
> hmmm - hat imho weniger mit dem Alter, sondern mehr mit der 
> Verfuegungsgewalt ueber die Produktionsmittel und den abstrakten 
> gesellschaftlichen Reichtum zu tun. 

NACK. Was haben wir denn jetzt fuer eine Generation von Kindern derjenigen
Menschen, welche mit der Fahne der antiautoritaeren Erziehung auf die
Strasse gegangen sind? Das andere Extrem der nicht sozialisierten Monster,
die so autonom und machtbewusst sind, dass ihre eigene Freiheit grenzenlos
ist. Ein Horrorszenario, Groenemeyers Kinder an die Macht.

> >Damit ist ein Kind nochmal aus einer 
> >anderen Perspektive heraus sowieso an Macht unterlegen. 
> 
> Auch arme Rentner/innen in hohem Alter haben wenig Macht.

Warum? Wenn ich mal wieder meinen Gehaltszettel ansehe, dann sehe ich
mich durchaus qua Zwangs-RV-Abgabe einen ziemlichen Druck einer
machtlosen Gruppe ausgesetzt, und mit Blick auf die Alterspyramide
sollte ich mir eigentlich ueberlegen, mich rechtzeitig auf die Tonga-
Inseln abzusetzen.

> >> >Es geht hier ja nicht um Sex _zwischen_ Kindern. Ganz egal, 
> >> >wie "kindlich" der Erwachsene im Grunde seiner Seele ist, er 
> >> >ist erwachsen. Punkt.
> 
> Woran machst Du ER-wachsen-Sein fest? Ist die Menschheit nicht 
> phylogenetisch in der analsadistischen Phase haengengeblieben?

Entsetzlicherweise muss man bei genauer Untersuchung feststellen, dass 
50% aller Menschen einfach unterdurchschnittlich sind. Woran liegt das?
Sollten wir doch am besten versuchen zu aendern, oder?

Erwachsensein ist keine Einzeleigenschaft, die man abhaken oder nicht
abhaken kann. Das festgenagelte Volljaehrigkeitsalter verfuehrt leider
dazu. Es handelt sich um einen riesigen Komplex von Eigenschaften, die ab
einem bestimmten Alter bei einer grossen Population weitgehend vorhanden
sind. Auf das Individuum bezogen kann es breite Streuungen geben. Es mag
Menschen geben, die mit 50 nicht erwachsen sind, und andere, die es mit
11 oder 12 Jahren bereits sind. Erwachsenwerden ist ein gradueller Prozess.
Leider laesst sich das Ganze kaum durch einen Test entscheiden, abgesehen
davon, dass dann der grosse Aufschrei durch die Massen gehen wuerde, um
ein Vielfaches schlimmer als beim unlaengst diskutierten IMHO harmlosen 
Sehtest fuer Autofahrer ab einem bestimmten Alter.

> >> Wo faengt Sex an und wo hoert er auf? Wenn ein Baby an der Brustwarze
> der 
> >> Mutter saugt, ist das auch sexuell. Nur wird das nicht so gesehen, weil 
> >> das als ein rein oekonomischer Akt der Nahrungsmittelzuteilung<g>
> angesehen 
> >> wird. 
> >
> >Wieso ist das sexuell? 
> 
> Fuer das Baby, das in seiner oralen Phase ist, bedeutet das die gleichzeitige 
> Befriedigung des Hungers/Appetits, der Spass am Lutschen und dem Genuss am
> Koerperkontakt mit der Mutter. 
> Fuer die Mutter (wenn sie sich nicht dagegen sperrt) bedeutet es einen 
> Lustgewinn und Befriedigung, wenn das Baby an ihrer Brustwarze saugt und auch 
> sie geniesst den zaertlichen Koerperkontakt mit ihrem Kind.
> Natuerlich ist dies eine andere sexuelle Beziehung, wie die zwischen zwei
> erwachsenen Menschen, obwohl es auch vorkommt, dass manche Maennchen innig,
> leidenschaftlich und lange an den Brustwarzen der Weibchen saugen...<g>...

Eine Beobachtung bedeutet noch lange nicht einen bijektiven Zusammenhang.
Die Natur hat die staerksten Triebe da entwickelt, wo es um das Ueberleben
des Individuums oder der Population geht. Wenn da unterschiedliche
Dinge auf die gleiche Koerperreaktion abgebildet werden, bedeutet das
noch lange nicht dasselbe. Das Baby saugt an den Nippeln nicht, weil es
Sex so toll findet und nicht darauf verzichten kann, sondern weil es feststellt,
dass die dort erhaeltliche Fluessigkeit einen konkreten anderen koerperlichen
Reiz, das Hungergefuehl, beseitigt. Und das Gefuehl beim Saugen ist verstaerkt,
weil Hunger ein uebergeordnetes Beduerfnis in dieser Situation ist. Irgendwann
lernt das Kind auch ohne den Spass am Lutschen, auf dieses Beduerfnis zu
achten. Wenn Maenner Spass an Brustwarzen haben, dann mag das ein Deja-Vu
an die Kindheit sein, wahrscheinlich aber eher ein Deja-Vu anderer Art, 
naemlich zu der Erkenntnis, dass der Koerper nur eine begrenzte Menge
an Reizreaktionen zur Verfuegung hat, und einige davon aeusserst angenehm 
sind.

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