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Re: Pazifismus oder Gewalt? (was:Re: LINUX-Initiative (fwd)) (fwd)



On Thu, 11 Feb 1999, Angelika Goedde wrote:

> Ein Bekannter von mir hat sich kuerzlich noch Gedanken zur
> Verhinderung des 2. Weltkrieges mittels dem "Tyrannenmord"
> gemacht und meinte zu mir, Hitler und Goebbels haetten 
> zum richtigen Zeitpunkt umgelegt /getoetet werden muessen... 
> [also in etwa Argumente/Strategien, wie sie die RAF vertritt...]... 
> - ich verneinte dies mit dem Argument, dass auch diese Figuren lediglich 
> Charaktermasken des buergerlichen Staates in der Krise waren und dann 
> haetten andere Figuren ihr schmutziges Handwerk uebernommen.

Ich folge der Sicht vom "buergerlichen Staat" als einer Einheit, der das
"andere Deutschland" o.ae. gegenuebersteht, nicht.  Diese Sicht bildete
die Grundlage fuer die (von Stalin festgelegte) KPD-Linie, derzufolge
Hitler zuerst an die Macht kommen muesse.  Sie hinderte 1933 Kommunisten
und Sozialdemokraten daran, breite Buendnisse gegen Hitler zu bauen.  Wenn
ich die sozialdemokratischen Plakate vom Mai (!) 1933 gegen Hitler als
"Vertreter der Bourgeoisie und des Kapitalismus" sehe, muss ich mir an den
Kopf fassen.  Diese SPD-Parteibuerokraten sind mitschuld am
historischen GAU.

Hitler war m.E. tatsaechlich der eigenwillige, selbststaendig denkende,
ruecksichtslose, von politischer Leidenschaft und zuverlaessiger Intuition
geleitete Kaempfer, der aus "Mein Kampf" spricht. Ihn zu unterschaetzen
war der grosse Fehler des Herrn von Papen.  Aber selbst wenn man ihn als
eine "Charaktermaske" auffasst:  Charaktermasken haben ihre Traegheit, sie
erfuellen im historischen Augenblick eine Funktion (z.B. in der "Krise des
buergerlichen Staates"), werden in anderen Situationen aber zu einer Last
dieses Systems.  Hitlers eigenwilliges Denken hat die deutsche Wehrmacht
besonders an der Ostfront vor den Kopf gestossen und dort den Widerstand
geschaffen, der noetig war, um ein Attentat zu wagen.  Dieses Attentat
haette zu einer radikal anderen Politik gefuehrt.  Das kann man in den
Memoiren des damaligen Ostfront-Nachrichtendienstlers und spaeteren
BND-Praesidenten von Gehlen sehr schoen nachlesen.

Die "Tyrannenmord"-Debatte zeigt, wie selbst preussische Soldatenethik
zur Aporie des Pazifismus fuehren kann.  Ausser Kontext gesetzte Maximen
fuehren zu Unsinn.  Gleichzeitig braucht eine Gesellschaft aber einfache
und stark tabuisierte Maximen, an denen sie sich orientieren kann.
 
> Aber da sich in Deiner Mail Militanz/Gewalt und friedlicher Protest
> contraer gegenueberstehen:
> Als Hitler mit oder ohne Pazifismus (den er selbst demagogisch mit
> heraufbeschwor und sich sogar noch 1938 an die Spitze der voelkischen 
> deutschen Friedensbewegung stellte) an der Macht war und die
> nationalsozialistische Barbarei sich immer staerker entfaltete:
> War denn Deiner Auffassung nach das Vorgehen der alliierten Truppen/Roten
> Armee gegen Nazideutschland richtig oder waren die laut Deiner
> pazifistischen Grundhaltung Gewaltverbrecher?

Sehr gute Frage.  
Ich bin auf Waus antwort gespannt.

--
Hartmut Pilch
Foerderverein fuer eine Freie Informationelle Infrastruktur
http://www.ffii.org