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Re: Die Zukunft des Internet-Musikmarktes



On Fri, 19 Mar 1999, Wau Holland wrote:

> ACK. Beim CCC ist eine meiner Verkuerzungen, den Weg vom hedonistischen
> Spieltrieb zur Wissbegier zu foerdern 

Wie sieht das beim CCC aus?

>- als eine Alternative zu dem,
> was ich als (aristokratische?) "Schwarze Paedagogik" kenne.
 
Fuer mich sehen die Alternativen immer so aus wie die alternative
Landesverteidigung: ein sehr hoch gehaengtes Ideal, zu dem das Bekenntnis
leicht aber die Umsetzung schwer faellt.  Das Ergebnis ist dann: gar keine
Verteidigung, bzw gar keine Virtuositaet.  Virtuositaet ist aber ein
Grunderlebnis des Menschseins.  Durch wen die Musik sich nicht frei
ereignen kann, dem fehlt etwas wesentliches.  Aber mache das mal einem
Kind klar! 

In Wirklichkeit wird man immer alle Register von Inspiration bis Noetigung
mit Augenmass ziehen, so gut man kann.  Oder man laesst es eben und nimmt
dann den Kulturverfall bewusst in Kauf, als einen notwendigerweise fuer
den Fortschritt zu entrichtenden Preis. 

> > Ein schoenes Beispiel. Versuch mal, musikalische Ausdrucksweisen auf 
> > Computer-Interfaces anzuwenden. Versuch mal, mit einer Kommandozeile 
> > frei zu improvisieren. Vergiss dafuer fuer einen Moment all Deine 
> > bereits erworbenen Kenntnisse ueber das verwendete System/Programm. 
> > Gib frei erfundene Zeichenketten ein und beobachte das Ergebnis. 
> > Versuche, daraus zu lernen und Dir auf diese Weise Wissen anzueignen. 
> > 
> > Nicht besonders effektiv? Nun, GUIs ermoeglichen ein solches 
> > Improvisieren. Und damit auch einen ganz anderen Begriff von 
> > Virtuositaet. Naemlich einen, der spielerisches Ausprobieren 
> 
> Treffer, versenkt. Insofern ziehe ich meine Argumentation zurueck.
> Ich habe vor zehn Jahren auch gemeint, SW-Monitore seien genug
> und habe die Moeglichkeiten der Farbe unterschaetzt.

M.E. war das ein intelligenter Argumentationsversuch, der voll daneben
traf.  Oder gibt es wirklich eine GUI, die Improvisieren ermoeglicht? 
Jede GUI, die ich bisher gesehen hab, war schlechter als das
Schlaechtermesser des Bao Gong (siehe gestrige Mail).  Ein Computer ist
sogar zum Komponieren kaum brauchbarer, noch weniger als ein Klavier. 
Komponieren ist Ausdenken, jegliches Medium setzt der Fantasie nur
unnuetzen Widerstand entgegen.  Ein echter Komponist braucht keine
Kruecken zum Komponieren.  Komponiervirtuositaet ist Hirnvirtuositaet. 

Fuer die Notation des Komponierergebnisses ist wiederum ein hierarchisches
System wie die 5-Linien-Notation oder eine lineare Sprachsyntax bestens
geeignet.  Der Komponist muss die Notation wie eine Verlaengerung seiner
Gedanken muttersprachlich beherrschen.  Jegliche Interaktivitaet kann
dabei nur ein Hindernis sein.  Eben so als ob ich jedesmal, wenn ich ein
Akkusativobjekt ausspreche ich erst eine GUI-Frage mit Mausklick
beantworten muesste. 

Soviel zum Komponieren.  Zum Interpetieren ist das beste, was, soweit ich
sehen kann, Computer bisher produziert haben, sind MIDI-Verstaerker, die
im Hintergrund arbeiten.  Das eigentliche Musizieren findet nach wie vor
an einer Klaviertastatur statt, die traditionelle Virtuositaet erfordert
und im Idealfall den Computer nur dann benoetigt, wenn bestimmte Dateien
erzeugt werden sollen oder die Nachbarn ueber zu lautes Klimpern klagen.

Fazit: MIDI-Fummler sind keine modernen Virtuosen. Mit GUIs lassen sich
weder Musikinstrumente noch Notationen auch nur annaehernd sinnvoll
simulieren.

--
Hartmut Pilch
http://www.ffii.org