Re: Welt(un)ordnung

[Wau Holland <wau@ccc.de>]

On Wed, Apr 07, 1999 at 07:18:52PM +0200, Mel Angele wrote:
...
> > Qualitaet kriegt, hat letzten Freitag (evtl Samstag, weiss nicht mehr)
> > eine Meldung (auf deutsch) gesendet, nach der Nato-Flieger ein
> > Krankenhaus niedergebomt haben, in dem sich zu dem Zeitpunkt ueber
> > dreihundert Kreissenden (O-Ton) befunden haben sollen. Ich hab in der Nacht
> 
> war da nicht irgendwo ein authentischer(?) Brief/E-Mail einer Jugoslawin,
> deren Vater in diesem Krankenhaus arbeitet, die berichtete, dass *200m* 
> daneben die Bomben hochgingen und was fuer eine emotionale Katastrophe
> das fuer die Leute war? Von Toten war nicht die Schreibe (abgesehen davon,
> dass das so schon schlimm genug ist...)...

Das entspricht meiner Informationslage.
Das Abwaegen beim Handeln ist nicht trivial.
Hilfreich ist dabei das Delta von Zensur.
Ein Freund kopierte mir mal auf meinen Wunsch hin nur die rund
5 Minuten "Differenz" zwischen ROBOCOP englisch und ROBOCOP deutsch,
geschnitten. Jeweils erst die "lange" Originalszene und dann die
geschnittene deutsche Szene. In einer Szene will einer eine Frau
vergewaltigen und ROBOCOP verhindert das, indem er mit Hightech
und Roentgenblick zwischen den Beinen der Frau durch ihr Kleid
auf die Eier des dahinter stehenden tatvorbereitenden Taeters
zielt und trifft. Die entschaerfte deutsche Fassung enthaelt noch
den entsetzten Blick der Frau auf das Loch in ihrem Kleid zwischen
ihren Beinen, aber nicht mehr den "genuesslich-gerechten" Schwenk der
Kamera ueber die zu blutigen Klumpen zerfetzte potentielle maennliche
"Tatwaffe" zwischen seinen Beinen.

Wenn ich diese "Rambo-schuetzt-Bambi-vor-Rambo"-Szene uebertrage
auf obigen Vorfall, schuetzen deutsche Sender die Zuschauer vor
dem Anblick entsetzter Muetter mit Frischgeborenen und jugoslawische
Sender lassen die getroffenen Militaereinrichtungen weg.

Da der Gefluegeladjutant Joschka nun auch  zum Anhaenger von
"Wo gehobelt wird, da fallen Spaene" wurde, bleibt fuer mich die
Frage, nach wieviel Hobelei vom Brett nur noch ein Span bleibt.

Das Ereignis (ErAeugnis) einer Geburt, der Anblick einer Frucht von
Liebe in einem Umfeld des Hasses (und sei es "gerechter" Hass) ist
eine Gratwanderung auf Hobelspaenen. Das Rad des Lebens rollt weiter,
auch unter NATO-Bomben. "Friendly fire" war bei ROBOCOP die Ursache
fuer das Loch im Kleid, zwischen den Beinen. Es ist leichter zu
stopfen als die seelischen Wunden, die die NATO-Bomben anrichten.

Uebrigens ignorieren viele, dass es vor den UN den Voelkerbund gab.
Dieser Begriff und diese Komplikationen fehlen mir in der Debatte.
Es ist wohl unangenehm, sich daran zu erinnern.

Im Alten Testament war irgendeine Geschichte, dass man eine
Stadt nicht wegsprengt, wenn auch nur ein Gerechter drin lebt.
Aber verbunden war das irgendwie mit dem Verbot, bei der
"Aufraeumarbeit" zuzusehen - sonst Salzsaeule.

Es gibt IMO erschreckend viele "Salzsaeulenheilige" in den
(deutschen) Medien, die Zuschauer "schuetzen" statt zu berichten.

Mich interessiert, was Nelson Mandela zur Lage meint.
Nelson hat lange genug im Knast gehockt unter einem Regime, das
nicht nur vom BAYERNKURIER (nun am Rande des Bankrottes) finanziert
wurde, sondern von deutschen Regierungen. Und Nelson hat nach seiner
Freilassung keinen Hass auf (zB) seinen Gefaengniswaerter gezeigt,
sondern Verstaendnis. das ist etwas anderes als Hass und Zerstoerung
wie Bomben neben einem Kreiss-Saal.

Ein Freund, der lange in Suedafrika lebte, schilderte mir vor ein paar
Jahren, wie er erlebte, dass einer eine "Halskrause" in Form eines
Autoreifen um den Hals bekam, das angezuendet wurde und er - im Kreis
der Zuschauer - so starb. Sowas geschah nicht einfach auf "Anordnung"
des ANC, sondern im sozialen Umfeld, von diesem gebilligt.
Wer beide Seiten zu so etwas befragte, hatte das Problem, selbst
entscheiden zu koennen.

Solche Urteile und Verbrennungen geschahen ohne "Weltpolizist" USA.

Ich glaube nicht an die einfachen Antworten.
PKK und UCK sind keine vegetarischen Pazifistengruppen.
Aber ihr Vorgehen kann ich eher verstehen als NATO-Bomben.
Und die PKK gilt fuer Joschka Fischer als kriminell.

"Der Brandstifter wird zum Loeschen gebraucht" heisst eine
Ueberschrift auf "Themen des tages" der SZ vom 08.04.1999 und der
Untertitel lautet:
"Viele westliche Politiker wuerden Milosevic gern verhaften lassen - 
statt dessen werden sie mit ihm verhandeln muessen".

Der Vater eines in Deutschland getoeteten Hackers aus der Region
meinte, er verstehe nicht, wieso man sich hier so ueber Milosevic
echauffiere, denn es gaebe dort weit schlimmere Nationalisten.

wau