[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

Re: Urheberrecht: Ganz und gar boese?



Moin,

>Schade eigentlich, denn ich bin nach wie vor der Meinung, dass das 
>Urheberrecht eine positive gesellschaftliche Funktion haben kann bzw. auch 
>hat. Die Notwendigkeit des Urheberrechts zu leugnen klingt so schoen 
>idealistisch, wie die oekonomische Seite der Kunst zu leugnen, und es ist 
>meiner Meinung nach genauso falsch. Public Enemy schimpfen werbewirksam ein 
>bisschen drauf, aber ihre neue Platte verschenken sie nicht, sondern 
>verkaufen sie. Barlow schimpft ein bisschen drauf, aber als ich ihn mal 
>gesehen habe, wirkte er eigentlich eher wie ein smarter Yuppie, der sich 
>bei der IT-Industrie beliebt machen will, indem er versucht, die stoerende 
>Einflussnahme auf die Netzgestaltung durch die Branche der Inhaltsanbieter 
>abzuwehren, als wie ein idealistischer Revolutionaer.

Das Problem am Urheberecht ist deren Deckung. Ist schon die Figur,
dass man Land oder Fabriken besitzen koenne, aus humanitaerer
Perspektive hoechst problematisch (weil das einem Eigentuemer auch
Verfuegungsgewalt ueber das gibt, was sich auf dem Land/ in der
Fabrik befindet - und seien dies Menschen), so ist die Figur, dass
man sich eine neue Idee oder auch nur eine individuelle Kompilation
vorhandener Ideen sichern koenne, nicht minder problematisch, weil
dieser Anspruch nur durch eine kausale Gewalttaetigkeit begruendet
werden kann: Jede Idee basiert auf einer nicht explizierbaren Anzahl
vorausliegender Ideen und ist in einem gewissen Sinne in diesen
vorausliegenden Ideen auch schon ein bischen enthalten. Bis hier war
es konventionell, ich bin originell. Klar, sozial sind fuer solche
Eigentums-Ansprueche Regeln gefunden, die auch funktionieren. Doch
ich vermute, dass die bislang gefundenen Regeln, wer wie welchen
Anspruch auf Eigentum stellen kann, angesichts der enormen
konzeptionellen und praktischen Probleme im Bereich des Urheberrechts
erneut auf die Probe gestellt werden. Ich vermute, dass diejenige
Nationaloekonomie einen ungeheuren Produktivitaetsschub erfahren
wird, die als erste auf eine allgemeine Grundversorgung umstellt, so
dass es nicht mehr existentiell notwendig ist, eine gute Idee vor
allem vermarkten zu koennen. Ein Urheberrecht, das auf den Einzelnen
(und sei es auf die Firma) zurechnen muss, verharrt auf einem bloss
handwerklichen Niveau, was fuer die Entwicklung einer
Industriegesellschaft nur kontraproduktiv sein kann. (Wie immer kann
man hier auf die Entwicklung von Linux verweisen als Beispiel dafuer,
wie produktiv der andere Weg sein kann.) Die derzeitige Debatte um
das Urheberrecht wird sich noch eine zeitlang auf diesem niedrigen
Niveau bewegen, und dadurch das Innovations-Dilemma aus Geheimhalten
und Preisgeben (das jeder Patentantragsteller kennt) noch weiter
zuspitzen.

>Die gegenwaertigen Probleme kommen wohl auch daher, dass die Firmen, die 
>Urheberrechte vermarkten, die Problematik noch nicht durchdacht haben: Sie 
>denken, dass Lizenzvertraege Papier sind, das man nur im Notfall liest, 
>wenn irgendwas schiefgelaufen ist. Deshalb trennen sie die 
>Vertragsgestaltung von der uebrigen Marketingstrategie und machen sich 
>keine Gedanken darueber, wieviel vom geistigen Eigentum sinnvollerweise in 
>die Public Domain sollte und was die Kunden sinnvollerweise mit den Werken 
>machen duerfen sollten, sondern behalten sich "sicherheitshalber" alle 
>Rechte vor. Das fuehrt zu einem weltfremden und ultrarigiden Urheberrecht, 

Ja sicher. Was heisst denn hier "sinnvoll"? Sinnvoll fuer eine Firma
ist eine optimale eigene Vermarktung und eine optimale eigene 
Machtsicherung. An wen adressiert Du "sollte"?

>das nicht gestaltet, sondern nur Risiken verteilt. Recht sollte nicht 
>Risikovorsorge fuer den Extremfall vor Gericht sein, sondern die 
>alltaegliche Gestaltung der sozialen Realitaet. Es sollte deshalb nicht nur 
>in den Haenden von Juristen monopolisiert sein.

Dass das Recht nach einem langen historischen Prozess, in dem das
nicht der Fall war, nun endlich vor allem in den Haenden von
Experten, den Juristen, liegt, dafuer bin ich ueberaus dankbar. Die
Politik kann Gesetze formulieren und installieren - jedoch immer nur
nach Rechtsgrundsaetzen des positiven Rechts, weshalb es insofern
monopolisiert ist. Sollte Recht darueberhinaus ein bischen kaufbar
sein? Leider ist es das an den Raendern. Sollte es den prinzipiell
unendlichen wissenschaftlichen Diskursen, die den Zweifel als
Operator nutzen, ausgesetzt sein? Sollte die billige Moral der
Massenmedien Zugriff haben? Sicher nicht.

Gruss, Martin
-- 
Martin Rost - http://www.netuse.de/~maro/ - Germany, Kiel