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Re: Urheberrecht: Ganz und gar boese?




Solch ein Thema entwickelt sich schnell und leicht zu einem 
Endlosthread, ohne dass man vorankommt. Deshalb von meiner Seite nur 
eine weitere Runde.

>>Ein Urheberrecht, das auf den Einzelnen
>>(und sei es auf die Firma) zurechnen muss, verharrt auf einem bloss
>>handwerklichen Niveau, was fuer die Entwicklung einer
>>Industriegesellschaft nur kontraproduktiv sein kann. (Wie immer kann
>>man hier auf die Entwicklung von Linux verweisen als Beispiel dafuer,
>>wie produktiv der andere Weg sein kann.)
>
>Linux funktioniert, weil Red Hat usw. vom Service leben. Die meisten Leute, 
>die Linux geschaffen haben, leben davon, dass sie weisungsgebundene Arbeit 
>fuer die Leute verrichten, die sie bezahlen koennen. Kuenstler koennen 

Ja, das tun sie, weil es anders derzeit auch nicht geht. Aber sie
kooperierten anfangs um der Sache willen, allenfalls flankiert von
Reputationsgeilheit, nicht aber um des Geldvierdienenmuessens.
Letzteres musste zumindest anfangs den Leuten scheissegal sein. Dass
schon seit langem die Kommerzialisierung von Linux eingesetzt hat -
alles andere waere unter den gegebenen Umstaenden ohnehin ein Wunder
-, ist geschenkt.

>sowas nicht. Ich glaube, dass derjenige, der kreative Arbeit als 
>Programmierer, Werber, Kuenstler usw. leistet, urheberrechtlichen Schutz 
>braucht, um seine Arbeit kommerziell vermarkten zu koennen. Linux kommt 

Noch mal mein Argument: Urheberrechtlichen Schutz zu beanspruchen ist
nur als Gewaltakt denkbar, indem diejenigen ausgebeutet werden, die
diesen Schutz nicht beanspruchen (koennen z.B. weil sie laengst tot
sind). Dieser Gewaltakt ist gut getarnt. Du koenntest fuer jeden
eigenen originellen Gedanken gar nicht die faelligen Lizenzgebuehren
bezahlen (man denke allein an die Erfindung der Null), wenn sich
jeder derart rational verhielte. (Im uebrigen geht es nicht um
Gedanken, die sind frei, sondern um Kommunikationen.) Eine Freundin
von mir, Webmeisterin, beklagte, wie hemmungslos die Konkurrenten
Ihre Ideen auf Ausstellungen klauten.... nachdem sie mir zuvor ihre
neueste Federboa gezeigt hatte, deren Anregung sie von einer
Ausstellung mitnahm. Diese Art des doch recht gering aufloesenden
Reflexionsvermoegens ist vermutlich selbst noch typisch fuer eine
Handwerker-Umgebung.

>Aus Laendern mit niedrigem urheberrechtlichen Schutzniveau (China, Indien) 
>kommen meines Wissens keine eigenstaendigen Softwarefirmen bzw. -produkte 
>im nennenswerten Umfang. Vgl. den Artikel aus dem Tagesspiegel, der eben 
>ueber die Liste ging: Die einheimischen chinesischen Softwareproduzenten 
>brauchen offenbar saatliche Subventionen im erheblichen Ausmass; sie werden 
>damit zu abhaengigen Dienstleistern fuer den Staat. Der fehlende Schutz 

Obwohl ich keine Ahnung habe, was dort wie programmiert wird... ich
votierte nicht fuer Loesungen, wie sie diese ungleich geringer 
industrialisierten Laender entwickelt haben. 

>...
>spannender. Deshalb glaube ich, dass nicht die Abschaffung des 
>Urheberrechts, sondern die richtige Balance zwischen Kontrolle und Freiheit 
>innovationsfoerdernd ist.

Ich sprach nicht von einem Abschaffen des Urheberrechts. Ich sprach
davon, dass die individuelle Zurechnung von Urheberschaft, und dem
daraus ruehrenden Eigentumsanspruch, zu einem Problem geworden ist,
das typisch fuer jede industrielle Produktionsweise ist. BTW: Wie
lauten die Namen derjenigen, die Deinen Schuh hergestellt haben? Ich
denke, es wird ein Urheberrecht entstehen muessen, das mehr
kollektive Elemente der Zurechnung, womoeglich den Wegfall von
individueller Zurechnung ueberhaupt?, enthalten muss. 

>Man kann natuerlich sagen, Eigentum ist boese, also ist Urheberrecht boese. 

Boese ist eine moralische, keine analytische Kategorie, insofern
argumentativ hier belangslos.

>Von diesem grundsaetzlichen Standpunkt aus kann man es kritisieren, wobei 
>die Alternativen utopisch-schwammig bleiben, und von den Leuten, die sie 
>vertreten, meist selbst nicht gelebt werden. Solange es materielles 
>Eigentum gibt, braucht man Urheberrecht, um geistig-produktive Leistung in 
>materiell-produktive Leistung umrechnen zu koennen und so die geistig 
>Produktiven an der materiellen Produktion zu beteiligen. Ausserdem hat das 
>Urheberrecht nicht nur materielle, sondern auch ideelle Komponenten wie z. 
>B. das Recht des Urhebers auf Anerkennung seiner Autorenschaft.

Eben das ist in Handwerksdimensionen gedacht. Wen interessiert, wer
die Tuer Deines Autos eingesetzt hat?

>>Jede Idee basiert auf einer nicht explizierbaren Anzahl
>>vorausliegender Ideen und ist in einem gewissen Sinne in diesen
>>vorausliegenden Ideen auch schon ein bischen enthalten.
>
>Ja, aber nur ein bisschen. Dem traegt das Urheberrecht z. B. durch freie 
>Benutzung, Schutzfristen usw. uebrigens auch Rechnung. Und die meisten 
>vorherigen Ideen unserer Kultur- und Techniktradition wurden teilweise 
>durch kommerzielle Chancen stimuliert, die das Urheberrecht eroeffnet. Zu 
>sagen, dass jeder Kuenstler nur noch als Dienstleister fuer Reiche oder aus 
>rein idealistischen Gruenden taetig sein soll, finde ich - anders als z. B. 
>Barlow -eine eher spiessige Vorstellung. Die oekonomische Seite von Kunst 
>wegzuleugnen kommt mir wie ein realitaetsferner moralischer Imperativ vor: 
>Alle Menschen sollen nur noch gut sein und kein bisschen egoistisch.

Diesen ideologischen Quark zum Ende ignoriere ich mal grosszuegig: Ja
genau, es geht um die Befreiung u.a. der Kuenstler und Kreativen. Und
es ist genau die strittige Frage, ob dies eher durch Fortschreiben
der handwerklichen Traditionen gelingen kann oder durch Umsetzung
dessen, was unter alsbald voll-industrialisierten Bedingungen (die
wir noch nicht haben) naheliegt. Ich behaupte nicht, dass ich in
meiner Problemanalyse sicher bin, wie koennte ich, ich sehe nur, dass
all die im 19. Jahrhundert im Zuge der Industriealisierung
aufgeworfenen Konfliktthemen zum Thema "Eigentum" wieder en vogue
sind oder vor der Tuere stehen. (Als eine (Interims-?)Loesung zur
Regelung von Verwertungsrechten a la VG-Wort kann ich mir uebrigens
vorstellen, dass sich Internet-Paeckchen anhand von Content-Tags
besteuern liessen.)

>>Dass das Recht nach einem langen historischen Prozess, in dem das
>>nicht der Fall war, nun endlich vor allem in den Haenden von
>>Experten, den Juristen, liegt, dafuer bin ich ueberaus dankbar.
>
>Ich meine nicht, dass das gesunde Volksempfinden die Gesetze ersetzen 
>sollte. Ich meine, dass das Recht weniger wissenschaftlich und mehr 

Ich habe auch als Demokrat meine Zweifel daran, ob das "gesunde
Volksempfinden" nur akzeptiert hat, dass die Erde wirklich eine Kugel
ist. Ich bin ueberaus dankbar fuer die Traegheit des Rechtssystems,
dass dieses trotz des Angewiesenseins auf Oeffentlichkeit (und sei
diese durch Politik vermittelt) und der Omnipraesenz von
Kinderschaendern in den Massenmedien, nicht anfaengt, fuer gewisse
Faelle eben doch die Todesstrafe zu erwaegen.

>pragmatisch sein sollte. Ich persoenlich finde es immer wieder schade, dass 
>so eine grosse Kluft zwischen den realen gesellschaftlichen Prozessen und 
>dem Weltbild der juristischen Dogmatik ist. Man sieht beispielsweise sehr 
>schoen, wie der Trend Internet erst mit 2-3 Jahren Verspaetung in der 
>juristischen Diskussion angekommen war.

Ja, diese Kluft sehe ich auch - aber nur im spezifischen Fall des
Verhaeltnisses zwischen dem Internet als gesellschaftlichem
Universalkommunikationsmedium und dem Rechtssystem. Das Rechtssystem
muss sich ebenfalls industrialisieren (sprich: Richter und
Rechtsanwaelte muessen grosstechnisch-maschinell gestuetzt ihre
spezifischen Kommunikationen verrichten), um nicht den
gesellschaftlichen Differenzierungen hoffnungslos hinterherzuhinken.

>Meiner Meinung ist Recht niemals objektiv richtig, sondern immer ein 
>subjektiver Gestaltungsversuch von einer bestimmten Position innerhalb der 
>Gesellschaft aus und man sollte als Jurist ruhig sagen, von welcher 
>Position aus man wertet, anstatt eine scheinbar-uebergeordnete-objektive 
>Warte zu beziehen. Jura ist zwar eine Wissenschaft, aber eine 
>Geisteswissenschaft.

Saemtliche Basis-Wissenschaften, die bis heute ueberlebt haben, haben
die "autologische Wende" spaetestens zu Anfang des 20. Jahrhunderts
durchgemacht (Ausnahme vielleicht: Theologie). Das heisst, sie
gruenden in ihrer Dogmatik und Objektivitaet in sich selbst. Die
Referenz auf das andere, auf ihren spezifischen Gegenstandsbereich,
koennen sie nur im Durchgang durch die dadurch ausgespannte
Adressierungskomplexitaet nehmen (tollstes Beispiel: Mathematik). Der
Jurist mag seine Positionen haben wie jeder andere Buerger,
eingespeist in den wissenschaftlich und pragmatischen Rechtsdiskurs
entsteht eine uebergeordnete Rechtsobjektivitaet infolge der
Relativierungen entlang der Rechtsdogmatik. Solange die Wirklichkeit
nicht aufschreit, wenn ein Richter Unsinn verzapft
(Muenchner-CompuServe-Urteil), kann allerdings diese Objektivitaet
nicht greifen. Deshalb ist Recht auf Oeffentlichkeit als Stoergroesse
angewiesen.

>Bin aber gerne bereit, mich von der Sinnlosigkeit des Urheberrechts 
>ueberzeugen zu lassen, da es ja durchaus auch einige Argumente dafuer gibt 
>und an einer Diskussion ueber das Thema sehr interessiert, deshalb danke 
>fuer die Muehe der Replik.

Nein nein, Urheberrecht ist doch nicht sinnlos, ganz im Gegenteil. Es
geht darum, wie dieses gestaltet ist.

Gruss, Martin
-- 
Martin Rost - http://www.netuse.de/~maro/ - Germany, Kiel