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Re: Urheberrecht: Ganz und gar boese?



On Thu, May 20, 1999 at 10:22:12PM +0200, Wau Holland wrote:
> On Wed, May 12, 1999 at 02:50:19PM +0200, Martin Rost wrote:
> ...
> > Noch mal mein Argument: Urheberrechtlichen Schutz zu beanspruchen ist
> > nur als Gewaltakt denkbar, indem diejenigen ausgebeutet werden, die
> > diesen Schutz nicht beanspruchen (koennen z.B. weil sie laengst tot
> 
> NACK zu "nur als Gewaltakt".
> GNU heisst deshalb GNU is Not Unix, um den "ueblichen" o.a. Gewaltakt
> abzuwehren. Genau deshalb ist Dein "nur" im o.a. Kontext grunzfalsch.
> 
> Fuer mich kam die Erleuchtung von Rigo (TM), der mir erklaerte, dass
> GNU GPL _ein_ (rpt: ein) Versuch sei, die germanische geistige Allmende
> der freien Geister mit den Mitteln des roemischen Rechts zu wahren
> (rpt: wahren).

Die GNU GPL stellt eine andere Art von Gewaltakt dar; sie masst sich an,
bereits bei minimalen Uebernahmen von GPL'tem-Gedankengut (sprich Code) 
ueber den Status der fremden Gedanken zu entscheiden. Es gab lange Debatten
darueber, ob etwa ein Programm, welches z.B. auch nur eine funktion der
GNU-libc dazulinkt, oder ein aus einer originalen fremden YACC-Grammatik
generierter Bison-Parser, bereits GPL-verseucht ist. Der daraus resultierende
Hack war die Library-GPL, welche diesen indirekten Gewaltakt abschwaecht.
Dennoch liegt nach wie vor der GPL, schlimmer noch als jeglichem klassischen 
Copyright, die Ausuebung eines Eigentumszwangs zugrunde, und zwar sogar
bezogen auf Gedankengut in Form von Algorithmen. GPL zwingt einen Nutzer
zu einem bestimmten Verhalten im Sinne des Codeowners, was andere Nutzungs-
formen wie etwa Kauf oder Miete von Gegenstaenden oder auch Nutzung von
Schrifttum weit uebersteigt. Darin steckt IMHO die Verlogenheit der
"Free Software" i.S. von GPL. Ich vergleiche dieses stets mit dem BSD/MIT-
Copyright (BSD = FreeBSD/NetBSD/OpenBSD, MIT = X Window System), welches
tatsaechlich "free" ist, da es Nutzern lediglich auferlegt, korrekt die
"Credits" anzugeben, aber ansonsten beliebige Aenderungs- oder Vermarktungs-
freiheiten erlaubt (wobei die rechtliche Haftung dann bei dem liegt, der
den Code nimmt und veraendert oder verpackt). "Open Source" bedeutet
wesentlich mehr als einfach nur "komplett mit *.c und *.h".
Wuerden wir ein generelles BSD/MIT-Copyright auch fuer Schrift- und Bildwerke
haben, waere der gesamte Vermarktungswahnsinn vom Tisch. 

[...]
> Und Lizenzgebuehren fuer e=mc(Quadrat) gibt es nicht, weil es
> einen Unterschied gibt zwischen Erfindung und Entdeckung.
> Dass insbesondere kapitalkraeftige Kreise versuchen, diesen
> Unterschied zu verwischen, ist ein wichtiges Thema.
> Der Unterschied ist nicht immer zweifelsfrei aufloesbar, aber
> sehr wohl kommunizierbar - als strittige Fragensammlungen, die
> Anregungen gibt fuer die Problemlagen.

Gerade bei der Differenzierung von Erfindung und Entdeckung ist ein
schwieriges Problem verbunden. e=mc^2 ist eine Eigenschaft unseres
Universums und Einstein hat diesen Zusammenhang entdeckt. Soweit einfach.
Wuerdest Du aber andererseits Shakespeares Werke oder Beethovens Musik
als Entdeckung oder als Erfindung betrachten? Wenn du nach Borges' Babel-
bibliotheks-Metapher gehen wuerdest, dann waren die Toene und Worte kon-
zeptionell laengst vorhanden, und die Leistung dieser Kuenstler bestand
"lediglich" darin, sie in dieser Welt zu entdecken. Es gibt im Schaltungs-
entwurf Forschung, bei der Versucht wird, eine "optimale" Schaltung fuer
eine bestimmte Aufgabe evolutionaer entstehen zu lassen (indem man quasi
an FPGA-Parametern dreht), scherzhaftes Motto: wir zuechten uns einen
Pentium. Dies ist ein Verfahren, nicht unaehnlich den klassischen genetischen
Algorithmen. Die "lebensunfaehigen" Chips werden ausselektiert wie die
nicht reproduktionsfaehigen Molekuele in der Ursuppe. Von Goethe weiss man,
dass er am Faust ungeheuer viel herumgefeilt und formuliert hat (vgl.
Urfaust mit der bekannten Geschichte); darueber hinaus ist die Fauststory
schon viel laenger als Wandersage bekannt, bevor Goethe sie aufgeschrieben
und erweitert hat. Also ist Goethe deswegen ein Plagiator? Njet. Er hat 
einen Gedanken aufgegriffen - entdeckt, nicht erfunden - der bereits in 
der Luft lag. Dasselbe gilt fuer viele sogenannte Erfindungen. Da haben 
in den USA zwei Brueder Anfang des Jahrhunderts ein Flugzeug gebastelt; 
parallel macht in Deutschland ein Mann Flugversuche. Beide partizipieren 
aber von einem Gedanken eines Herrn da Vinci, welcher bereits vor Jahr-
hunderten Fluggeraete und sogar das Helikopter-Prinzip erdacht hat. Er 
steht gedanklich auf den Fuessen des Daedalus-Epos und der Vielzahl von
menschenaehnlichen Chimaeren mit Vogelfluegeln (z.B. auch Engel!).
B-A-C-H ist eine wohlklingende Tonfolge, mit der ein Spieler gleichen
Namens herumexperimentiert hat; er hat spielerisch diese Folge entdeckt.
Vorhanden war sie immer schon; sein Verdienst war es, sie zur richtigen
Zeit im richtigen historischen Kontext zu notieren. Heute haette er wohl
keine Chance mehr damit in den Top-100-Charts; witzigerweise aber findet sich
das entdeckte Pattern auch in heutiger zeitgenoessischer Musik wieder, ohne
dass es auch nur dem Komponisten oder den Zuhoerern besonders auffaellt.

> ...
> > denke, es wird ein Urheberrecht entstehen muessen, das mehr
> > kollektive Elemente der Zurechnung, womoeglich den Wegfall von
> > individueller Zurechnung ueberhaupt?, enthalten muss. 
> 
> Mir ist das Prinzip "name the source" wichtiger.

Das ist das wesentliche bei wissenschaftlichen Publikationen. Es ist ein
schlimmerer Faux-Pas, den Vor-Denkern, auf denen man aufbaut, keine Credits
in den References zu geben, als selbst Bloedsinn zu schreiben. Letzterer
faellt im wissenschaftlichen Diskurs auf, oder wird anderweitig geeignet
verarbeitet.

> Wer "credits" weglaesst oder wer - wie auf dem Chaos Communication
> Congress 1998 - waehrend der "credits" beim Abspann eines Filmes
> bereits aufsteht und rausrennt, der hat es nicht begriffen.

Das Abschnibbeln von Nachspaennen, um mehr Reklamezeit zu haben, hat sich
seit ein paar Jahren im Fernsehen breitgemacht. Das ist Kommerzdenken.
Wer rausrennt, ist ein Kind unserer Zeit. Er hat es nicht begriffen, oder
es hat ihn niemand darauf aufmerksam gemacht, was das soll.

[...]
> Btw. ist mir sehr wohl bekannt, dass insbesondere bei US-Filmen die
> "credits" oft auch Luegen enthalten, weil aufgrund (boese verkuerzt)
> von 630-DM-Regelungen die wirklich bedeutsamen Menschen verschwiegen
> werden muessen.

Das ist ein Null-Argument. Wenn der vierte Gaffer-Tape-Kleber nicht im
Abspann genannt wird, sagt dies nichts ueber seinen Anteil am Film
aus, noch ueber den tatsaechlichen Grund, warum er da nicht steht. Auch
Statisten auf den Tribuenen bei Ben Hurs Wagenrennen sind unerlaesslich
fuer die Wirkung des Films. Die Credits als solche sind das wichtige,
nicht die Praezision bis zum i-Punkt.

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