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Re: [FYI] Kennzeichen D: Neonazis dringen vor im Internet (fwd)



Thorsten Meyer schrieb:

>...
>nach buchdruck und alphabetisierung wurde europa von einer welle
>pornografischer literatur überrollt (auch kinderpornografie). und
>goethes und seiner zeitgenossen liebesromane (werther) sollten verboten
>werden (und wurden eingestampft!), weil sie männer zum selbstmord und
>frauen zur unzucht anregen! (das erinnert doch irgendwie an littleton
>und die webseiten/computerspiele, oder ?) - das bild des mordenden/sich
>erschießenden kerls und der lesenden frau mit der einen hand im schoß
>(genau) war ein typisches vorurteil, wie der lüstling/nazi vor dem pc.
>(das leiselesende, vor sich hinträumende fraulein dürfte ein wichtiger
>schritt zu imaginären welten und vr sein.)

Ganz wunderbar, so denke ich auch. Nach dem versunkenen
Buergerfraulein setzte dann das massenhafte Lesen von notwendig
billigen Buechern (sprich: Die Entwicklung von VR fuer alle) mit der
Entwicklung der Reiselektuere insbesondere fuer Bahnreisen ein.
(Siehe: Schivelbusch, Wolfgang, 1977: Geschichte der Eisenbahnreise -
Zur Industrialisierung von Raum und Zeit im 19. Jahrhundert, 1989,
Frankfurt am Main: Fischer). Auch hier laesst sich somit ein
transnationales grosstechnisches System analog dem Internet
ausmachen, welches die einmal eingeschlagene Richtung einer allgemein
eingefuehrten Alphabetisierung mit ihren von den Zeitgenossen als
problematisch eingestuften Folgen unumkehrbar festschrieb.

Aufklaerung war gleichbedeutend mit einer Explosion an spezifischen,
ausdifferenzierten Kommunikationen. Sobald etwas nicht mehr einfach
ist was es ist, sondern irritierenderweise zusaetzlich kommunikativ
zugaenglich wird, kann zu jedem Satz, an den mit einem weiteren Satz
angeschlossen wird, ein Ja oder Nein gesagt werden. Und es steht
ausser fuer Fundamentalisten dann nicht laenger von vornherein fest,
was dabei als vernuenftig zu gelten hat. Dadurch handelt sich eine
Gesellschaft ein hohes Mass an Kontingenz ein, gerade auch was den
Anschluss weiterer Saetze angeht. Sie entsteigt den Fundamentalismen
um den Preis, gleich einen ganzen Zoo an Gesellschafts-Paradoxien mit
solchen magischen Formeln wie "invisible hand", "oeffentlicher
Meinung" und "scientific community" im Zaum halten zu muessen. Die
Folge? Risiken werden als drastisch zunehmend wahrgenommen, nichts
ist mehr selbstverstaendlich (wie absurd soll es denn noch kommen:
gekruemmte Raumzeit!) - und es ist die Frage, welche zumindest
leidlich ueberzeugenden Formen zur Bewaeltigung von Risiken gefunden
werden. Spezifisch oekonomische Antwort hier: Man bezahlt eine
Versicherungspraemie. Politische Antwort: Man unterwirft einer
demokratischen Abstimmung. Das Internet als Medium zur nunmehr
unhintergehbaren Vollendung der industriellen Revolution bringt all
die schon einmal gefundenen Formen fuer gesellschaftliche Konflikte,
wie etwa die nach der Autonomie des Einzelnen bei gleichzeitiger
Eingebundenheit in das Ganze, von Neuem auf den Tisch und testet, ob
die bereits gefundenen Formen tatsaechlich ihre volle Reife erlangt
haben oder zu ersetzen sind. (Vieles weist darauf hin, dass sie
zunaechst einmal noch nicht ihre volle Reife erreicht haben und noch
nicht ueberall angewendet werden, allen wenn man nur, wie hier
vorgeschlagen, an eine moegliche Demokratiserung von Patentverfahren
denkt, um von solch obskuren Beurteilungsgroessen wie Erfindungshoehe
wegzukommen, die einige wenige Experten einfach festlegen.)

Gruss, Martin
-- 
Martin Rost - http://www.netuse.de/~maro/ - Germany, Kiel