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Re: Totgesagte leben länger: Perkeo.




Thomas Roessler schrieb:

> Für welche Definition von "einig"?  Hältst Du es nicht für möglich,
> daß einige der dort Anwesenden schlicht keine Lust mehr hatten, mit
> dem nahezu ununterbrochenen Redeschwall eines der dort anwesenden
> Juristen zu konkurrieren?

Ja, so wünscht man sich einen guten und mündigen Bürger...
 
> Es mag zwar tatsächlich so sein, daß es nach sittenstrenger
> akademischer Rechtsdeutung nicht vom Auftrag des BKA gedeckt ist,
> wenn die dortigen Beamten öffentlich zugängliche Informationsquellen
> auswerten und u.U. gegen Straftäter ermitteln, die Äußerungsdelikte
> begehen.

Tut mir leid Hr. Roessler - Sie begreifen es einfach nicht oder wollen
es einfach nicht begreifen. Es geht hier weniger um juristische
Spitzfindigkeiten, als um ein bißchen Gemeinschaftskunde bzw.
Staatsbürgerkunde....Die "Sittenstrenge", wie Sie noch richtig bemerken,
hat übrigens ihren guten Grund: Sie macht in letzter Konsequenz den
Unterschied zwischen "Polizeistaat" und "Rechtsstaat" aus.
Verfassungsrecht erträgt keine "zweckmäßigen Ausnahmen" und "praktische"
Lösungen.

> Ich möchte aber trotzdem meine schon in GM gestellte Frage
> wiederholen: Darf das BKA Zeitung lesen?

Nein, da es hierfür einer gesetzlichen Ermächtigung
("Gesetzesvorbehalt") bedarf. Eine systematische Auswertung von
redaktionellen oder anderen inhalten ist ein Eingriff in Artikel 5 GG.
Von dem Datenschutzproblem ("Was machen wir mit den tollen Daten") ganz
zu schweigen. 

Wobei die Frage der "Eingriffsqualität" _tatsächlich_ akademisch
diskutiert werden könnte...Ich will aber Bürger Roessler nicht
langweilen.

 Wenn es das nicht darf:

> _Sollte_ es das nicht dürfen? 

Ja, dafür bin ich durchaus offen. Allerdings unter eng definierten
Voraussetzungen (Was Wann Wie ? Gar Automatisiert ? Was passiert mit den
Daten etc.).Den inhaltichen Maßstab für eine gesetzliche Regelung gibt
uns das Volkszählungsurteil. Die Fragen des "ob" und des "wie"
beantwortet aber der Gesetzgeber und nicht die "Abteilung Meseke". Steht
so übrigens schon in Art. 20 III GG.
 _Warum_ in Gottes Namen sollen derart
> leicht zentralisierbare Aktivitäten auf Ebene der Länder jeweils
> einzeln erledigt werden?

"Die Neuorganisation der Polizei nach dem Zweiten Weltkrieg" ... Dabei
wurde in der überkommenen zentralistischen Polizeiorganisation eine
wesentliche Gefahr für eine Korrumpierung der Polizei gesehen. Ziel der
Neuordnung (Anm.: Bund: sehr wenig /Länder: viel) des Polizeiwesens in
den Ländern der amerikanischen und britischen Besatzungszonen war, die
polizeiliche Gewalt des Staates auf organisatorisch unabhängige Behörden
zu verteilen, um durch "Gewaltenteilung" im Bereich der inneren
Sicherheit den Aufbau einer freiheitlichen (Anm: und den Bestand)
Ordnung zu erleichtern und den Mißbrauch der Polizeigewalt zu
verhindern." Würtenberger, Polizeirecht BaWü, S.  14 ff., 1999.

  Und schließlich: Welcher Bürger wird in
> seinen Rechten beeinträchtigt, wenn das BKA Zeitung liest?

Darüber können wir streiten. Allerdings muß man da etwas ausholen.
Ändert aber nichts am Ergebnis. Stichwort: "Prinzip der
Selbstängstigung" und "faktische Grundrechtsbeeinträchtigung" und
"informationelle Selbstbestimmung".

* Zitat Bundesverfassungsgericht:

"Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine
Gesellschafts- ordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung
nicht vereinbar, in der die Bürger nicht mehr wissen können, wer was
wann bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Wer unsicher ist, ob
abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Informationen
dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird
versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen ...

... Freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt unter den modernen
Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des einzelnen gegen
unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner
persönlichen Daten voraus. Dieser Schutz ist daher vom Grundrecht des
Art. 2 Abs. I in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG umfaßt. Das Grundrecht
gewährleistet insoweit die Befugnis des einzelnen, grundsätzlich selbst
über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu
bestimmen"

* Zitat Bundesbeauftragter für den Datenschutz (aktueller
Tätigkeitsbericht):

Kaum ein anderes Thema hat die Öffentlichkeit in den vergangenen Jahren
so sehr bewegt wie die Entführung von Kindern und Jugendlichen, ihr
Mißbrauch für pornographische Zwecke oder gar ihre anschließende
Ermordung. Das Internet schafft Tatgelegenheiten für die
Kommerzialisierung menschenverachtender sexueller Gewalt gegen Kinder,
Jugendliche und Frauen. Anbieter und Abnehmer verfügen z. B. mit den
Chat-Foren und News Groups über anonyme "Kontakthöfe", auf denen
weltweit und häufig mit recht geringem Entdeckungsrisiko einschlägige
Darstellungen angeboten und Handelskontakte geknüpft werden können. Wie
sehr die so erleichterte Verfügbarkeit von Pornographie und
Gewaltdarstellungen die Nachfrage und damit letztlich auch das Risiko,
Opfer zu werden, insbesondere für Kinder, Jugendliche und Frauen
steigert, ist von den Strafverfolgungsorganen und der kriminologischen
Forschung noch nicht abschließend geklärt. Die Gefahr einer Ausweitung
strafrechtlich relevanter Pornographie und Gewaltdarstellung ist indes
nicht von der Hand zu weisen. Der Ruf nach der "Polizeistreife im
Internet" ist deshalb allzu verständlich, zumal das Internet auch zur
Begehung weiterer Straftaten mißbraucht wird. Eine Umfrage des Rates bei
den EU-Mitgliedstaaten ergab Fälle des Drogenhandels, der Propaganda für
links- und
rechtsextremistische Gruppen, der Wirtschaftsspionage, des Betruges, der
Verletzung von
Urheberrechten, der Bedrohung, Verleumdung und Beleidigung. 

***
Dabei sollte jedoch nicht außer Betracht bleiben, daß sich die weit
überwiegende Mehrzahl der Internet-Nutzer gesetzeskonform verhält und
deshalb nicht mit ungesetzlichen oder unverhältnismäßigen
Ermittlungsmaßnahmen belastet werden darf. 
***

Die datenschutzrechtliche Diskussion hierzu konzentriert sich auf
folgende wesentliche Punkte: 

Gesetzlich zu regeln war u. a. die strafrechtliche Verantwortlichkeit
der Diensteanbieter, der Provider, die als natürliche oder juristische
Personen oder Personenvereinigungen eigene Inhalte ins Internet
einstellen oder fremden Inhalten den Weg ins Internet eröffnen (§ 5 Abs.
1 und 2 TDG). Danach sind Diensteanbieter für eigene Inhalte, die sie
zur Nutzung bereit halten, nach den allgemeinen Gesetzen - d. h. auch
nach Maßgabe des Strafgesetzbuches - verantwortlich. Das Bereithalten
fremder Inhalte durch sog. Zugangs- oder Accessprovider i.S.d. § 5 Abs.
2 TDG führt dagegen nur dann zu strafrechtlicher Zurechnung, wenn die
Zugangsprovider von den kriminellen Inhalten Kenntnis hatten und es
ihnen technisch möglich und zumutbar war, deren Nutzung (Übermittlung)
zu verhindern. Diese Regelung ist angemessen, sie verhindert kriminelle
Angebote im Internet aber nicht (s. auch Nr. 8.1). 

*Anm.: Daher unter Umständen ungeeignet. also unverhältnismäßig*

Deshalb stellt sich die Frage, in welchen Zonen des Internet die Polizei
offen oder verdeckt zu präventiven, aber auch zu repressiven Zwecken
ermitteln will. In diesem Zusammenhang ist zu klären, welche
gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen für die Gewinnung von Erkenntnissen
zu präventiven, aber auch zu Zwecken der Strafverfolgung erforderlich
und angemessen sind. Während die Kenntnisnahme von offen und
unbeschränkt für jedermann im Internet angebotenen Informationen durch
die Polizei bereits durch die gesetzlichen Aufgabenzuweisungen *Anm:
Sehr streitig* des Polizeirechts bzw. der Strafprozeßordnung gedeckt
wird, bedürfen Ermittlungseingriffe, wie z. B. eine getarnte Beteiligung
an verdächtigen einschlägigen Chat-Foren durch verdeckte Ermittler,
einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung, da hier der staatliche
Ermittler dem Verdächtigen bzw. dem polizeirechtlich relevanten Störer
nicht offen erkennbar gegenübertritt. 

Dabei stellt sich die Frage, ob derartige Eingriffe anlaßunabhängig oder
verdachtsunabhängig zugelassen werden dürfen, oder ob sie nur aufgrund
eines hinreichend konkreten Verdachts oder einer hinreichend
substantiierten Gefahr zugelassen werden sollten. Ein wahlloses
Beobachten durch die Polizei von nicht allgemein zugänglicher und für
Dritte unschädlicher privater Kommunikation würde letztlich zu einem
Einschüchterungseffekt führen, der Meinungsfreiheit, Meinungsvielfalt
und damit auch die Demokratie gefährden könnte. 

Ein weiterer, auch datenschutzrechtlich relevanter Kernpunkt der
Diskussion betrifft die Organisation und Koordination von Ermittlungen
im Internet. Der Arbeitskreis II "Innere Sicherheit "der
Innenministerkonferenz hat sich Ende Oktober 1998 dafür ausgesprochen,
anlaßunabhängige Recherchen im Internet durch das BKA als zentrale
Stelle für das gesamte Bundesgebiet durchzuführen. Die
Innenministerkonferenz hat sich dieser Empfehlung des AK II im November
1998 angeschlossen und darüber hinaus das BKA gebeten, ihr zur
Herbstsitzung 1999 einen Erfahrungsbericht vorzulegen. 

Das BSI wurde vom BMI beauftragt, eine sog. Meta-Suchmaschine zu
entwickeln (vgl. Nr. 8.4), die die offenen Internet-Seiten nach
kriminellen, strafrechtlich relevanten Inhalten durchsucht."

Gruß aus Tübingen

S. Hamann