Nach monatelangem Streit lenkt das Innenministerium ein: Zwar kann
Manfred Kanther als oberster Dienstherr der staatlichen
Ermittlungsbehörden nicht darauf verzichten, daß die Kommunikation
zwischen Kriminellen überwacht und wenn nötig auch entschlüsselt wird,
doch will er niemand dazu zwingen, Nachschlüssel preizugeben. Auf
diese Kompromißformel läuft der derzeitige Stand der Beratungen in
den Bonner Ressorts hinaus.
Zuckerbrot und Peitsche
Den scheinbaren Widerspruch löst ein Modell a la Pkw-Wegfahrsperre:
Nach Androhung einer gesetzlichen Regelung von der Industrie
"freiwillig" eingeführt, ist sie mittlerweile De-facto-Standard
wenigstens in teuren Karossen. Ähnlich soll die Kryptoindustrie nun
zwei Jahre Zeit bekommen, ihre Verfahren freiwillig begutachten zu
lassen. Vom BSI erhalten geprüfte Systeme ein werbeträchtiges weil
vertrauensbildendes Zertifikat, das die kryptographische Stärke
bescheinigt. Dies jedoch nur - und das empfinden Kritiker als
Etikettenschwindel - wenn die Schlüssel oder der Mechanismus zu ihrer
Erzeugung bei einer "vertrauenswürdigen dritten Instanz" hinterlegt
werden. Ob er zertifizierte oder andere Systeme nutzen will, kann
jeder Anwender jedoch selber entscheiden. Diese privatwirtschaftlich
organisierten Dienstleister müssen auf richterliche Anordnung die
Nachschlüssel an in- und ausländische Strafverfolgungs- und
Sicherheitsbehörden herausgeben. Was aus einem CHIP vorliegenden
internen Entwurf zum "Konzept zum kurzfristigen Aufbau einer
Sicherheitsinfrastruktur" des Innenministeriums hervorgeht, ist sogar
an eine "automatisierte" Schnittstelle für die
Strafverfolgungsbehörden mit "menschlichen Kontrollmechanismen"
gedacht. Obwohl der Innenminister mit dieser Lösung unzufrieden sein
muß, weil er nicht garantieren kann, daß jede abgefangene Nachricht
per hinterlegtem Schlüssel zu decheffrieren ist, hofft er auf die
Verbreitung der Systeme mit BSI-Segen und die Bequemlichkeit der
Kriminellen, die auch heute oft genug ins Netz gehen, weil sie vom
überwachten Telefonanschluß statt von der Telefonzelle um die Ecke
telefonieren.
USA rücken vom Hinterlegungszwang ab
Die in Deutschland anvisierte versuchsweise Einführung der
freiwilligen Regelung steht in Kontrast zu einer deutlichen Kehrtwende
der US-Regierung in Sachen Kryptographie. Auf Druck der Wirtschaft
hat die US-Regierung jetzt ihre Bestrebungen aufgegeben,
Verschlüsselungsstandards festzulegen und Unternehmen zu verpflichten,
Nachschlüssel zu hinterlegen.