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Communications Decency Act abgeschmettert

Geburtsurkunde für das Internet" Supreme Court stellt Meinungsfreiheit über Schutz vor Pornographie.

In einem richtungweisenden Urteil hat der Oberste Gerichtshof der USA das Recht der freien Meinungsäußerung auf das Internet ausgedehnt. Der Supreme Court erklärte ein Gesetz für verfassungswidrig, mit dem Kindern der Zugriff zu "unanständigem" oder "offenkundig anstößigem" Material im Internet verwehrt werden sollte.

Obwohl im vergangenen Jahr verabschiedet, entfaltete der Communications Decency Act keine Wirkung, weil eine breite Koalition aus 47 Industrie- und Bürgerrechtsgruppen sofort dagegen geklagt hatte. Bei Verstößen amerikanischer Internet-Anbieter gegen das Gesetz hätten eine Strafe von bis zu 250'000 Dollar oder bis zu zwei Jahre Haft gedroht. Gegen den Willen der amerikanischen Regierung wird nun durch das Urteil garantiert, daß Millionen von Computernutzern uneingeschränkten Zugang auf das Internet beanspruchen können und nicht durch Gesetze etwa vor Pornographie oder extremen Meinungen geschützt werden können.

Das Recht auf freie Meinungsäußerung wird als eines der höchsten Güter der amerikanischen Verfassung angesehen. In bedeutenden Urteilen des Supreme Court ist es großzügig auf verschiedene Bereiche der Kunst, der Medien und der Politik ausgedehnt worden. Mit dem jüngsten Urteil nahm das Gericht zum ersten Mal Stellung zu Veröffentlichungen im Internet.

Das Gericht setzte sich in seinem Urteil aber nicht im Detail mit Pornographie oder dem Schutz der Kinder auseinander. Der zuständige Richter, John Paul Stevens, schrieb aber, daß man "nicht das Haus abbrennen muß, um ein Schwein zu braten." Der Schutz der Kinder vor schädlichem Material aus dem Internet rechtfertige nicht die weitgehenden Maßnahmen der Regierung. Erwachsene dürften nicht dazu gezwungen werden, sich nur das anzusehen, "was für Kinder geeignet ist."

Die Kläger gegen das Gesetz, vor allem die liberale "American Civil Liberty Union", feierten den Sieg über die Regierung und hoben hervor, daß zum ersten Mal die im 18. Jahrhundert geborene Idee der Meinungsfreiheit in das 21. Jahrhundert übertragen worden sei. Der Anwalt der Kläger, Bruce Eris, bezeichnete das Urteil als "juristische Gebuntsurkunde für das Internet".

US-Präsident Bill Clinton, der sich persönlich stark für das Gesetz engagiert hatte, kündigte nach dem Urteil an, daß er mit der Industrie, Eltern, Lehrern und Bibliothekaren nach einer neuen legalen Lösung suchen wolle, um Kinder vor Pornographie im Internet zu schützen.

Das Bundesforschungsministerium hält Auswirkungen des Internet-Urteils in den USA auf die deutscheRechtsprechung für nicht wahrscheinlich. Das Urteil, sagte ein Sprecher des Ministeriums, bestätige die gängige Auffassung der USA, das Internet als virtuellen und "sowieso kaum zu kontrollierenden" Raum zu betrachten. Dagegen werde die Bundesregierung an ihrer Linie festhalten, so wirksame Regulierungsmaßnahmen wie möglich einzuführen. Anbieter von Netzinhalten seien schon derzeit für das von ihnen verbreitete Material verantwortlich und könnten bei der Veröffentlichung von strafbaren Inhalten wie etwa Kinderpornos, graphischen Texten und Bildern zur Rechenschaft gezogen werden. Experten rechnen nach dem US-Urteil mit einer Zunahme pornographischer Inhalte im Internet.

Auszug aus einem Artikel von Stefan Kornelius in der Süddeutschen Zeitung vom 29.6.97

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