FITUG e.V.

Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft

Stoppt die Zensur im Internet!

Die Bundesgrünen haben sich auf ihrem Bundesparteitag in Mainz am Freitag, den 01. März 1996 deutlich für Abwehrmaßnahmen gegen die zunehmenden Internet-Zensurbestrebungen ausgesprochen. Hier die Genese dieser Entscheidung:

Die Kreisdelegiertenkonferenz der Grünen im Kreis Recklinghausen (zehn Städte im Ruhrgebiet) hat am 22. Februar 1996 hat beschlossen, daß der Kreisverband Recklinghausen den nachfolgenden Resolutionsantrag an die Bundesversammlung vom 1.-3. März in Mainz (das ist das höchste Beschlussgremium der Bundesgrünen) stellt:

Keine Zensur im Internet!

Es geht um eines der entscheidenden Themen der nächsten Dekade: Freiheit oder Zensur im Internet. Im November 1995 besuchten die bayerische Kripo die Geschäftsräume des amerikanischen Online-Dienstes CompuServe in München. Nach zwei Wochen Medienberichterstattung mit der sachlich unhaltbaren Botschaft: "Compuserve = Pornographie" ging das Unternehmen in die Knie und sperrte den Zugang zu 200 Internet-Diskussionsgruppen. Gruppen, in denen auch pornographisches Material von Privatpersonen angeboten wurde. Auf den Inhalt dieser Gruppen hat ein Online-Anbieter aber keinerlei Einfluss. Er agiert nur wie die Post, die den Vertriebsweg zur Verfügung stellt, nicht aber den Inhalt selbst gestaltet.

Der Zensur fielen u. a. auch Usenet-Gruppen der internationalen Schwulen- und Lesbenszene zum Opfer. Da ein einziges pornographisches Foto in einer beliebigen Diskussionsgruppe für einen Zensuranlaß genügt, steht die Freiheit des Internet überhaupt auf dem Spiel. Aufgrund der demokratischen Struktur des Netzes kann jeder Mensch jeden beliebigen Inhalt in einer solchen Gruppe unterbringen, auch wenn sie sich eigentlich zum Beispiel nur mit einem medizinischen Fachthema beschäftigt. Mittlerweile gibt es in den USA erste - verständliche - Ansätze einer Boykottwelle gegen deutsche Institutionen und Produkte, denn die Entscheidung der deutschen Behörden führte zu einer weltweiten Sperrung weiter Teile des Internet für vier Millionen CompuServe-KundInnen.

Keine Frage: Neonazipropagandisten und Kinderpornographen müssen verfolgt und hart bestraft werden. Die Grundsatzfrage aber ist, wie jetzt und in Zukunft Online-Dienste juristisch bewertet werden.Können sie wie Fernsehanstalten für den von ihnen transportierten Inhalt zur Rechenschaft gezogen werden oder sind sie wie die Post nicht verantwortlich für das, was durch ihre Kanäle fliesst? Diese Frage wird in den USA seit Monaten sehr kontrovers diskutiert. In Deutschland haben sie bayerische KripobeamtInnen in Verbindung mit dem Bundesjustizministerium offensichtlich bereits beantwortet: Laut Aussage des Ministeriums können BetreiberInnen von Online-Diensten und Unternehmen, die Zugang zum Internet anbieten, für strafbare Inhalte zur Verantwortung gezogen werden. Deutsche Strafverfolgungsbehörden "können verhindern, daß über deutsche Betreiber Zugang zu verbotenem Material möglich wird", so Ministeriumssprecher Böhm laut TAZ vom 4. 1.96.

Bündnis 90 / Die Grünen entscheiden sich in dieser für die Zukunft so wichtigen Frage für die Freiheit der Information. Daher appelliert die Bundesversammlung von Bündnis 90 / Die Grünen an das Bundesjustizministerium, Online-Dienste und Anbieter von Internet-Zugängen juristisch wie die Post oder die Telekom zu beurteilen und nicht wie Sendeanstalten, die für ihre Inhalte zur Rechenschaft gezogen werden können.

Wir fordern die bündnisgrüne Bundestagsfraktion auf, entsprechende Initiativen zu ergreifen."

(Autor: Franz Wegener, Stadtverband Gladbeck, 100272.3024@compuserve.com)


Der Antrag wurde auf der 7. Ordentlichen Bundesversammlung Bündnis 90 / Die Grünen in Mainz, Rheingoldhalle, am 1. März 1996 mit folgender Rede von Franz Wegener begründet:

"Franz Wegener, KV Recklinghausen


Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Delegierte!

Was ist das Internet? Das Internet ist ein Verbund aus mehreren hunderttausend Computern, die ständig rund um die Uhr miteinander verbunden sind. Fast alle Umweltschutzorganisationen - auch die Grünen - profitieren heute von der weltweiten, unzensierbaren Erreichbarkeit aller dort hinterlegten Informationen. Greenpeace hat im Kampf gegen Shell von der Brent Spar über das Internet die Weltöffentlichkeit aktuell informiert. Bosnische Friedensgruppen haben sich während des Krieges über das Internet ausgetauscht und chinesische Studenten versuchen über das Netz Kontakt zu den Exilanten der Demokratiebewegung zu halten.

Das Internet ist das mächtigste Werkzeug, das Demokratie, Wissenschaft und Forschung je besaßen. Aber das Netz ist in Gefahr!

Aufgrund seiner technischen Struktur ist das Netz nicht in Teilen zensierbar. Es wurde in den 60er Jahren technisch so konzipiert, daß es selbst einen Atomschlag problemlos überstehen sollte. Das Netz ist ausschnittsweise nicht zensierbar. Das ist Vorteil, aber auch Problem des Netzes, denn einige politische Spinner und Pornographen nutzen das Netz ebenfalls und drohen dadurch allen zu schaden. Wenn Neonazi Zuendel in Canada - wo dies leider nicht verboten ist - Ausschwitz leugnet, dann macht er uns in Deutschland damit das Netz kaputt, denn Nazipropaganda darf nach deutschem Gesetz in Deutschland nicht verbreitet werden. Das Netz ist aber in Teilen nicht zensierbar. Daher gilt: Zensiert wird Alles oder Nichts.

Entweder wird Deutschland komplett vom Netz abgeschnitten - Totalzensur - oder Zuendels Texte sind nicht zu stoppen.
Das ist das Internet-Dilemma.

Ich appelliere an Euch: Laßt Euch wegen einiger Spinner und Pornographen nicht das demokratischste Medium der Welt aus der Hand schlagen. Seht die Möglichkeiten des Netzes und wägt ab. Wenn wie im Bundesjustizministerium vorgesehen, die Firmen, die technisch den Zugang zu diesen hundertausenden von Fremdrechnern für uns Nutzer herstellen - die das Tor in die Welt öffnen - demnächst als Verbreiter zum Beispiel von Nazipropaganda unter Strafe gestellt werden - dann ist das der Anfang vom Ende des Internets. Laßt uns dagegen ankämpfen. Jetzt. Inhaltlich deckt sich dieser Antrag mit Antrag M1 von Trittin, Sager und anderen. Krista hat es gesagt: Es geht um die Abwehr von Zensurmaßnahmen". Aber laßt es uns noch einmal besonders betonen: Cyberrights now! Stoppt die Zensur!"


Der Antrag wurde - wie das Präsidium feststellte - "mit großer Mehrheit bei wenigen Gegenstimmen und wenigen Enthaltungen" angenommen. Es war nach Formalia und Eröffnungreden der dritte überhaupt behandelte Antrag des ersten inhaltlichen Tagesordnungspunktes "Medienpolitik". Im Antrag Medienpolitik M1, der in erster Linie das Verhältnis der Grünen zu den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunkanstalten behandelte, und der zuvor beschlossen worden war, hatten sich Vorstandssprecherin Krista Sager und Vorstandssprecher Jürgen Trittin am Rande bereits für eine Abwehr der Zensurbestrebungen ausgesprochen.

Franz Wegener

Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft, Neko,1996
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